„Nun gut, Jeschua, doch Eines vorweg: Ich möchte meine Worte nicht aus Mündern von Männern oder Frauen hören, die nicht in diesem Raum sind.“
„Du hast mein Wort, Bezalel,“ sagte Jeschua. Und Bezalel berichtete ihm von Interessenkonflikten innerhalb Galiläas und zwischen Galiläa und Rom. Mehrfach hatte Herodes Antipas versucht, den römischen Kaiser dazu zu bewegen, ihn zum König von Galiläa zu ernennen, doch bei jeder Anfrage war er damit gescheitert, zumal vom Kaiser Tiberius mit zunehmendem Lebensalter wilde Gerüchte, über dessen Geisteszustand im Umlauf waren, die Herodes Antipas wiederum dazu nutzte, seinem Umfeld sein Scheitern zu erklären. Doch Gerüchte hin oder her, die zunehmende Zurückgezogenheit des Kaisers sorgte innerrömisch für ein Machtvakuum, denn auch die Nachfolgefrage war bei Weitem noch nicht geklärt. Dies wurde von den Statthaltern in nahezu allen Provinzen rücksichtslos ausgenutzt, denn sie bereicherten sich noch mehr zulasten der Menschen, als sie es bereits taten. Gleichzeitig fürchtete sich Herodes Antipas vor seinen eigenen Kindern und darunter litten die Regierungsgeschäfte. Angeblich wollten sie ihn ermorden und seinen Platz einnehmen.
„Viele von uns, Jeschua,“ sagte Bezalel, „sind seit Monaten mehr mit den Nachstellungstheorien des Fürsten beschäftigt, ob zutreffend oder nicht, als mit unseren eigentlichen Aufgaben.“ So führte dies in Galiläa zu offenen Fragen und Wunden in der Gesellschaft, die bei einem mit Regierungsarbeiten beschäftigten Fürsten nicht entstanden wären. Wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel Nachbesetzungen selbst niedrigster Posten, wurden aufgeschoben, weil Herodes Antipas die Bewerber aus Angst gründlicher überprüfen ließ, als diese ohnehin geprüft wurden. Die Neugründung der Stadt Tiberias, als neue Hauptstadt der Provinz, mit all ihrem Prunk, war außerdem kostspielig gewesen und ging zulasten der Bevölkerung. Und im Volke der Aramäer waren im Laufe der Geschichte immer wieder kleine religiöse Sekten entstanden, die sich stets die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Lebensumstände zunutze machen konnten, weil sie mit den Ängsten und Hoffnungen der Menschen spielten. Darunter waren auch jetzt wieder solche, die den Menschen das bevorstehende Gottesreich und den Messias verkündeten. Ähnliche Strömungen hatten vor etwas mehr als fünfundzwanzig Jahren bereits einen Aufstand ausgelöst, der von den Römern jedoch brutal zerschlagen worden war.
„Herodes Antipas kennt die Geschichte und er will, das sie sich nicht zu seinen Ungunsten wiederholt,“ endete Bezalel. „Und was spielen die Parther dabei für eine Rolle?“ Fragte Jeschua. „Das ist eine Theorie des Claudius. Die Parther können die Römer jetzt nicht militärisch besiegen, die Römer die Parther aber auch nicht. So versuchen die Parther den Römern auf indirektem Weg zu schaden, damit Schwachstellen in ihrem Reich entstehen. Claudius nimmt an, dass die Parther Aufrührer unterstützen, die in aramäischen Provinzen Unruhe anstiften, sodass die Römer gezwungen werden, einen Teil ihrer Truppen von den Grenzen zum Partherreich abzuziehen und die Parther somit einen neuen Angriff riskieren können. Je nachdem, was in den Schriftrollen steht, werden wir vielleicht wissen, ob die Theorie des Claudius stimmt oder nicht.“ „Und Ihr glaubt, Simon war ein aramäischer Mann in geheimen Diensten der Parther?“
„Das können wir nicht sagen, es wäre aber möglich, dass Simon mit dem Weinhandel auch aufrührerische Gedanken verbreitete, zumindest aber, dass er ein Bote der Aufrührer war.“
„Warum sollte er das alles getan haben?“ „Liegt das nicht auf der Hand?“ Fragte Bezalel. „Wenn ich in den Schuhen der Parther stände, würde ich die Sehnsüchte vieler unserer Landsleute ausnutzen. Ich würde ihnen versichern, dass sie nach dem Sturz der Römer ihr eigenes Königreich zurückbekommen. Träumen wir nicht alle davon, Jeschua?“
„Dann wäre mit dem Gottesreich nicht das wahrhafte Reich der Gottheit gemeint, sondern einfach nur ein anderes, irdisches Königreich,“ sagte Jeschua nachdenklich. „So habe ich das noch nicht gedacht, Jeschua.“
Es war mittlerweile später Nachmittag geworden und Jeschua und Bezalel beschlossen, zum Anwesen des Simon zurückzugehen. „Danke, Bezalel,“ sagte Jeschua. „Du hast eine überzeugende Stimme und überzeugende Argumente, Jeschua. Ich denke, es ist meine Pflicht, Claudius über unser Gespräch zu informieren.“ „Das ist nur gerecht, Bezalel,“ sagte Jeschua.
Und gleich nach ihrer Ankunft sah Jeschua, wie Bezalel Claudius zur Seite nahm und wie sich ein kurzes und intensives Gespräch zwischen ihnen entwickelte. Dann gingen sie zu Jeschua. „Bezalel informierte mich über Euer Gespräch, Jeschua. Ich bin damit einverstanden,“ sagte Claudius.
Wenig später kamen Petronius, Johannes und Kenan von ihren Erkundigungen zurück und sie gingen gleich zu Claudius: „Herr,“ erstattete Petronius Bericht. „Wir haben die Gegend um das Anwesen in einem Kreis von ungefähr zwei Meilen durchsucht. Viele Sträucher mit Dornen versperren Menschen ein Durchkommen, doch es gibt von Menschen ausgetretene Wege, vermutlich für die Jagd. Und in etwa einer Meile in nordöstlicher Richtung fanden wir das hier.“
Petronius hob stolz ein etwa zwei handbreit großes, zerrissenes, scharlachrotes Stück Baumwollstoff in die Höhe. Es war nicht sehr verstaubt, es konnte von einem Kleidungsstück stammen, das helle Rot sprach für das Kleidungsstück einer Frau, denn diese Farbe war nicht nur bei den Römerinnen sehr in Mode. „Wir folgten einigen nicht zu alten Schuhspuren, die sich aber leider nach ein bis zwei Stadien verloren (Antikes, römisches Längenmaß. Ein Stadium entspricht zirka einhundertfünfundachtzig Meter.). Es ist auch unsicher, ob sie von einer Frau stammten.“
„Sehr gut, Männer!“ Lobte Claudius. „In welche Richtung zeigten die Fußspuren?“ „Nach Nordosten, Herr!“ Sagte Petronius.
Und nachdem sie sich gründlich gewaschen hatten, nahmen sie gemeinsam das Abendessen ein. Vor allem die Männer aus Tiberias waren zu Beginn sehr erstaunt darüber, dass sie alle zu Tisch liegen werden, doch Jeschua erklärte ihnen die Gründe dafür und sie befanden sie für gut. Sie waren tatsächlich eine Art Schicksalsgemeinschaft, in der sie einander brauchten. Der gesellschaftliche Rang war hierfür nicht von Belang. Dieser Jeschua, dachte sich Claudius, ist wirklich ein bemerkenswerter, junger Mann. Denn auch während eines Feldzuges waren die Offiziere nah bei den Legionären. Jeder musste sich auf den Anderen verlassen können.
Kapitel 5
Am nächsten Morgen wandte sich Claudius an die Mägde: „Ich habe so gut geschlafen, wie seit vielen Monaten nicht mehr!“ Und sie freuten sich sehr. Nach dem Frühstück versammelten sie sich alle voller Tatendrang. Für einen Moment wussten sie zuerst nicht, wer das Wort führen sollte, doch Jeschua fragte: „Claudius, was sind Deine Pläne?“ Sie nickten alle, und Claudius dankte ihnen.
„Lucius, Du reitest nach dieser Versammlung nach Tiberias und beginnst die Schriftrollen zu übersetzen. Petronius wird Dich begleiten. Nehmt eines der Packpferde mit.“ „Ja, Claudius!“ Sagte Lucius. Und Claudius sagte ihnen: „Ihr habt keine Eile, denn wollen kein Aufhebens machen. Schicke einen Boten zu uns, aber nur, wenn Du in den Schriften etwas Wichtiges finden solltest.“ „Ja, Herr!“ Sagten sie.
Dann wandte er sich an Jeschua: „Wir beide wollen zuerst mit den Leuten aus NaÏn sprechen.“ „Ja, Claudius.“ „Bezalel und Johannes,“ und er rollte eine sehr grob gezeichnete Karte der Gegend aus, auf der Ortsnamen und Namen von Simons Kunden geschrieben waren. „Besucht zuerst die etwas weiter entfernt liegenden Kunden des Simon. Du kannst doch ein Pferd reiten, Johannes?“
„Ja, Herr!“ Antwortete dieser. Und Claudius sagte: „Ihr beginnt mit den Kunden, bei denen es noch offene Zahlungen gibt.“ Und er deutete mit einem Schreibrohr auf die zu besuchenden Orte. Hat jemand Fragen?“
„Ja, Herr!“ Sagte Kenan. Was wünschst Du, das ich tue?“ „Bleibe in der Nähe des Anwesens und halte ein Auge darauf. Morgen wirst Du Johannes ablösen.“ „Ja, Herr!“ Sagte Kenan. Und