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Zwei Stunden später bin ich dran.
Der Espresso, den ich mir gegönnt habe, peppt mich wieder auf. Als ich kurz vor Mitternacht zur Feuerwehrhalle gehe, ist es stockdunkel. Die Straßenlaternen in der Siedlung sind verloschen. Es ist bedeckt. Sterne und Mond sind nicht zu sehen. In nur wenigen Fenstern brennt noch Licht. Fast immer, wenn ich einer Garage, einem Carport oder Hauseingang nahekomme, geht automatisch eine Beleuchtung an. Die Leute haben Angst vor Einbrechern. Es gab besonders während der dunklen Monate diverse Einbrüche.
Neben der Feuerwehr liegt der Friedhof. Wachholder, Büsche und Grabkreuze wirken ein wenig gespenstisch. Ein lautloser Vogel saust über meinen Kopf hinweg. Oder sind es Fledermäuse? Schnell zücke ich meine starke Taschenlampe, bin jedoch zu langsam.
»Ah, nun sind wir also komplett.«
Gerd Meyer begrüßt mich. Er ist ein kräftiger, dabei jedoch recht kleiner Mann mit fast kahlem Schädel. Kerstin steht bereits neben ihm an der Tür zur Gerätehalle. Die junge Frau trägt ihre dunkelblonden Haare kurz, eine Brille mit dunklem Rand und wie ihr Kollege Feuerwehrkleidung.
Ich merke an, dass sie damit ziemlich auffallen und den Brandstifter vermutlich sofort verjagen.
»Stimmt. Jens, wir sind vermutlich schon betriebsblind.« Beide ersetzen ihre rotweißen, mit reflektierenden Streifen versehenden Jacken durch einen dunkelblauen Anorak. Ich selbst trage meine Parka. Die Scheinwerfer der beiden sind um vieles stärker als meine Funzel.
Darauf angesprochen meint Gerd: »Stimmt, die sind super. Wir haben zwei davon nach der Grenzöffnung von unseren Freunden drüben bekommen.«
»Dann wurde damit vielleicht schon damals manche Flucht verhindert.« Unser Landkreis lag früher direkt an der Grenze zur DDR. »Hoffen wir nur, es kommt nicht zu Schusswechseln!«
»Wir haben keine Waffen dabei. Sollten wir?«
Ich vermute, dass Gerd meine Art von Humor nicht sofort versteht. Besser, ich vermeide Ironie oder Sarkasmus.
Wir gehen los. Wieder gleiten zwei der großen Nachtvögel über unsere Köpfe hinweg.
»Das sind junge Waldkäuze«, informiert mich Kerstin. »Sie nisten im alten Trafoturm. Wir haben dort auf eigene Rechnung einen Nistplatz errichtet. Im Februar haben dort oben Waldkäuze gebrütet. Wenn sie dann im Juni raus sind, kommen hoffentlich wieder die Schleiereulen. Letztes Jahr hatten wir vier Junge.«
Ich bin beeindruckt. Eine Freiwillige Feuerwehr mit vielen Aktivitäten und Interessen schützt nicht nur den Ort, in dem ich lebe, sondern auch bedrohte Vogelarten.
»Was machen wir, wenn wir den Brandstifter auf frischer Tat erwischen?« frage ich.
»Na, dann nehmen wir ihn fest!«
Kerstin scheint ähnlich gestrickt zu sein wie Jonas: Action um jeden Preis. Gerd jedoch sieht das anders.
»Nee, Kerstin. Wir werden uns der Situation anpassen. Wir beobachten ihn, folgen ihm und alarmieren die Polizei und unsere Kollegen. Mehr nicht. Und bitte denk dran: Ich habe hier das Sagen.«
Das nächtliche Himmelstal wirkt anders als der Ort bei Tageslicht oder am frühen Abend. Als dichte Wolken aufziehen, ist es derart dunkel, dass man nicht einmal den Boden sieht, auf den man tritt. Besonders unter den großen Eichen an der Kirche kommt es einem vor, als gehe man durch eine dunkle Höhle. Manchmal knacken kleine Äste oder alte Eicheln unter den Füßen. Wind rauscht oben in den noch fast kahlen Kronen der jahrhundertealten Bäume. Die Kirche wirkt nun wie eine Trutzburg im Mittelalter. Dies war sie früher ja auch tatsächlich. Ein oder zweimal bellt ein Hund. Hinter einem brusthohen Zaun auf dem Hof eines Bauernhofes, läuft ein schwarzes Tier herum. Ich vermute, es ist ein gut ausgebildeter Wachhund. Er verhält sich still. Wenn ein Einbrecher oder unser Brandstifter auf das Gelände eindringt, wird sich das ändern. Hinein kommt er vielleicht, nicht jedoch unbeschadet hinaus. Unsere Postboten kennen das.
Die Bewegungsmelder an den Gebäuden der Neubausiedlung in der Nähe des letzten Brandortes funktionieren einwandfrei. Immer wieder flammen Lampen und zweimal sogar Scheinwerfer auf. Hierher wird sich ein Brandstifter vermutlich nicht trauen, ist die Gefahr entdeckt zu werden doch viel zu groß.
Die für uns vorgesehenen zwei Stunden vergehen schnell. Wir waren zwar nicht davon ausgegangen, dass uns schon am ersten Abend jemand ins Netz geht, sind aber dennoch etwas enttäuscht. Kerstin will am liebsten weitermachen und auch die nächste Streife bis vier oder fünf Uhr mitgehen. Ihre drei Kollegen, auf die wir am Feuerwehrhaus treffen, bestehen jedoch darauf, dass sie nach Hause geht.
»Kerstin, du musst morgen früh zur Arbeit. Wir machen das schon, nutze du noch ein paar Stunden Schlaf.«
»Leute, ich bin dreiundzwanzig! Wie viel Schlaf ich brauche, weiß ich selbst am allerbesten.«
Das Team nach uns lässt sich jedoch nicht umstimmen: »Geplant ist geplant. Wenn Enno es so einteilt, ist es so!«
Bei der Feuerwehr in Himmelstal gelten offenbar klare Regeln. Eine Entscheidung »von oben« wird fraglos respektiert. Vermutlich ist ein solches »Top-Down« für eine Feuerwehr genauso angebracht wie für Polizei und Militär. Es geht um Gefahrenabwendung und -bekämpfung. Da kann nicht jedes Mal und über jede Angelegenheit lange diskutiert werden ...
Freitag, 30. April
Für heute habe ich mich zur Nachtschicht gemeldet, von zwei bis fünf. Von der Feuerwehr mit dabei sind Enno und Kerstin. Als wir uns an der Feuerwache treffen, sehen sie aus, wie ich mich fühle: müde und zerknittert. Vermutlich haben sie wie ich nach einem normalen Arbeitstag ein paar Stunden geschlafen, es zumindest versucht. Wir alle sind in Zivil. Kerstin hat sich eine Kapuze über den Kopf gestülpt und wirkt in ihrer schwarzen Kleidung wie ein Protestler aus dem schwarzen Block. Ich trage meinen Parka und Enno eine dunkle Outdoorjacke von Jack Wolfskin. Wir haben unsere Kragen hochgeschoben. Es ist dunkel, kühl und feucht.
Wir begrüßen uns kurz und einigen uns auf eine Strecke durch das Dorf. Heute wollen wir zuerst einen Blick in die etwas abgelegene Siedlung »im Tal« werfen. Dort stehen auf der nördlichen Straßenseite mehrere kleine Einfamilienhäuser, alle mit Garten und Nebengebäuden wie Schuppen, Gartenhäuschen oder Carport. Die Felder gegenüber sind unbebaut und frisch mit Zuckerrüben bepflanzt. Allerdings erkennt man jetzt kaum etwas.
Irgendwie ist es unheimlich hier draußen ...
Als wir um die Ecke biegen und den Rundweg durch die Siedlung nehmen wollen, sehen wir weiter hinten schwache Lichter. Neben einer großen Scheune parkt ein Fahrzeug mit Standlicht. Mitten in der Nacht erscheint uns dies ungewöhnlich. Wer hier wohnt, parkt entweder auf seinem Grundstück oder direkt vor seinem Haus. Auch würde niemand das Standlicht brennen lassen.
Langsam nähern wir uns dem Fahrzeug. Enno bedeutet uns, hinter ihm zu bleiben. Er hält seine lange Stablampe wie eine Keule in der Hand, ohne Licht natürlich. Kerstin hält sich so nah neben Enno, als wolle sie ihn am liebsten überholen und vorpreschen. Ich bleibe gerne hinten.
Immer näher kommen wir dem PKW. Es scheint ein älterer BMW zu sein. Drinnen sitzt jemand, vermutlich ein Mann. Das Kennzeichen erkenne ich nicht. Plötzlich leuchtet ein Licht beim Haus gegenüber dem parkenden Auto auf. Es ist eines der kleinen Häuser, die vor dem Krieg für die Arbeiter der Großbauern gebaut wurden. Links führt ein Plattenweg zur Haustür. Was den Bewegungsmelder ausgelöst hat, weiß ich nicht. Wir sehen weder Mensch noch Tier. Die Lampe beleuchtet etwa zehn Meter des Weges, dahinter herrscht umso schwärzere Dunkelheit. Jetzt jedoch kommen von der anderen Hausseite Geräusche. Dort könnte eine Terrasse sein. Das Licht geht wieder aus. Es knackt zwei- oder dreimal, so als ob Holz oder Kunststoff splittern. Vermutlich macht sich dort jemand an der Terrassentür zu schaffen. Unser Brandstifter?
Enno stößt mich an und hält Kerstin zurück.
»Wir warten an der Scheune! Kommt.«
Er