Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhold Zobel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753181400
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der Annahme, es könne so die Welt für eine kleine Weile aussperren…

      Varga unterbrach die Bilderserie. Er zeigte an, dass er an Aufbruch dachte. Er wolle, sagte er, zeitig schlafen gehen. Oscar war nahe daran gewesen, dem anderen von diesen beiden jüngsten Vorfällen zu berichten. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Was er im Nachhinein bedauerte. Er hatte zu lange gezögert. Geschick oder Ungeschick..?

      “Wieso warst du überhaupt dabei?

      “Ich kam aus der Toilette, gleichzeitig mit diesem Unglücksraben.

      “Du meinst, Verräter.”

      “Meinetwegen.

      “Und was geschah dann?

      “Ich war der einzige Zeuge. Sie nahmen mich kurzerhand mit.

      “Sie wussten, wer du bist?

      “Natürlich. Es waren ja dieselben, die mich, ehm, eine Stunde zuvor abgeholt hatten.

      “Und du hast die ganze Zeit über zugeschaut?

      “Ich hatte keine Wahl. Es war fürchterlich zu sehen, wie sie den Mann zusammen schlugen.

      “Er hat es nicht anders verdient.

      “Billigst du etwa diese Methoden, Saloua? Ich finde sie abscheulich.”

      “Wer sich nicht wehrt, geht unter.

      Er sah sie an. Sie erwiderte ruhig seinen Blick. Es geschah zwischen zwei Tanznummern, dass sie über den Vorfall sprachen. Sie saßen zu zweit am Tisch. Mohun war in ein Hinterzimmer des Clubs verschwunden. Angeblich in dringenden Geschäften.

       "Schau mal, ist das nicht Yves Montand?"

       "Du irrst dich. Er sieht ihm nur ä hnlich."

       "Nein, ich glaube, er ist es."

      Ob er es nun war oder nicht, Oscar fischte mit seinen Gedanken in anderen Gründen. Während er über die Fährnisse dieser Welt nachsann, war er im nächsten Moment unvermittelt von einem anderen Verlangen beseelt, nämlich den Tänzerinnen, die gerade ausruhten, noch weiter, als es ohnehin schon möglich war, unter die knappen Baströcke schauen zu können. Er trank dabei reichlich Whisky - heute auf Kosten des Hauses, daher Whisky und weil es zum Interieur passte - und brachte, plötzlich wieder streng monomanisch, ein Hoch aus auf Afrika.

       " Weißt du, was Mohun neulich zu mir meinte?"

       "Was?"

       "Er meinte, w ä re ich h ä rter, k ö nnte er sich vorstellen, mich zu seiner rechten Hand zu machen."

       "Oscar. Ich habe es dir schon einmal gesagt. Eigentlich fliegen dir doch alle Herzen zu. Du machst nur zu wenig daraus."

       "Wo du das sagst. Diese Burschen aus Mohuns Schutztruppe es ist seltsam, aber ich glaube, sie m ö gen mich."

       "Sei froh."

       "Aber ich mag sie nicht, und schon gar nicht das, ehm, was sie tun ."

      “Du verurteilst Frank und seine Leute, und doch bist du ihm wie ein Freund verbunden.

      “Ich verurteile nicht, Saloua. Das ist es nicht.

       "Er ist nicht so skrupellos, wie du ihn siehst. Er ist ehrlich. Er ist groß zügig."

       "Ja, im Umgang mit dem Leben anderer."

       "Es ist nicht so, wie du denkst W ü rdest du dich f ü r deine Liebste pr ü geln?

      “Auf diesem Gebiet fühle ich mich, ehm, nicht recht zuständig."

      “Frank würde es tun."

       "Ich vermute eher, er ließ e prü geln."

       "Nicht, wenn es um mich ginge."

       "Bist du dir da sicher?"

       "Ganz sicher."

      “Du, ehm, verteidigst ihn immer.”

      Oscar seufzte. Saloua schob, wenn sie nachdenklich wurde, gern die Unterlippe mittels der Zunge vor, es fügte ihrer üblicherweise heiter-sorglosen Gesichtslandschaft etwas hinzu, eine kleinteilig grüblerische Note. Noch im Streit, dachte er, rechtfertigt sie Mohuns Handeln. Und sie hatten Streit, seit Tagen. Offiziell sprach niemand davon, doch jeder bei Hofe wusste es. Vorhin, als Mohun noch mit am Tisch gesessen hatte, war zwischen ihm und Saloua kein Wort gewechselt worden. Es war ein Wunder, dass sie nicht an getrennten Tischen gesessen ja, mehr noch, dass Mohun Saloua überhaupt zu dieser Veranstaltung mitgenommen hatte.

      Die Musik setzte wieder ein. Die Tänzerinnen kehrten auf die Bühne zurück. Ihr Lachen war nie strahlender gewesen. Oscar trank sein Glas Whisky leer. Es war das dritte. Er sah Saloua von der Seite her an. Das künstliche Licht des Nachtclubs, das auf ihre Züge fiel, tauchte diese in einen kostbaren, erlesenen Schimmer. Sie erhob halblaut ihre Stimme.

      “Findest du, dass Frank eine gute Wahl getroffen hat?

      “Was diese Mädchen angeht?

      “Ja.

      “Was findest denn du?

      “Frank weiß immer, was er tut. Er hat ein Gespür für solche Dinge… Andrerseits.

      “Andrerseits?

      “Er wollte ursprünglich gar nichts mit Bars und Nachtclubs zu tun haben."

       "Sondern?"

       "Er wollte zur B ü hne, zum Film."

      “Ach.”

      “Ich wünsche mir sehr, dass er aus diesem Geschäft hier aussteigt, bald.

       "Man ist eben froh, wenn die Knoten sich l ö sen."

       "Welche Knoten, Oscar?"

       "Die, die das Leben flicht, in einer Welt. in der, ehm, so viel Schreckliches geschieht.”

      Kapitel 11

      “Wusstest du, dass es gar nicht zutrifft, dass nach dem Tod Haare und Nägel weiter wachsen?"

       "Nein?"

       "Es ist eine optische T ä uschung. In Wahrheit ist es der K ö rper und die Haut, die aufgrund von Wasserverlust schrumpfen. Geschieht es nicht überhaupt viel zu oft, dass wir Ursache und Wirkung im falschen Verhältnis zueinander sehen?”

      Oskar schaut seine Frau von der Seite her an. Was es doch für Themen sind, die sie so beschäftigen. Das Licht des späten Nachmittags fließt über ihr Gesicht, schafft dort eine weiche Glasur jenseits jeder physischen Härte. Manches Mal, aus einer gewissen Entfernung, sieht es so aus, als gebe es auf ihrem