Tingting steckte sich eine Zigarette an.
„Ich habe jemanden umgebracht. Damit.“ Sie zeigte hinüber zu der Waffe, die noch immer auf dem Marmorwaschtisch lag. Klein, zart und scheinbar harmlos.
Ich sagte nichts. Ich wusste, dass Geständnisse bei Rauchern, egal, um welches Thema es ging, immer eine Zigarettenlänge lang dauerten. Ich ließ sie also reden.
„Meinen Bruder. Er hat von meiner Affäre erfahren und mich erpresst, so wie Xiao Li mich eben erpresst hat.“
Das klang wirr, deshalb hakte ich doch ein.
„ Eine Affäre? Na, wenn schon, du bist jung, du bist noch nicht verheiratet und überhaupt. Was ist in Shanghai schon eine Affäre?“
„ Du verstehst das nicht. Und ich kann es dir nicht erklären. Claudio ist Sizilianer und er war ein Geschäftpartner von Tang Qiao, meinem Bruder.“
„Die Cosa Nostra macht Geschäfte mit den Triaden?!? Tingting, mach dich nicht lächerlich.“ Mir fiel auf, dass ich begann, anders mit ihr zu reden. Ich hatte mich gemausert. Ein kleiner leicht abgeirrter Mord und ich war schon ganz schön gewachsen.
„So genau weiß ich nicht, was sie machen. Ich weiß auch nicht, für was für eine Organisation Claudio arbeitet, aber wir haben eine Affäre. Ich wollte ihn dir vorstellen, aber…“
Sie versuchte wieder, mich zu manipulieren. Mir war es aber egal. Die Sache versprach spannend zu werden. Dennoch entschloss ich mich, mir die ganze Geschichte lieber später anzuhören. Vielleicht auf der anderen Halbkugel der Erde, weit weg, mit einem Schirmchen im Cocktail. Beim Gedanken an einen Cocktail wurde mir schon wieder schlecht.
„Was ist mit dem da?“ fragte ich und nickte zu Xiao Li hinüber.
„Er steht ganz oben im Clan der Qu. Wenn er tot ist, ich weiß nicht, was dann geschieht, aber eines ist klar: Wenn du dich stellst, dann kriegen sie dich. Das sind die Triaden!!“
Ich fragte mich, ob sie hysterisch geworden war und was ich nun tun sollte. Asche rieselte von ihrer Zigarette auf den Boden. Es wäre nicht günstig, wenn sie in die Blutlache rieselte, falls wir uns stellen sollten. Es machte keinen guten Eindruck, wenn man erst mal eine geraucht und überlegt hatte, was man tun würde.
„Wann hast du Tang Qiao getötet?“
„Wann?“
„Ja.“
„Vor ein paar Monaten, wieso?“
„Bevor du nach Europa gekommen bist?“
„Ja. Deshalb bin ich ja nach Europa gekommen.“
Also konnte man mir den Mord nicht anhängen, wenn es mit rechten Dingen zuging. Es läutete unten an der Haustür.
„Das ist Claudio.“ Sagte Tingting.
Wir gingen durch den Flur und sahen einen Mann auf dem Bildschirm der Gegensprechanlage. Er hatte dunkle Locken, grüne Augen und eine Brille. Er sah aus wie die sizilianische Variante von Harry Potter. Tingting begann schon mit den Wimpern zu klimpern, ohne dass er sie hätte sehen können. So sahen also heute Mafiosi aus. Süss und brav. Adrett und jungenhaft. Wie ein Internatszögling wartete der sizilianische Geliebte unten.
„Soll ich ihm aufmachen?“ fragte Tingting mich. Zwischen uns hatte sich gravierend etwas verändert. Sie, die immer zu wissen schien, was zu tun war, biss sich nun auf die Lippen und schaute mich an, als wüsste ich, wie es weiter gehen musste. Ein bisschen war ich sogar enttäuscht, dass sie nicht die Führungsrolle übernahm.
Das hübsche Kerlchen da unten könnte uns sicher nicht helfen. Zudem wäre er im Zweifel auf Tingting´s Seite. Es war besser, wenn wir uns noch nicht begegnet waren, bevor diese Sache hier geklärt war.
Ich begann wieder zu schwitzen. Wir konnten nicht ewig hier rumhängen. Der Pianist würde irgendwann auf die Toilette müssen, Claudio würde ungeduldig werden und es galt keine Zeit zu verlieren. Warum gibt es keine Ratgeber-Bücher: „Wie man eine Leiche beseitigt“ oder „Der perfekte Mord“…vielleicht gab es ja sogar solche Bücher, aber sicher gilt das nicht für Taten, die mal eben so zwischendurch passiert sind.
Wir standen noch vor der Gegensprechanlage. Der Bildschirm hatte sich ausgeschaltet. Claudio war damit zumindest visuell erst mal weg und so ließ seine Wirkung auf Tingting etwas nach.
„Tingting. Was hast du mit der Leiche deines Bruders gemacht?“
„Säure.“
„Säure?“
Die Angesprochene nickte zaghaft.
Säure, dachte ich. Wäre das nicht auch ein Weg? Andererseits gäbe es Mitwisser. Und für mich, die eine Tat in Notwehr begangen hatte, wären Mitwisser beim Beseitigen einer Leiche, einem Schuldgeständnis, das Schlechteste, was mir passieren konnte. Andererseits, was, wenn Tingting nicht mitspielte. Ohne ihre Aussage und die Würgemale würde es schwierig werden. Ich hatte kein Motiv, aber…dann würde es unübersichtlich.
„Hör zu, wenn es keine Leiche gibt, wird man auch nicht nachweisen können, dass mit dieser Waffe schon jemand getötet wurde. Also werde ich mich stellen.“
Tingting sah mich an. Ihr Blick hatte jetzt etwas Gefügiges. Sie wollte nicht mehr, sie konnte nicht mehr. Unten wartete ihr Liebster.
Ich ging zurück in den großen Salon und nahm mein Handy.
Ich wählte den Notruf und sagte mit bebender Stimme: „ Bitte kommen sie schnell. Jemand wurde angeschossen.“
„Hat er Puls?“ „Ich weiß es nicht.“ „ Gleich ist jemand bei ihnen.“
Sekunden später hörten wir Notrufsirenen unter uns in der Tiefe.
Tingting öffnete. Notarzt und Sanitäter stürzten herein. Hinter ihnen Claudio. Als er Tingting sah, war er erleichtert. Dann sah er mich. Nickte zum Gruß, als würden wir uns längst kennen. Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht, als wären wir in einer Bar und nicht an einem Tatort. Ich führte die Rettungskräfte ins Bad. Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, dass Xiao Li tot war. Der Notarzt sah mich vorwurfsvoll an. Ich reagierte wie ein Stummfilmstar und sank in Ohnmacht.
IV. Bye Bye Shanghai
Wenig später kam die Polizei. Sechs Mann Mordkommission.
Mit verschmierter Wimperntusche saß Tingting neben mir im Salon und Claudio hielt ihre Hand. Anscheinend hatte sie vergessen, dass ihre Affäre geheim war, dass er überhaupt das Motiv für alles war.
Der Pianist hatte aufgehört zu spielen. Ein Kripobeamter war eigens dafür abgestellt worden, die Kerzen zu löschen. Ich kauerte auf lila Samt und nippte gespielt verstört an meinem Wasser. Wir warteten auf den Staatsanwalt. Der war weiblich, alt und sprach kein englisch. Erst befragte sie Tingting. Auch, wenn ich kaum Chinesisch verstand, merkte ich, dass deren Stimme sich fast überschlug. Warum hatte ich ihren Dialog mit Xiao Li eigentlich verstehen können? Hatte sie Englisch gesprochen? Ich war mir nicht mehr sicher. Ich versuchte, ihr jetzt zu folgen. Sie brachte die Silben japsend und wahrscheinlich auch noch in Shanghai-Dialekt heraus. Aber dennoch konnte ich an ihren Gesten erkennen, dass sie sich an unseren Plan hielt. Sie war dankbar. Natürlich musste sie mich decken. Es war ja auch so gewesen, oder? Ich war mir selbst nicht mehr sicher. Tingting zeigte ihre Würgemale. Der Arzt hatte ihr eine Salbe da gelassen. Xiao Li hatte man im Bad fotografiert und abgemalt und ließ ihn noch etwas vor sich hingammeln.
Die