Leni ruderte genervt mit beiden Armen.
„Ja, ja, ist ja schon gut. Also: In diesem Haus wurde eine Familie von vier Männern überfallen. Der Mann wurde erschlagen, die Frau vergewaltigt. Die Täter wurden wenige Tage später gefasst und haben inzwischen ihre Strafen abgesessen.“
„Warum steht das Haus bis heute leer?“
„Es war zwischenzeitlich bewohnt. Aber warum sich die Situation heute derart darstellt, kann ich dir nicht sagen. Lasst euch die Unterlagen kommen, es muss da Berge von Akten geben.“
„Was ist aus der Familie geworden?“
Overbeck hatte Gehweiler schweigend zugehört, doch sein Interesse schien geweckt.
„Ich weiß es nicht. Wie gesagt, seht euch die Akten an, dann habt ihr eine verbindliche Informationsquelle.“
„Das werden wir tun. Vielleicht ergibt sich der eine oder andere Hinweis auf die Tat oder auch auf die Vergangenheit des Toten. Leni, komm, wir fahren in Präsidium. Aus deinem geplanten Feierabend wird heute wohl nichts mehr. Die Leiche kommt in die Leichenhalle des Trierer Brüderkrankenhauses, wegen der Obduktion“, wandte er sich an Gehweiler. „Würdest du dich darum kümmern?“
Gehweiler nickte.
„Und haltet die Neugierigen hier fern. Hat sich inzwischen wohl doch herumgesprochen, dass es hier etwas zu sehen gibt. Ach ja, noch eine Frage: Bei dem Toten wurde die Zeichnung eines fliegenden Adlers gefunden. Kannst du etwas damit anfangen?“
Gehweiler schüttelte den Kopf. „Ein Adler? Fällt mir nichts ein dazu.“
Kapitel 8
Overbeck lief wie ein angeschossenes Wild im Büro auf und ab. Zwischendurch verharrte er vor dem Dash Board mit den Flip-Charts, auf dem in Reih und Glied die Fotos vom Tatort die schreckliche Tat in Hermeskeil widerspiegelten.
„Etwas stimmt hier nicht, Leni“, rief er mit ausgebreiteten Armen und lief ein paar Meter von der Tafel weg, um gleich darauf wieder zu ihr zurückzukehren.
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir irgendetwas falsch interpretieren. Warum kommt jemand hinter einem Haus außerhalb der Ortschaft um die Ecke und wird mit einem Überraschungseffekt von einer Person, die ja mehr oder wenig auf der Lauer liegt, mit einem Baseballschläger ins Gesicht geschlagen? Nein, nein, da stinkt etwas gewaltig zum Himmel.“
„Ich frage mich, warum der Täter den Mann nicht einfach erschossen hat, wenn er ihn schon umbringen wollte.“
Leni schob das Bündel Akten, das sie soeben studiert hatte, beiseite. „Kaum jemand würde den Schuss gehört haben, die Entfernung zur Stadt ist zu weit.“
„Ich habe nochmal mit Peters gesprochen“, überging Overbeck Lenis Frage. „Er ist der festen Überzeugung, dass der Fundort auch der Tatort ist. Ich habe mit Dr. Kämmerlein telefoniert. Er ist der gleichen Ansicht. Also müssen wir das so hinnehmen. Jemand hat den Mann hinter diesem Haus erschlagen.“
„Wobei das Opfer auf dem Boden gelegen haben soll, wie Kämmerlein auf kriminalistische Art und Weise konstatierte“, bemerkte Leni und Anerkennung schwang in ihrer Stimme mit.
Overbeck nickte. „Wie auch immer. Es muss ein Motiv geben für den Mord, natürlich. Aber es muss auch einen Grund geben, die Tat gerade an diesem Ort zu begehen. Niemand stellt sich irgendwo hinter einer Hauswand auf und wartet, bis der Mensch, den man umbringen will, dort auftaucht.“
„Es sei denn, der Täter hat sein Opfer dorthin bestellt.“ Leni sah Overbeck herausfordernd an. „Wenn du eine bessere Theorie hast, immer her damit.“
„Dann werden wir uns mal intensiver mit der Person des Toten befassen. Wer war Jörg Dellmann, was ist seine Vergangenheit und warum musste er sterben? Wir brauchen alles über den Mann. Polizeiliche Erkenntnisse, falls vorhanden und die übliche Prozedur. Wenn es sein muss, zurück bis in seine Kindheit. Einen Mord ohne Motiv gibt es nicht. Wir müssen das Motiv finden und das geht nur über die Person des Toten, sein Umfeld, seinen Lebenswandel.“
„Und die Zeichnung des Adlers. Wir müssen herausbekommen, was es damit auf sich hat.“
„Das muss irgendetwas sein, von dem der Täter glaubt, dass wir es wissen müssen. Dieser Adler. Das ist doch ein Hinweis. Nur worauf? Vielleicht gibt uns die Person des Toten darüber Aufschluss. Das mit dem Jagdpächter bringt uns nicht weiter. Keine brauchbare Aussage. Dem armen Kerl schlottern heute noch die Knie.“
„Ich kann mich darum kümmern, Overbeck“, beeilte sich Leni zu sagen, wobei sie den Namen „Overbeck“ provozierend betonte.
„In Ordnung“, lächelte Overbeck zurück. „Du gibst wohl keine Ruhe, oder?“
„Das siehst du richtig. Overbeck“.
Leni schüttelte den Kopf. „Du hast doch einen Vornamen. Warum sagst du ihn nicht. In deiner Personalakte steht er drin und Krauss weiß ihn ohnehin.“
„Aber er wird mich nicht beim Vornamen rufen.“
„Ich könnte ihn danach fragen“, stichelte Leni weiter. „Aber mal im Ernst. Warum verheimlichst du deinen Vornamen? Oder ist es ein Gag von dir, dass du dich nur „Overbeck“ nennen lassen willst, so wie Kojak oder manche Fernsehhelden?“
„Unsinn. Ich habe schon meinen Grund.“
Overbeck kratzte sich hinter dem Ohr. „Also, wenn du schweigen kannst, werde ich ihn dir verraten.“
„Wie ein Grab.“
Leni streckte drei Finger der rechten Hand in die Höhe.
„Meine Mutter stammt aus Bayern“ sagte Overbeck leise. „Da hat man so komische Vornamen.“
„Du heißt Sepp, stimmt`s?“, rief Leni.
„Nein“, sagte Overbeck, es klang noch leiser als eben. „Es ist weit schlimmer.“
„Au weia. Noch schlimmer?“
Leni dachte nach. „Wastl? Oder vielleicht Beppo?“
„Nepumuk.“ Das Wort war kaum zu hören, so leise sprach es Overbeck aus.
„Nepumuk?“
Leni prustete los. „Pumuckl. Wie goldig. Pumuckl ist doch die Verniedlichungsform von Nepumuk, nicht wahr?“
„Jetzt lass mal gut sein!“ Overbeck wirkte verärgert. „Du hast versprochen, nicht drüber zu reden. Also in Zukunft: Overbeck.“
„Nepumuk. Ich kann`s nicht fassen.
Leni hatte immer noch das schadenfreudige Lachen im Gesicht. „Pumuckl.“
„So, jetzt ist aber genug, Leni.“
Overbeck hatte seine Fassung wiedergefunden und baute sich vor seiner Kollegin auf.
„Wir haben Wichtigeres zu tun.“
„Ich weiß, ich weiß“. Leni lächelte immer noch verhalten.
„Aber mein Schweigen kostet dich eine Kleinigkeit. Ich weiß auch schon, was du dafür tun musst. Du bringst mir bei, wie man … wie man die Puppe da hinten umhaut.“
„Kein Problem. Aber dazu musst du schon in mein Dojo kommen.“
Overbeck sah man an, dass er froh war, sein Namensproblem in einem doch eher kurzen Dialog abgearbeitet zu haben. „Wenn du dich also um das Umfeld des Toten kümmerst, werde ich zur Obduktion gehen.“
Overbeck sah auf seine Uhr.
„Wir sehen uns spätestens morgen. Kann mir vorstellen, dass du gleich in deinem Ort …“
Overbeck stockte.
„Forstenau“, sagte Leni freundlich.
„Dass