Der Hölle so nah. Michael Bardon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bardon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738080650
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Eine absolute Schönheit, die es nicht nötig hatte, sich über Gebühr aufzubrezeln oder zu schminken. An ihr wirkte einfach alles echt, entspannt und natürlich.

      Kennen Sie das? Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Ich rede hier von Liebe auf den ersten Blick. Von der Gewissheit, den Menschen getroffen zu haben, dem man sein Herz für alle Zeit schenken möchte.

      Nein, ich meine nicht einfach nur Liebe. Ich spreche hier von der Liebe schlechthin. Von dem Gefühl, in einen Rausch zu verfallen und nie wieder nüchtern werden zu wollen.

      So empfand ich in diesem Moment. Ich, Tobias Schlierenbeck, Anwalt und Menschenhasser, war bis über beide Ohren in diese mir unbekannte Frau verliebt. Ich hörte die himmlischen Posaunen eine Fanfare blasen, stellte mir vor, mit dieser Frau, diesem engelsgleichen Geschöpf, wie im Film Titanic ganz vorne an der Reling zu stehen und die atemlose Freiheit, die Macht der Liebe zu spüren.

      »Wow, das ist ja echt ´ne Zehn-Punkte-Frau«, keuchte Winni neben mir ergriffen.

      Mein Blick wanderte hektisch zwischen ihm und dieser Traumfrau hin und her.

      »Wenn du sie anmachst, kastrier ich dich. Ich schwör dir, bei allem was mir heilig ist, das würdest du für den Rest deines Lebens bereuen«, ereiferte ich mich.

      »Du würdest mir wegen der da die Freundschaft kündigen?«, fragte Winni ungläubig und verzog sein Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse.

      Mein Blick schmiegte sich noch immer an ihre sanften Rundungen. Ich spürte mein wildes, rasendes Herz, spürte das Verlangen nach Liebe, Zärtlichkeit und Geborgenheit in mir aufsteigen.

      »Ja, Winni! Die kriegst du nicht. Wenn du sie anlangst, waren wir die längste Zeit Freunde. Sie ist ein Juwel, ein Diamant, ein Smaragd. Sie ist alles, wovon ich je zu träumen gewagt habe. Wenn dir unsere Freundschaft etwas wert ist, wirst du die Finger von ihr lassen.«

      Winni grinste anzüglich, schaute noch einmal zu meiner Charly hinüber und sagte dann mit aalglatter Stimme: »Klar! Kein Problem. Sie gehört dir. So hübsch ist sie nun auch wieder nicht.«

      Dass ich damals auf die zweitgrößte Lüge meines Lebens hereingefallen war, wusste ich natürlich noch nicht. Doch heute, drei Jahre später, kommen mir diese Sätze wie Hohn vor.

      Warum?, fragen Sie sich jetzt. Habe ich was verpasst?

      Keine Angst, ich werde es Ihnen schon noch erklären. Sie müssen mir nur weiter zuhören.

      Der Anfang vom Ende

      Ja, so war das damals. An diesem Abend sah ich meine Charly zum allerersten Mal.

      Liebe auf den ersten Blick.

      Wenn ich heute darüber nachdenke, war es der Anfang von meinem Ende. Es war der Anfang einer nicht enden wollenden Lüge. Der Anfang eines perfiden Plans, geschmiedet von zwei kranken, zu allem entschlossenen Hirnen.

      Aber das – so bilde ich mir jedenfalls ein – konnte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht erahnen.

      Wir, Winni und meine Wenigkeit, saßen also am Nachbartisch und lauschten, Winni gelangweilt, ich voller Faszination, der leise geführten Unterhaltung unserer Tischnachbarinnen. Wer diese zweite, recht unscheinbar wirkende Frau war, habe ich leider nie herausgefunden. Es hat mich damals nicht interessiert. Sie war in meinen Augen ein unbedeutendes Subjekt, mit dem man seine Zeit nicht vergeuden sollte. Mir ist immer noch nicht klar, welche Rolle sie in diesem Spiel innehatte. Ich bin ihr nie wieder begegnet.

      Doch ich greife voraus. Das ist an diesem Zeitpunkt noch nicht von Belang.

      Haben Sie Hunger? Sie sitzen ja schon eine Zeitlang an meinem Bett. In der obersten Schublade müsste eine Packung mit Keksen liegen. Meine Mutter hat sie mir bei ihrem letzten Besuch mitgebracht und dort verstaut.

      »Hallo Schatz, ich habe dir deine Lieblingskekse mitgebracht. Du weißt schon. Die Soft Cakes, die mit der Orangenfüllung.«

      Fast hätte sie es mit diesen wenigen hirnlos dahingeworfenen Sätze geschafft. Mein Geist brüllte auf und versuchte, aus dem Mantel meines Schlafkomas auszubrechen. Ich war beseelt von dem Wunsch, aus dem Bett herauszuspringen, meine Mutter an ihrem dürren, faltigen Hals zu packen und ihr die Luft aus den Lungen zu pressen.

      Haben Sie schon einmal so einen Mist gehört?

      Ich liege im Wachkoma. Abgeschoben in ein Pflegeheim. Werde künstlich ernährt und alle zwei Tage von einem Pfleger gewaschen. Und meine Mutter bringt mir eine Packung dieser leckeren Soft Cakes mit.

      Herrje, wie dumm kann ein Mensch denn eigentlich sein?

      Wo waren wir?

      Genau!

      Ich lauschte voller Faszination der liebreizenden Stimme meiner neu auflodernden Liebe. Sie saß – mir ihr Halbprofil zuwendend – keinen Meter von mir entfernt. Ich hätte nur meine Hand ausstrecken müssen, um ihre samtweiche, schokobraune, faltenlose Haut zu berühren.

      Ich roch den süßlichen Duft ihres betörenden Parfüms und schaute voller kindlicher Entzückung auf ihre spielerisch gestikulierenden Hände.

      Alleine der Gedanke, was diese zarten Finger mit meinem Körper alles anstellen könnten, trieb mir den Lustschweiß auf die Stirn. Ließ mein Glied schmerzhaft anschwellen und beraubte mich meines Verstandes.

      »Entschuldigen Sie bitte. Wir haben Ihr Gespräch eher zufällig mitangehört«, hörte ich Winni sagen und schreckte aus meinen Tagträumen auf.

      Er stand an unserem Nachbartisch und streckte – ganz seriöser Geschäftsmann – meiner Angebeteten seine rechte Hand entgegen.

      »Wir«, er zeigte auf mich, »sind Rechtsanwälte. Vielleicht können wir Ihnen bei Ihrem …«, er legte gekonnt eine kurze Redepause ein und tat so, als suche er nach den passenden Worten, »… unangenehmen Problem behilflich sein.«

      Seine sehnige Hand schwebte noch immer, zu einem ersten Händeschütteln bereit, in der Luft. Doch Charly ergriff sie nicht. Sie stützte sich auf die Armlehnen ihres Sessels – ich bewunderte das Spiel ihrer Rückenmuskulatur – und schaute zuerst in meine Richtung.

      Ein flüchtiges, nur angedeutetes Lächeln, küsste für einen winzigen Moment ihre sinnlich geschwungenen Lippen, während mich ihre eisblauen Augen interessiert musterten.

      Ich erinnere mich noch genau an diesen ersten Blickkontakt. Er hat sich mit all seinen Empfindungen in mein Gehirn geätzt. Hat sich für immer in meinen Gedanken verewigt, häuslich eingerichtet, seine unwiderrufliche Signatur hinterlassen.

      Mein Kopf glühte wie der Hochofen in einer Stahlschmiede. Eine verirrte, von der Schwerkraft motivierte Schweißperle tropfte in mein linkes Augen und löste – zu meinem Leidwesen – eine heftige Reaktion meines Tränenkanals aus.

      Völlig konsterniert und heftig mit dem Auge blinzelnd, schnitt ich eine Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte. Ich wäre vor Scham am liebsten im Erdboden verschwunden. Hätte mich, ohne eine Millisekunde des Zögerns, in die Hölle gestürzt, wenn sie sich in diesem Moment vor mir aufgetan hätte.

      Was war nur mit mir los? Wo zum Teufel war mein taffes Ich geblieben?

      Sie können es mir ruhig glauben. Ich, Tobias Schlierenbeck, skrupelloser Anwalt, Menschenhasser und bekennender Egozentriker, war nur noch ein dümmlich vor sich hin grinsendes Nervenbündel.

      Um mir weitere Peinlichkeiten zu ersparen, fasse ich das sich im Anschluss an diese blamable Situation entstandene Gespräch einfach für Sie zusammen.

      Es stellte sich heraus, dass dieser Herkules, mit dem sich Charly noch vor ein paar Minuten unterhalten hatte, ihr krankhaft eifersüchtiger Freund gewesen war. Die Betonung lag natürlich auf war. Charly hatte es mit ihm einfach nicht mehr ausgehalten und vor über einem Monat die Beziehung – die eigentlich nie eine richtige gewesen war – beendet.

      Doch dieses geistig zurückgebliebene Muskelgebirge