Das Gesetz der Vier. Edgar Wallace. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742759429
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die sich ein Vorbild an den Patriarchen des Alten Testaments nehmen und die milden Lehren des Neuen Testaments nicht kennen.«

      Inzwischen waren sie vor Tablemans hübschem, modernem Haus angekommen. Es lag in einer der Straßen, die von King's Road abzweigen. Offenbar war die Nachricht von dem traurigen Ereignis bis jetzt nicht bekanntgeworden, denn die übliche Menge neugieriger Zuschauer hatte sich noch nicht eingefunden. Ein Detektiv erwartete sie und führte Mr. Fare durch einen gedeckten Gang, der an der Seite des Hauses entlanglief. Dann stiegen sie eine Reihe von Stufen empor, die direkt zu dem Laboratorium führten. Der große Raum zeigte kein ungewöhnliches Aussehen, nur war er sehr gut erleuchtet, da eine der Wände aus einem großen Fenster bestand und die Decke des Raumes von einem abfallenden Glasdach gebildet wurde. Breite Arbeitstische standen an den beiden Längsseiten; ein großer Tisch in der Mitte war mit wissenschaftlichen Apparaten bedeckt, während zwei lange Regale über den Tischen mit Flaschen und Gefäßen gefüllt waren, die wahrscheinlich Chemikalien enthielten.

      Ein hübscher junger Mann erhob sich von einem Stuhl, als sie eintraten.

      »Ich bin John Munsey«, sagte er, »der Neffe des Professors. Vielleicht entsinnen Sie sich an meinen Namen, Mr. Fare? Ich assistierte meinem Onkel bei seinen Experimenten.«

      Fare nickte. Er betrachtete die Gestalt, die zwischen den Bänken und dem großen Tisch auf dem Boden lag.

      »Ich habe ihn nicht angerührt«, sagte der junge Mann mit leiser Stimme. »Ich habe alles so gelassen, wie es war. Nur die Detektive, die hierherkamen, haben seine Lage etwas verändert, um dem Arzt bei der Untersuchung zu helfen.«

      Professor Tableman war von großer, hagerer Gestalt. In seinen Gesichtszügen prägten sich unverkennbar Schrecken und Todesangst aus.

      »Es sieht so aus, als ob er erwürgt worden wäre«, meinte Fare. »Hat man einen Strick oder eine Schnur gefunden?«

      »Nein. Auch die Detektive äußerten die Ansicht, und wir haben daraufhin das ganze Laboratorium eingehend untersucht, aber nichts Derartiges gefunden.«

      Gonsalez kniete bei dem Toten nieder und schaute interessiert auf den nackten Hals. Um die Kehle lief ein blauer Streifen, der tief eingeschnitten war. Zuerst hielt er ihn für ein Band aus durchsichtigem Stoff, aber bei näherer Betrachtung erkannte er deutlich, daß nur die Haut so verfärbt war. Dann schaute er auf den Tisch, neben dem der Professor niedergefallen war.

      »Was ist denn das?« fragte er und zeigte auf eine kleine grüne Flasche, neben der ein leeres Glas stand.

      »Das ist eine Flasche Likör«, erwiderte Mr. Munsey. »Mein armer Onkel trank gewöhnlich ein Gläschen, bevor er sich schlafen legte.«

      »Gestatten Sie?« fragte Leon, und Fare nickte.

      Gonsalez nahm das Glas auf und roch daran, dann hielt er es gegen das Licht.

      »Das Glas wurde gestern abend nicht mit Likör gefüllt. Er muß also getötet worden sein, bevor er trinken konnte«, sagte Mr. Fare. »Mr. Munsey, würden Sie mir einmal die ganze Geschichte erzählen, soweit Sie sie wissen? Schlafen Sie eigentlich hier im Hause?«

      Nachdem Mr. Fare den Detektiven einige Aufträge gegeben hatte, folgte er dem jungen Mann in die Bibliothek des verstorbenen Professors.

      »Ich war der Assistent meines Onkels und seit drei Jahren sein Sekretär«, begann Mr. Munsey. »Das Verhältnis zwischen uns ist immer herzlich gewesen. Mein Onkel brachte den Morgen gewöhnlich in der Bibliothek zu, am Nachmittag arbeitete er entweder im Laboratorium oder in seinen Arbeitsräumen auf der Universität. Nach dem Abendessen beschäftigte er sich dann mit seinen Experimenten im Laboratorium, bis er sich schlafen legte.«

      »Speiste er gewöhnlich zu Hause?« fragte Mr. Fare.

      »Ja. Nur wenn er abends noch eine Vorlesung hatte oder in einer wissenschaftlichen Gesellschaft einen Vortrag hielt, speiste er im Royal Society's Club in der St. James' Street.

      Wie Sie wahrscheinlich wissen, hatte sich mein Onkel mit seinem Sohn Stephen überworfen. Der junge Tableman ist ein guter Freund von mir, und ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, um die beiden wieder miteinander auszusöhnen. Ungefähr vor zwölf Monaten schickte mein Onkel nach mir und sagte mir hier in der Bibliothek, daß er sein Testament geändert und sein ganzes Vermögen mir vermacht hätte. Sein Sohn wäre vollständig enterbt. Ich war sehr beunruhigt, ging sofort zu Stephen und bat ihn, keine Zeit zu versäumen und sieh mit seinem Vater wieder zu vertragen. Aber Stephen lachte nur und sagte, daß ihm nichts an dem Geld seines Vaters läge und daß er lieber auf sein Erbe verzichten wolle, bevor er Miss Faber aufgäbe. Der ganze Streit mit seinem Vater drehte sich nämlich um seine Verlobung. Er wollte lieber mit dem kleinen Einkommen vorliebnehmen, das ihm aus dem Erbteil seiner Mutter zufloß. Als ich bei meinem Vetter nichts ausrichten konnte, ging ich zu dem Professor zurück und bat ihn, seinen Sohn wieder als Erben in sein Testament einzusetzen. Ich gebe zu«, fuhr er lächelnd fort, »daß ich wohl ein kleines Legat erwarten durfte. Ich habe dasselbe Spezialgebiet als Wissenschaftler wie mein Onkel, und ich habe den Ehrgeiz, seine Lebensarbeit fortzusetzen. Aber der Professor wollte nichts von meinem Vorschlag hören. Er war sehr ungehalten und ärgerlich, und ich hielt es für besser, nicht weiter über die Angelegenheit zu sprechen. Trotzdem legte ich mit der Zeit immer wieder ein gutes Wort für Stephen ein, und als der Professor letzte Woche in einer ungewöhnlich günstigen Stimmung war, habe ich die ganze Sache wieder vorgebracht, und er stimmte auch zu, daß er seinen Sohn wieder sehen wolle. Sie trafen sich hier im Laboratorium. Ich war bei der Unterredung nicht zugegen, aber ich nehme an, daß es einen schrecklichen Streit gegeben hat. Als ich hereinkam, war Stephen schon fort. Mr. Tableman war außer sich vor Zorn. Offensichtlich hat er darauf bestanden, daß Stephen seine Verlobung lösen solle, was dieser schroff ablehnte.«

      »Auf welchem Weg kam Stephen denn in das Laboratorium?« fragte Gonsalez. »Gestatten Sie, daß ich diese Frage stelle, Mr. Fare?« Der Polizeidirektor nickte.

      »Er kam durch den seitlichen Gang. Nur wenig Leute betreten das Haus, außer solchen, die in rein wissenschaftlichen Angelegenheiten kommen.«

      »Dann kann man also zu jeder Zeit ins Laboratorium gelangen?«

      »Ja, bis abends das äußere Gartentor abgeschlossen wird«, erwiderte der junge Mann. »Mein Onkel pflegte jeden Abend noch einen kleinen Spaziergang zu machen, bevor er zu Bett ging, und benutzte gewöhnlich diesen Ausgang.«

      »War das Gartentor gestern abend geschlossen?«

      »Nein. Das war eins der ersten Dinge, die ich nachprüfte. Das Tor nach draußen war nicht zugeschlossen und stand nur angelehnt. Es ist ja eigentlich kein festes Tor, sondern nur ein Eisengitter, wie Sie wohl bemerkt haben.«

      »Fahren Sie nur fort«, sagte Mr. Fare und nickte.

      »Der Professor beruhigte sich allmählich wieder. Ein paar Tage lang war er sehr still und nachdenklich. Ich glaube, sein Verhalten tat ihm leid. Am Montag – was haben wir heute? Donnerstag – ja, es war Montag, sagte er zu mir: ›John, wir wollen noch einmal über Stephen sprechen. Glaubst du, daß ich ihm Unrecht getan habe?‹ – ›Du warst sehr hart gegen ihn, Onkel‹, erwiderte ich. ›Ja, vielleicht war ich zu schroff. Miss Faber muß doch ein sehr anziehendes Mädchen sein, wenn Stephen ihretwegen auf sein Erbe verzichten will.‹ Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet, und ich versuchte nun mit allen Mitteln, meinen Onkel wieder für Stephen günstig zu stimmen. Schließlich gab der alte Mann nach und sandte Stephen ein Telegramm, in dem er ihn bat, gestern abend noch einmal hierherzukommen. Der Professor muß schwer mit sich gekämpft haben, um seinen Widerstand gegen Miss Faber aufzugeben, denn wenn es sich um erbliche Belastung handelte, war er sonst ganz fanatisch und unbeugsam –«

      »Was meinen