Er hörte seinen Gästen, die zu ihm zu Besuch kamen, immer freundlich lächelnd zu; manchmal sagte er auch selbst wohl ein Wort, aber größtenteils fragte er sie bloß aus. Er gehörte nicht zu jenen Greisen, die allen Leuten durch ihr unaufhörliches Preisen der alten Zeit und durch das Schmähen des Neuen lästig fallen: im Gegenteil, er erkundigte sich stets nach allem und zeigte großes Interesse und lebhafte Teilnahme für Ihre Lebensverhältnisse, Ihre Erfolge und Misserfolge — gewöhnlich interessieren sich ja alle guten alten Leute dafür, obwohl ihre Teilnahme uns an die Neugierde eines Kindes erinnert, das mit Ihnen spricht und dabei eingehend das Zifferblatt Ihrer Uhr mustert. Man kann wohl sagen, daß sein Gesicht in solchen Augenblicken vor Güte strahlte.
Die Zimmer des Häuschens, in dem unsere Alten lebten, waren klein und niedrig, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus der guten alten Zeit antreffen. Jede Stube war mit einem riesigen Ofen versehen, der fast den dritten Teil des Raumes einnahm. In diesen Zimmern war es immer furchtbar warm, weil Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna beide die Wärme sehr liebten. Das gesamte Heizmaterial war im Flur aufgestapelt, der fast bis zur Decke mit Stroh angefüllt war, welches in Kleinrussland gewöhnlich statt des Holzes verwendet wird. Das Knistern und die Farbe des brennenden Strohs geben dem Flur an den Winterabenden etwas besonders Anziehendes, wenn die ausgelassene Jugend, die wohl draußen einer braunen Schönen nachjagte, plötzlich ganz erfroren hereinstürmt und sich lachend die Hände wärmt. Die Zimmerwände waren mit Bildern
und Bildchen in alten, schmalen Rahmen geschmückt: ich bin überzeugt, daß die Sujets dieser Bilder selbst von den Wirten längst vergessen waren, und wenn man ein paar davon entfernt hätte, wäre es den Alten sicherlich nicht aufgefallen. Zwei dieser Bilder waren größer und in Öl gemalt: das eine stellte einen Bischof dar, das andre Peter III. Aus einem schmalen Rahmen blickte das ganz von Fliegen beschmutzte Gesicht der Herzogin von La Vallière hervor. Um die Fensterrahmen herum und über den Türen hing eine Menge kleinerer Bilder, die man unwillkürlich für Flecke an der Wand hält und daher nicht näher betrachtet. Der Fußboden bestand fast in allen Zimmern aus Lehm; aber er war so schön gepflegt und so sauber gehalten, wie kaum ein Parkett in einem vornehmen Hause, welches von faulen, schläfrigen Livreedienern gefegt wird.
Pulcheria Iwanownas Zimmer war ganz mit Kisten und Kasten, Kistchen und Kästchen verstellt. An den Wänden hingen unzählige Bündelchen und Säckchen mit Blumen-, Gemüse- und Wassermelonensamen. In den Ecken standen mehrere Koffer; in diesen und zwischen diesen wurden viele Knäule buntfarbiger Wolle, sowie Stoffreste von altmodischen Kleidern, die vor einem halben Jahrhundert genäht waren, aufbewahrt. Pulcheria Iwanowna war eine sorgsame Hausfrau und hob alles auf, obschon sie selbst nicht wußte, warum.
Aber das allerbemerkenswerteste im Hause waren die singenden Türen. Sobald der Morgen graute, hörte man den Gesang der Türen durchs ganze Haus erschallen. Ich weiß nicht, warum sie eigentlich sangen. Vielleicht waren die verrosteten Angeln schuld daran, vielleicht
aber hatte auch der Mechaniker, der sie gebaut, ein Geheimnis in sie hineingelegt. Was jedoch am meisten auffiel war dies, daß jede Tür ihre eigene Stimme hatte. Die Schlafzimmertür sang im höchsten Sopran, die des Speisezimmers krächzte im Bass, dafür gab die Flurtür einen ganz seltsamen, dröhnenden und ächzenden Laut von sich, so daß man bei längerem Hinhören deutlich die Worte »Väterchen, mich friert!« zu vernehmen glaubte. Ich weiß wohl, daß vielen dieses Geräusch nicht gefällt, aber ich liebe es sehr, und wenn ich es zufällig höre, steigt sofort das Dorf vor meinem Geiste auf: das niedrige, nur schwach vom Licht altmodischer Leuchter erhellte Zimmerchen, der Tisch mit dem Abendessen, die dunkle Mainacht, die durch das geöffnete Fenster über den gedeckten Tisch fällt, die Nachtigall, welche Garten und Haus und den Fluß in der Ferne mit ihrem Gesang erfüllt, das Raunen und Flüstern der Zweige .... Herrgott, welch eine unabsehbare Kette von Erinnerungen zieht dann an mir vorüber!
Die hölzernen Stühle im Zimmer waren, wie das in der alten Zeit üblich war, alle massiv; sie hatten hohe, geschnitzte Lehnen, in der Naturfarbe, ohne Lack und Anstrich; ja sie waren nicht einmal mit Stoff bezogen und erinnerten einigermaßen an die Stühle, auf welchen auch in unserer Zeit noch die Bischöfe zu sitzen pflegen. In den Ecken standen dreieckige und vor dem Sopha und dem Spiegel mit dem schmalen, goldenen Rahmen — dessen geschnitzte Blätter die Fliegen mit schwarzen Punkten übersät hatten — viereckige Tische; vor dem Sopha war ein Teppich mit Vögeln, die wie Blumen, und mit Blumen, die wie Vögel aussahen, ausgebreitet; das war
so ziemlich die gesamte Ausstattung des anspruchslosen Häuschens, in dem unsere alten Leutchen lebten.
Das Mädchenzimmer war von jungen und alten Mädchen in gestreiften Leinwandröcken erfüllt; dann und wann gab Pulcheria Iwanowna ihnen etwas zu nähen, oder sie ließ sie Beeren aussuchen, gewöhnlich aber liefen sie in der Küche umher, oder sie schliefen. Pulcheria Iwanowna hielt es für nötig, sie im Hause zu halten und wachte streng über ihr Betragen; aber zu ihrem großen Erstaunen verging kaum ein Monat, ohne daß der Umfang des einen oder des andern Mädchens in ganz ungewöhnlicher Weise zunahm. Dies war um so merkwürdiger, als es im ganzen Hause keinen Junggesellen gab, ausgenommen den Zimmerburschen, der barfuß, in einem kurzen grauen Frack umherlief und entweder aß, oder wenn er nicht damit beschäftigt war, ganz sicher schlief. Pulcheria Iwanowna schalt die Schuldige gewöhnlich aus und bestrafte sie streng, um in Zukunft einem Wiederholungsfall vorzubeugen. An den Scheiben der Fenster summten unzählige Fliegen, übertönt von dem tiefen Bass einer Hummel, der mitunter noch von dem grellen Summen der Wespen unterstützt wurde; sobald man jedoch ein Licht hineintrug, suchte die ganze Gesellschaft ihr Nachtlager auf, und eine schwarze Wolke bedeckte die ganze Zimmerdecke.
Afanassji Iwanowitsch kümmerte sich sehr wenig um die Wirtschaft, obgleich er manchmal zu den Mähern und Schnittern hinausfuhr und dann ohne Unterlaß zusehen konnte, wie sie arbeiteten; die ganze Last der Verwaltung lag auf den Schultern Pulcheria Iwanownas. Die wirtschaftliche Leitung Pulcheria Iwanownas bestand in einem unablässigen Öffnen und Schließen der Vorratskammern und im Salzen, Trocknen und Einkochen einer unzähligen Menge von Früchten und Gemüsen. Ihr Reich sah auf ein Haar einem chemischen Laboratorium ähnlich. Unter dem Apfelbaum flackerte beständig ein Feuer und der Kessel oder das Kupferbecken standen fast immer auf dem eisernen Dreifuß: dort kochte sie ihr Eingemachtes, ihre Gelées und Marmeladen aus Honig, Zucker und weiß Gott woraus sonst noch. Unter dem andern Baum vor einem kupfernen Kessel stand der Kutscher, der beständig Spiritus auf Pfirsichblätter — Faulbaumblüten — Tausendgüldenkraut — Kirschkerne usw. destillierte. Am Schluß dieses Verfahrens war er natürlich nie imstande ein vernünftiges Wort zu reden, sprach einen solchen Unsinn zusammen, daß Pulcheria Iwanowna nichts verstehen konnte, und ging endlich in die Küche, um sich schlafen zu legen. Von all diesem unnützen Zeug wurde so unendlich viel gekocht, getrocknet, eingesalzen usw., daß es wahrscheinlich den ganzen Hof überschwemmt hätte (Pulcheria Iwanowna liebte es, sich über ihren Bedarf hinaus noch einen Reservevorrat anzulegen; wenn nur nicht die größere Hälfte all dieser schönen Dinge von den Dienstmädchen verzehrt worden wäre. Sie schlichen sich in die Vorratskammern und aßen sich dort so voll, daß sie danach den ganzen Tag lang stöhnten und über Leibweh klagten.)
In den Ackerbau und die andern wirtschaftlichen Ressorts hatte Pulcheria Iwanowna nur einen geringen Einblick. Der Verwalter und der Dorfälteste bestahlen sie gemeinsam ganz unbarmherzig. Diese beiden hatten die Gewohnheit angenommen, im herrschaftlichen Walde ganz
wie in ihrem eigenen zu schalten: sie ließen eine Menge von Schlitten herstellen und verkauften sie dann auf dem nächsten Markte; außerdem verkauften sie den benachbarten Kosaken, welche Balken für ihre Mühlen brauchten, die dicken Eichenstämme. Einmal wollte Pulcheria Iwanowna ihren Wald inspizieren. Es wurde auch eine Kutsche mit einer riesigen Schutzdecke angespannt, als jedoch der Kutscher die Leinen anzog und die Pferde, die noch in der Miliz gedient hatten, davontrabten, da erfüllte die Kutsche die Luft mit ganz merkwürdigen Tönen, sodaß man plötzlich Flöten, Schellen und Trommeln zu hören glaubte: jeder Nagel, jede eiserne Klammer stöhnte so laut, daß man es sogar bei den über zwei Werst entfernten Mühlen hören