Zuerst haben sie von der Reue so gelehrt, daß sie diese dem Glauben an die Verheißung weit vorgezogen haben und noch viel schlimmer: sie wäre nicht ein Werk des Glaubens, sondern ein Verdienst. Ja sie gedenken seiner nicht einmal, so haften sie nämlich an den Werken und Beispielen der Schrift, wo man liest, daß viele die Gnade wegen der Zerknirschung ihres Herzens und ihrer Demut erlangt haben. Aber sie bemerken den Glauben nicht, der solche Zerknirschung und Schmerzen des Herzens bewirkt hat, wie von den Niniviten Jonas 3, 5 geschrieben steht: ›Die Leute zu Ninive glaubten an Gott und ließen predigen, man sollte fasten‹ usw. Noch vermessener und ärger als diese (die contritio) haben sie eine ›kleine Reue‹ (attritio) erdichtet, welche durch die Kraft der Schlüssel – die sie nicht kennen – zu einer rechten Reue würde. Diese schreiben sie den Gottlosen und Ungläubigen zu, um so die gesamte Reue abzutun. O unerträglicher Zorn Gottes, daß das in der Kirche Gottes gelehrt werden kann! Nachdem wir so den Glauben und sein Werk zugrunde gerichtet haben, gehen wir in falscher Sicherheit in den Lehren und Meinungen von Menschen einher, vielmehr wir verderben darin. Es ist ein groß Ding um ein zerschlagenes Herz, aber nur in dem Glauben, der durch die Verheißung und göttliche Drohung brennt, der die unerschütterliche Wahrheit Gottes sieht, davor zittert und erschrickt und so das Gewissen zerknirscht, es aber auch wieder erhöht, es tröstet und das zerknirschte Gewissen erhält. So wie die Wahrheit der Drohung Gottes die Ursache für die Zerknirschung ist, so ist die Wahrheit der Verheißung die Ursache für den Trost, wenn sie geglaubt wird und der Mensch mit diesem Glauben Vergebung der Sünden erlangt. Darum soll vor allen Dingen der Glaube gelehrt und erweckt werden; wenn der Glaube siegt, dann werden unfehlbar Zerknirschung und Trost von selbst folgen.
Deshalb (obwohl an ihrer Lehre etwas ist) lehren die, welche sagen, daß man zur Zerknirschung nur kommen könne, indem man seine Sünden (sozusagen) überdenkt und sich vor Augen hält, etwas ganz Gefährliches und Verkehrtes, solange sie nicht zuvor den Grund und die Ursachen der Reue lehren, nämlich die unerschütterliche Wahrheit der göttlichen Drohung und Verheißung, die uns zum Glauben rufen soll. Sie sollten einsehen, daß sie mit viel größerem Nachdruck auf die göttliche Wahrheit sehen müssen, durch die sie gedemütigt und erhöht werden, als auf die Menge ihrer Sünden. Wenn man sie außerhalb der göttlichen Wahrheit ansieht, wird man die sündlichen Begierden vielmehr erregen und vermehren als zur Reue zu führen. Ich schweige hier von der unüberwindlichen Mühe, die sie uns auferlegt haben, daß wir nämlich um aller Sünden willen zerknirscht sein sollten. Das ist doch unmöglich, wir können nur den geringsten Teil unserer Sünden kennen, zumal auch die guten Werke als Sünden anzusehen sind, wie Psalm 143, 2 sagt: ›Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht: denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.‹ Denn es ist genug, daß wir die Sünden bereuen, welche uns jetzt in unserm Gewissen quälen, die man kennt und an die man sich leicht erinnert. Denn wer so geängstigt ist, der ist ohne Zweifel bereit, alle Sünden zu bereuen und zu fürchten, und wird sie bereuen und sich davor entsetzen, wenn sie ihm künftighin offenbar werden.
Hüte dich also, auf deine Reue zu vertrauen oder die Sündenvergebung deinem Schmerz zuzuschreiben. Denn Gott sieht dich nicht deswegen an, sondern wegen deines Glaubens, durch den du seinen Drohungen und Verheißungen geglaubt hast, der einen solchen Schmerz überhaupt bewirkt hat. Und darum verdankt man nicht seiner Sorgfalt, mit der man seine Sünden aufzählt, sondern der Wahrheit Gottes und unserm Glauben, was Gutes in der Buße ist. Alles andere sind Werke und Früchte, die von selbst folgen; die machen nicht zu einem guten Menschen, sondern geschehen von dem, der schon durch den Glauben an die Wahrheit Gottes gut geworden ist. So ›ging Dampf auf von seiner Nase und verzehrend Feuer von seinem Munde, die Grundfesten der Berge regten sich und bebten, da er zornig war‹, wie Psalm 18, 8 f. sagt. Zuerst ist es das Erschrecken vor der Drohung, das die Gottlosen entzündet, dies nimmt der Glaube an und läßt den Dampf der Wolke der Reue aufsteigen usw.
Doch ist die Reue weniger der Tyrannei der Gewinnsucht, aber ganz der Gottlosigkeit und verderblichen Lehren anheimgefallen. Die Beichte aber und die Genugtuung sind vortreffliche Brutstätten des Gewinns und der Gewalt geworden. Zuerst die Beichte:
Es ist kein Zweifel, daß die Beichte der Sünden notwendig und von Gott geboten ist, Matth. 3, 6: ›Sie wurden von Johannes im Jordan getauft und bekannten ihre Sünden‹; 1. Joh., 1, 9 f.: ›Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt; wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.‹ Wenn also den Heiligen nicht erlaubt ist, ihre Sünden zu verleugnen, wieviel mehr müssen die ihre Sünden beichten, die öffentlicher und großer Sünden schuldig sind. Die Einrichtung der Beichte aber wird am allerschlagendsten Matth. 18, 15 ff. bewiesen, wo Christus lehrt, den Bruder, der an dir sündigt, zurechtzuweisen, ihn (vor die Gemeinde) zu stellen und anzuklagen, und wenn er darauf nicht hört, ihn aus der Gemeinde auszustoßen. Er wird hören, wenn er seine Sünde anerkennt und sie beichtet, der Zurechtweisung sich beugend.
Aber die Ohrenbeichte, wie sie jetzt allgemein begangen wird, gefällt mir – wenn sie auch aus der Schrift nicht bewiesen werden kann – doch außerordentlich gut, und sie ist auch nützlich, ja notwendig. Ich will auch nicht, daß sie nicht wäre, im Gegenteil, ich freue mich, daß sie in der Kirche Christi geübt wird. Denn grade sie ist den angefochtenen Gewissen eine einzigartige Hilfe. Wenn also das Gewissen sich unserem Bruder entdeckt hat und das Böse, das verborgen lag, vertraulich offenbart worden ist, empfangen wir aus dem Mund unseres Bruders das Wort des Trostes als von Gott gesprochen. Wenn wir es im Glauben annehmen, gibt es uns Frieden in der Barmherzigkeit Gottes, der durch den Bruder mit uns redet. Das allein verwerfe ich, daß solche Beichte der Tyrannei und der Geldschinderei der Päpste unterworfen ist. Denn sie behalten sich (d. h. ihrer Absolution) selbst geheime Sünden vor und gebieten, sie nur den von ihnen namhaft gemachten Beichtvätern zu beichten. Damit beunruhigen sie die Gewissen der Menschen und spielen sich allein als Bischöfe auf; die wahren Pflichten der Bischöfe aber (predigen und die Armen versorgen) werden von ihnen verachtet. Ja, diese ruchlosen Tyrannen behalten sich vor allem das (an Sünden) vor, was weniger wichtig ist, als da sind die lächerlichen und erdichteten Stücke in der Bulla In coena Domini; das Entscheidende jedoch überlassen sie weithin den einfachen Priestern. Ja, damit ihre schändliche Ruchlosigkeit desto offenbarer werde, behalten sie (ihrer Lossprechung) das, was gegen die Ehre Gottes, gegen den Glauben und die ersten Gebote verstößt, nicht vor. Sondern sie lehren und loben auch dergleichen wie jenes Herumgerenne der Wallfahrten, die falsche Heiligenverehrung, die erlogenen Heiligenlegenden, mancherlei Vertrauen auf Werke und äußerliche Zeremonien wie deren Übung, durch welche alle der Glaube an Gott ausgetilgt und Abgötterei begünstigt wird. Es ist am Tage, daß wir heute keine anderen Bischöfe haben als solche, wie sie einst Jerobeam zu Dan und Berseba eingesetzt hat (1. Kön. 12, 26 ff.): Diener der goldenen Kälber, die das Gesetz Gottes, den Glauben, und was zum Weiden der Schafe Christi gehört, nicht kennen, sondern dem Volk allein ihre Erfindungen mit Schrecken und Gewalt einprägen.
Obwohl ich rate, die Vergewaltigung durch die vorbehaltenen Dinge zu dulden – wie auch Christus gebietet, alle Tyrannei zu leiden, und uns lehrt, diesen Geldschindern gehorsam zu sein – leugne ich dennoch, daß sie ein Recht auf ihren Vorbehalt haben und glaube auch nicht, daß sie das auch nur mit einem Buchstaben beweisen können. Ich kann aber das Gegenteil beweisen. Erstens: Wenn Christus Matth. 18, 15 ff. von öffentlichen Sünden sagt, daß wir die Seele unseres Bruders gewonnen hatten, wenn er zur Verantwortung gezogen auf uns hört, und er sei der Kirche nur dann zu überantworten, wenn er nicht (auf uns) hören will – wenn also die Sünde so zwischen Brüdern aus dem Wege geräumt werden kann, wieviel mehr wird das dann auf verborgene Sünden zutreffen, daß sie aus dem Wege geräumt werden, wenn ein Bruder dem andern willig seine Sünde bekennt, so daß es nicht nötig ist, sie der Kirche, d. h. dem Prälaten oder Priester (wie sie in ihrer Auslegung schwätzen) bekanntzumachen? Für diese Auffassung haben wir auch eine andere Beweisstelle aus Christi Mund, wenn der Matth. 18, 18 sagt: ›Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch