Der lange Weg nach Däne-Mark. Sonja Reineke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sonja Reineke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847680895
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habe meine Hobbys, die sind auch nicht billig. Karate, das Benzin für das Motorrad, letztes Jahr brauchte ich neue Schutzkleidung, und so weiter. Und du? Du kaufst dir nur ab und zu einen Liebesroman, Mängelexemplare aus dem Supermarkt. Hau mal auf den Putz.“

      Er gab mir scheu einen Kuss auf die Stirn. Ich schmolz dahin, gleichzeitig wurde der Klumpen in meiner Brust noch schwerer. Auf die Stirn? Ein väterlicher Kuss auf die Stirn? Ich begann zu überlegen, wann er mich das letzte Mal so richtig auf den Mund geküsst hatte, wie ein Liebhaber. Ich schluckte, als mir klar wurde, dass ich es nicht wusste.

      Wahrscheinlich wollte er sich mit dem Geld freikaufen, sein Gewissen erleichtern. Während Svenja auf der Couch ihren leichten Rausch ausschlief, und Mark im Schlafzimmer ganze Wälder absägte, saß ich in Marks Lieblingssessel und starrte vor mich hin. Ich musste Svenja ja rechtzeitig wecken und mit ihr zu ihrer alten Wohnung fahren. Ihren Onkel hatte ich angerufen. Der kam jetzt eine halbe Stunde früher, damit wir nicht alleine auf ihn warten mussten. Er brachte noch zwei starke Männer extra mit. Gegen fünf Kraftprotze konnte sogar Rainer nichts ausrichten.

      Warum nur musste unsere schöne Beziehung so den Bach heruntergehen? Ich verstand es einfach nicht. Ich war nicht Marks erste Beziehung und er nicht mein erster Mann. Beide kannten wir den Alltagstrott, die Langeweile und das Auseinanderleben. Wieso musste es sich bei uns wiederholen? Gleich am Anfang hatte ich zu Mark gesagt: Wir müssen uns immer um einander bemühen. Man darf seinen Partner nicht für selbstverständlich hinnehmen. Der Alltagstrott ist auf Dauer tödlich. Und er hatte mir zugestimmt. Aber nach dem ersten wunderbaren Jahr entdeckte ich doch ein leichtes Bröckeln in der perfekten Fassade. Zuerst rasierte sich Mark täglich für mich. Dann nicht mehr jeden Tag. Dann wochentags fast gar nicht mehr und nur noch am Wochenende. Jetzt eigentlich nur noch, wenn wir irgendwohin wollten. Aber wenn wir uns nicht mehr küssten, brauchte er sich ja auch nicht mehr rasieren. Irgendwie logisch.

      Das mit dem Rasieren war natürlich nur ein Beispiel. Da waren viele Kleinigkeiten, die sich immer mehr summierten. Eigentlich wollten wir einmal im Monat einen Tag nur für uns reservieren. Egal, hatten wir geschworen, wie viel Stress wir auch hatten. Ein Tag und ein Abend gehörten nur uns allein. Aber aus den romantischen Restaurantbesuchen wurden dann Abende mit Freunden oder in der Kneipe mit Justus, und weil Justus gerade eine schwere Zeit durchmachte und sich scheiden ließ, blieb ich irgendwann fern, damit die beiden offen reden konnten. Es war ohnehin nicht sonderlich romantisch, in einer lauten Kneipe zu sitzen und Bier zu trinken. Das war dann aus unserem „egal wie stressig“ Romantiktag geworden. Und Mark kam nie mehr darauf zurück, dass das ja eigentlich anders geplant gewesen sei.

      Aber ich versuchte es, immer und immer wieder. Mir lag an Mark, und ich liebte ihn wirklich von ganzem Herzen. Ich wollte dem Alltagstrott nicht die Oberhand überlassen, und kämpfte hartnäckig und vielleicht auch verbissen um unsere Verliebtheit. In der Verliebtheitsphase riss Mark sich schier ein Bein aus. Wir unternahmen viel zusammen, fuhren mit dem Motorrad in ländliche Gegenden und picknickten dort. Und meistens hatte Mark eine Gegend ausgesucht, die menschenleer war. Nach dem Picknick lagen wir knutschend auf der Decke wie zwei Teenager. Und dann wurde aus dem Picknick ein Schäferstündchen. Oder wie Svenja einmal sagte, als ich von so einem Ausflug mit roten Bäckchen zurückkam: „Oh, ein Picknick? Und danach habt ihr das ‚P’ und das ‚N’ durch ein ‚F’ ersetzt?“

      Ja, so war es gewesen. Mark bekam nicht genug von mir und schmuste auch gern. Wenn wir mal einen Abend vor dem Fernseher hockten, dann aber eng umschlungen, küssend und streichelnd. Aber jetzt saß Mark immer in diesem verdammten Sessel hier, weit weg von mir. Ich hatte die Couch für mich allein. Marcel lag sowieso immer auf dem Boden unter dem Tisch, so wie der Hund meiner Großeltern früher. Es wäre also Platz genug für Mark auf der Couch gewesen neben mir, aber ...

      War das normal? Dass man sich ansah, ohne den Menschen zu sehen, in den man sich verliebt hatte? Dass man sich nicht mehr freute, sich abends wiederzusehen? Nicht mehr nebeneinander einschlief? Nur noch über die Arbeit oder die Nachrichten, vielleicht noch Marcels Noten und seine Unsportlichkeit sprach? Es stimmte wohl, dass Männer Abwechslung brauchten. Anscheinend hatte sich Mark an mir sattgesehen, sattgehört, satt gefühlt und satt geliebt.

      Tränen stiegen mir in die Augen, und mir war so elend zumute wie noch nie. Gleichzeitig wuchs in mir der Ärger. Er wusste doch selbst, wie so etwas war, hatte es am eigenen Leib erfahren, trotzdem ließ er einfach zu, dass es bei uns genauso ablief? Und ich, die ich immer mal wieder versuchte, den Trott zu durchbrechen, stieß auf Gleichgültigkeit. Mein Wille war langsam erlahmt, meine Negligé-Attacke war der letzte Versuch gewesen.

      Vorher hatte ich ein ganzes Jahr nicht aufgemuckt, hatte artig und dumm abgewartet und gehofft, es würde sich wieder bessern. Hatte mich – zugegeben - etwas gehen lassen, aber der Frust musste irgendwie runtergespült werden. Auf Alkohol stand ich zwar nicht so, aber hier ein Pralinchen und da ein Becherchen mit Eis kamen mir da zupass, wenn ich abends auf der Couch lag. Meistens war ich wegen Marks umfangreicher Hobbys ohnehin allein. Trotzdem hatte ich immer alles versucht, um so gut wie möglich auszusehen. Jeden Nachmittag um fünf zog ich mich ins Bad zurück, zog mir etwas Hübsches an und malte mir ein Gesicht auf, wie Marcel das respektlos nannte. Denn gegen sechs kam Mark von der Arbeit.

      Aber er sah mich ja kaum noch an.

      Am liebsten wäre ich da ins Schlafzimmer gerannt und hätte Mark wachgerüttelt, und das im doppelten Sinn. Hätte ihm all das ins schlaftrunkene Gesicht schreien mögen. Aber ich konnte es nicht.

      

       Bild 115915 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Mir war ziemlich übel, als ich auf Marlys Couch wieder zu mir kam. Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Am Umzugstag Cognac zu trinken? Aber da fiel mir wieder ein, weshalb ich hier war und den Cognac gebraucht hatte. Ich unterdrückte mühsam ein saures Aufstoßen.

      Marly saß zusammengekauert in dem großen Sessel und starrte auf den Boden. Sie hatte Tränen in den Augen, war blass und irgendwie leblos. Auch ihr Haar war ganz verwuschelt und ihre Bluse zerknittert. Dabei kannte ich Marly immer nur gut angezogen. Nur ihr Motorradoutfit ging überhaupt nicht. Darin sah sie immer doppelt so dick aus, wie sie war.

      Trotz ihres Übergewichts war Marly eigentlich recht hübsch, nun ja, gut gepflegt. Ich war sogar eifersüchtig damals, weil ich dachte, Rainer wäre an ihr interessiert. Aber das war, bevor ich wusste, dass Rainer nur Geld interessierte.

      Wie ich sie so ansah, stellte ich fest, dass Marly sich verändert hatte. Dabei hatten wir uns letzte Woche erst gesehen. Da war sie immer noch schick gewesen, fröhlich und glücklich. Erst jetzt sah ich, dass diese zerknitterte Bluse mindestens zwei Nummern zu groß war und ihr bis fast an die Knie reichte. Make-up trug sie auch keins und ihre Hose war auch ein so weit geschnittenes Ding, schlabbrig und schwarz. Marly trug nie schwarz, außer ihre Motorradhose. Sie liebte helle Farben. Was war denn da nur los?

      Ich richtete mich mühsam auf und zuckte zusammen.

      „Hey“, meinte Marly leise und sah mich an. Mich schauderte. Vorher, noch im Schock des Angriffs des Kotmonsters, wie Marly es treffend ausgedrückt hatte, war mir nichts aufgefallen. Aber jetzt sah ich, dass Marlys Augen bitter waren. So hatte ich sie noch nie gesehen. Irgendetwas war passiert, und es hatte aus meiner lebenslustigen, glücklichen Freundin eine traurige Frau gemacht, die viel älter aussah als vierzig.

      „Hey“, gab ich krächzend zurück. Wir sahen uns nur an.

      „Mein Hintern tut weh“, ächzte ich schließlich. Marly nickte.

      „Kein Wunder. Du bist von der Couch gekullert und hast dir den Steiß geprellt. Weißt du nicht mehr?“

      „Doch, natürlich“, log ich und rieb mir die Stelle. Einen schönen blauen Fleck würde das geben. Wieder schwiegen wir.

      „Wollen wir langsam los?“, fragte Marly schließlich.

      „Jetzt schon?“

      „Es