Das klang auch nicht besser, aber ohne Navi und Mobilfunk käme ich gut klar. Auf Satelliten pfeife ich ohnehin.
Ich entspanne mich wieder. George ist einfach in anderen Sphären unterwegs.
„Tja, da kann man wohl nur abwarten und Tee trinken und hoffen, dass der Sturm vorüberzieht, nicht wahr“, das sage ich nur, um zu signalisieren, dass ich meinem Mann zuhöre und daran teilhabe, was ihn bewegt. Ich hoffe, ich kann jetzt weiter lesen. Das Buch ist gerade so spannend.
„Ein Schutzschirm könnte die Erde retten“, sagt George und seine Augen leuchten.
Hmhm. Ich nicke und lächele ihn an. „Magst Du noch einen Orangensaft?“, frage ich ihn dann. Denn so ein Orangensaft ist gesund und er hat zumindest die gleiche Farbe wie die Sonne und mit meinem freundlichen Angebot gebe ich meinem Mann zu verstehen, dass das Gespräch für mich beendet ist. Ja, so harmonisch geht es bei uns zu.
Kapitel 5
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass mein Leben mit George nicht immer so friedlich verlaufen ist. Es hat auch bei uns stürmische Wasser gegeben, durch die wir das Schiff unserer Ehe manövrieren mussten. Okay, das ist möglicherweise kein besonders originelles Bild. Aber ich glaube die meisten Menschen können mit diesem Vergleich etwas anfangen.
Unser Sturm war ein Tornado gewesen. Sein Name war Sabine. Sabine war eine von Georges Sprechstundenhilfen. Eine schüchterne Kindfrau, zerbrechlich, mit Puppengesicht und einem hinreißend-erstaunten Augenaufschlag in mitternachtshimmelblau. Sie war fleißig, hatte Ambitionen, ohne dabei die hellste unter der Sonne zu sein. Doch das war nebensächlich. Denn vor allem liebte sie die Sterne. Vielleicht ein wenig weniger als mein Mann und auch ein wenig weniger als meinen Mann, aber immerhin teilten sie diese Leidenschaft – also die Sterne. Und auch jene für die Medizin. Sie hatten also allerlei zu teilen. Allemal mehr als George und ich. So kam dann eins zum Anderen.
Das Teleskop stand zunächst gar nicht auf unserer Dachterrasse, weil es die damals noch nicht gegeben hat. Es stand auf dem Dach des Hauses, in dem Georges Praxis ist. Im Nachhinein stellte sich dann auch heraus, dass George auf dem Dach nicht nur sein Teleskop aufgestellt hatte, sondern auch einen Esstisch. Den deckte er für Sabine und sich mit Tellern, Gläsern, Kerzen und allem anderen, was man braucht für ein romantisches Dinner zu zweit. Das tat er nicht einmal, nicht zweimal, sondern immer wieder. Um die Zeit zwischen dem Ende der Sprechstunde und dem Einbruch der Dunkelheit bestmöglich zu füllen.
Und das, obwohl ich George nie als romantischen Mann erlebt habe. Nicht am Anfang unserer Beziehung und jetzt erst recht nicht.
War ich eifersüchtig? Nein! Das glaubt jetzt natürlich wieder niemand. Worauf hätte ich denn eifersüchtig sein sollen? Ich war doch völlig ahnungslos! Ich hätte natürlich auf das Anhimmeln von Sternen eifersüchtig sein können. Aber wie lächerlich wäre das bitte gewesen? Ich kümmerte mich um meine Dinge, während George auf seinem Dach Liebe machte. Mit den Sternen, wie ich dachte. Mit Sabine, wie sich herausstellte. Aber das war eben ein Missverständnis. Mir fehlte also objektiv betrachtet nichts. Zumindest nichts, von dem ich mir bewusst war, dass es fehlte. Es kam möglicherweise daher, dass George und ich einander zwar sehr zugetan sind, aber nicht leidenschaftlich ineinander verliebt. Es gab keine Zeit, in der wir nicht die Hände voneinander hätten lassen können. Das kenne ich offen gestanden vor allem aus Romanen. Es reichte mir aber auch immer völlig aus, darüber zu lesen. Schmetterlinge flatterten durch meinen Bauch, wenn er sie galant umgarnte, verführte, liebte. In dieser Dichte, gab es das eben im wahren Leben nicht. Und es war völlig ungefährlich darüber zu lesen. Nur keine Verwicklungen, bitte! Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, dass die Liebe schon die Stärksten zu Fall gebracht hat. Wer wollte schon so enden, wie Catherine aus Die Sturmhöhe oder gar Madame Bovary?
Da passt man doch automatisch gut auf sich auf, damit einem dieses Schicksal erspart bleibt. Nun, George, passte da ein bisschen weniger gut auf sich auf. Ich bin mir bis heute sicher: Die Sterne sind schuld. Diese Schwärmerei hat ihn schwach werden lassen. Wie einen angesägten Baum. Es fehlte nur noch ein leichter Wind. Und dann kam gleich ein ganzer Tornado. War es da ein Wunder, dass er umkippte?
Kapitel 6
Die erste Putzhilfe meiner Mutter war eine Deutsche mit Namen Fischer. Sie hatte selbst drei Kinder und verdiente auf diese Weise für die Familie etwas dazu. Natürlich schwarz. Früher war das so. Da hieß das auch nicht schwarzarbeiten, sondern putzen gehen. Frau Fischer kam montags und freitags und wir bekamen sie eigentlich selten zu Gesicht. Sie war eine kräftige Person, die immer mit dem Fahrrad kam. Am Morgen schob sie ihr Klapp-Rad durchs Gartentörchen als wir schon in der Schule waren. Und mittags, wenn wir aus der Schule kamen, war sie bereits fort oder war gerade dabei, den Wischmopp wegzuräumen.
Meine Mutter brauchte die morgendliche Stunde, die zwischen unserem Verschwinden und Frau Fischers Auftauchen lag, um „klar Schiff zu machen“. So nannte sie das, wenn sie das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine verfrachtete und den Esstisch abwischte. Denn erst musste Ordnung herrschen und dann konnte sauber gemacht werden. Heute verstehe ich diese Vorgehensweise etwas besser. Früher, wenn ich mal krank zu Hause bleiben durfte, wunderte es mich. Warum begann meine Mutter mit der Putzerei, bevor ihre Hilfe da war? Wollte sie einen guten Eindruck auf sie machen? Eine Sauberkeit vorgaukeln, die wir gar nicht beherrschten? Während sie ihr in Wirklichkeit einfach Arbeit abnahm?
„Sie kann dann direkt mit dem richtigen Putzen anfangen“, erklärte sie mir, als ich einmal nachfragte. Ich hatte bis zu jenem Zeitpunkt nicht gewusst, dass es ein richtiges und ein nicht so richtiges Putzen gab. Das richtige Putzen, in das Frau Fischer einstieg, sobald sie ihren Mantel oder ihre Jacke verstaut und die Hausschuhe angezogen hatte, bestand zunächst darin, beinahe alles, was mit den Füßen den Boden berührte, also bodenständig war, (kleiner Scherz, da bekommt das Wort doch gleich mal eine ganz neue Bedeutung), nach oben zu stellen: Stühle, Hocker, Waage, und Papierkörbe. Die Tische blieben stehen, denn auf ihnen wurden die Sachen in Sicherheit gebracht, die zuvor den Boden berührt hatten. Dann wurde gesaugt und gewischt. Bevor dann schließlich alles, was in Sicherheit gebracht worden war, wieder auf den Boden kam.
Frau Fischer war freundlich und unauffällig. Bis auf das metallene Dreieck, das sie auf dem Kopf trug. Es sollte helfen, sie vor schlechter Energie zu schützen, erklärte sie uns, als wir fragten. Ich dachte an Gespenster und an andere übernatürliche Kräfte. Meine Mutter fand das alles ziemlich albern und verdrehte ständig die Augen, wenn Frau Fischer ihr Tipps geben wollte, wie sie mit ihrer guten Energie haushalten könnte.
Frau Fischer war außerdem Zeugin Jehovas. Was das genau bedeutete, verstand ich als Kind nicht so genau. Während des Studiums dann, standen jeden Samstag ein bis zwei Zeugen Jehovas vor der Tür meines Studentenwohnheimzimmers und hörten gar nicht mehr auf, über die Vorzüge des Zeugendaseins zu sprechen. Diese ließen sich dahingehend verknappt zusammenfassen, dass eigentlich nur die Zeugen Jehovas ins Paradies kamen.
Frau Fischer lamentierte manches Mal darüber, dass ihr Mann unter schweren, berufsbedingten Rückenschmerzen litt – er arbeitete als Schreiner und musste sich viel bücken und viel schleppen. So wünschte sich Frau Fischer beim Putzen manchmal laut, dass Armageddon doch bald kommen möge, damit ihr Mann endlich von seinen Schmerzen erlöst würde. Da war selbst meine Mutter kurz sprachlos gewesen. Dann sagte sie, dass sie überhaupt nicht bereit sei für dieses Armageddon. Musste sie auch gar nicht. Denn Frau Fischer wartete nicht auf Armageddon, sondern verschwand schon vorher, nach etwa fünf Jahren im Dienste unserer Familie, sang- und klanglos wieder aus unserem Leben. Sie