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gestern, spürte der Hund von Detective Sutton den abgetrennten Schädel auf. Er war hundert Meter vom Fundort des Körpers entfernt und nicht mehr als einen halben Meter tief im weichen Sand des ausgetrockneten Creeks vergraben, verpackt in eine weiße Plastiktüte ohne Aufschrift, zwischen den Kiefern einen hellblauen Slip. Die übrigen Kleider, ein hellblauer BH, ein violettes T-Shirt, ein schwarzer Minirock und schwarze, abgestoßene Pumps steckten ebenfalls in der Tüte. Weder Ausweis noch Führerschein, noch Portemonnaie hatte der Mörder zurückgelassen.

      Bis jetzt war die Tote eine Unbekannte, ermordet vor etwa einem halben Jahr. Das Missing Persons Bureau durchforstete seine Datenbank. Wahrscheinlich konnte man bald die Identität der Toten klären. Am Vorabend waren die Überreste in Brisbane eingetroffen – und heute Morgen lagen sie auf Howards Tisch.

      Noch immer in Gedanken bei dem grausigen Anblick fädelte er sich in den stockenden Verkehr ein und versuchte das Bild der massakrierten Frau zu vergessen. Manchmal schreckte ihn ein Alptraum auf: Er wurde an einen Tatort gerufen, und vor ihm lag eine Frau, die er kannte. In einem solchen Moment war ihm danach, Kim anzurufen, doch dann wusste er nicht, was er ihr sagen sollte, und ließ es sein. Kim ...

      Es war purer Zufall, dass er vor drei - oder waren es vier? –Wochen Kim begegnet war, bei Woolworth vor der Eiscreme-Truhe. „Wie geht es Pamela?“, hatte er gefragt. Sie quälte aus ihrem blassen Lotusblumengesicht ein Lächeln hervor. Ihre Mutter stammt aus Taiwan.

      „Gut. Sie will zur Polizei“, und dabei sah sie ihn vorwurfsvoll an. Als könnte er etwas dafür! Aber so war sie schon immer.

      „Zur Polizei?“, sagte er, „dann muss ich ja doch einen guten Eindruck bei ihr hinterlassen haben!“ Er grinste unbeholfen. Ihr Blick glitt von ihm zu den Tiefkühlgerichten und wieder zurück. Sie kennt ja diese Sprüche, fiel ihm ein. „Ich hoffe, sie sieht dir immer noch ähnlicher als mir“, spaßte er weiter und war irgendwie erleichtert, als sie endlich den Einkaufswagen losließ, an den sie sich die ganze Zeit geklammert hatte. Sie knipste ihre Handtasche auf, zog ein Foto aus dem Portemonnaie. Er betrachtete das lächelnde, dunkelhaarige Mädchen mit der hellen Haut und den Mandelaugen.

      „Sie hat die letzten Schul-Tennismeisterschaften gewonnen.“

      „Warum wird sie nicht Tennislehrerin?“, fragte er. Er wollte etwas Lustiges sagen, anstatt zu fragen, warum sie ihm das nicht selbst gesagt hatte. Aber Kim steckte das Fotos zurück und schloss die Handtasche.

      „Ich muss jetzt los“, meinte sie, und er sah ihr nach, wie sie sich wieder an den Einkaufswagen klammerte, hinter den Süßigkeiten verschwand, eilig, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wie lange will sie ihn noch büßen lassen?

      An der Kasse merkte er, dass er fast alles vergessen hatte, was er hatte einkaufen wollen.

      Er war inzwischen in der Roma Street angekommen und steuerte den weißen Toyota Corolla in die Tiefgarage des Police Headquarters. In der Eingangshalle musste er sich durch lange Schlangen junger Menschen zwängen. Er befürchtete eine Demonstration, sah aber dann im Vorbeigehen das Schild: Bewerbungen hier. Ihr wollt alle Cop werden?, dachte er. Wisst ihr, dass Cops eine weit unter dem Durchschnitt liegende Lebenserwartung, Alkohol- oder Drogenprobleme und gescheiterte Ehen haben? Einer aus der Schlange lächelte ihn an. Mann, Junge, such dir was anderes, so lange du noch kannst, wollte er sagen, aber er zuckte nur die Schultern. Dann nickte er dem Pförtner zu, grüßte den Sicherheitsbeamten, hielt seine Erkennungsmarke an die elektronische Schranke und fuhr mit dem Aufzug hinauf.

      Jack schluckte hastig einen Bissen Sandwich herunter, als hätte Shane ihn bei etwas Verbotenem erwischt.

      „Ich mach dir keine Diätvorschriften, Jack“, sagte Shane, „ich bin nicht Ann.“ Jack stöhnte und klopfte sich auf den Bauch. Er war ein bulliger Kerl mit raspelkurzem Haar, kräftigem Kiefer und schlechten Manieren, der aber seine Frau Ann in den Himmel hob.

      „Wie soll ich bis Weinachten zehn Kilo abnehmen, he?“ Er stopfte den Rest Sandwich in den Mund und deutete auf Shanes aufgeplatzte Lippe.

      „War wohl ne scharfe Nummer, was?“

      Shane ließ sich hinter seinen Schreibtisch auf den Drehstuhl fallen. „Oder ist wieder mal dein südländisches Blut hochgekocht?“, fügte Jack grinsend hinzu und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

      „Halt die Klappe, Jack!“, brummte er übelgelaunt. An die letzte Nacht wollte er nicht auch noch erinnert werden. Und an seine Mutter auch nicht unbedingt. Seit sie diesen neuen Typen hatte, war sie völlig abgehoben. Will hier und Will dort – und sein Vater war nur noch der alte Ex-Bulle, der jetzt völlig den Verstand verloren hatte und seit Jahren an einem Buch über Wale schrieb.

      „Und, was sagt Howard?“, holte ihn Jack wieder zurück. Shane stöhnte. „Er war’s wohl wieder.“ Und dann unterrichtete er ihn über die neuen Fakten.

      Jack stand auf und ging breitbeinig zur Pinnwand, an die sie die Fotos der Opfer und die wichtigsten Informationen und Ortsangaben gesteckt hatten. Eine grausige Collage, dachte Shane.

      „Wir haben gerade einen Hinweis von Kathy aus dem Missing Persons Bureau bekommen“, sagte Jack und steckte eine weitere rote Nadel auf die Landkarte. „Scheint, als hätten wir eine weitere Leiche identifiziert: Eine gewisse Jennifer Miller, zweiundvierzig, wurde von ihren Eltern vor einem halben Jahr als vermisst gemeldet.“ Er drehte sich zu Shane um: „Und jetzt pass auf: Sie beschrieben ihre Kleider folgendermaßen: Violettes T-Shirt, schwarzer Rock.“ Er steckte das Foto einer Frau mit Sommersprossen und rotem, üppigen Haar zu den Fotos der anderen Opfer auf die Landkarte Queenslands.

      „Wann, sagt Howard, ist sie ermordet worden?“, fragte Jack.

      „Vor einem halben Jahr vielleicht“, antwortete Shane. Jack trat zwei Schritte zurück. „Also, ein Gebiet von etwa tausend Quadratkilometern. In diesem Umkreis muss der Täter irgendwo wohnen oder arbeiten.“ Er strich sich über seinen rasierten Schädel und verzog das Gesicht. „Mein Gott, hier sind acht Leute damit beschäftigt, und wir kommen einfach nicht weiter! Und Al verliert langsam die Geduld. Hättest ihn gestern mal erleben sollen!“ Er verdrehte die Augen. „Die Presse heizt ihm ganz schön ein.“ Shane brummte, seine Kopfschmerzen wurden nicht besser und seine Lippe riss bei jedem Wort wieder auf.

      „He, Shane! Aufwachen!“, sagte Jack und stemmte die kräftigen Arme in die Seiten, „ erinnerst du dich an den Fall Hancock? Vier ganze Jahre haben wir gebraucht, um den Kerl zu fassen! Aber, wir haben’s geschafft!“

      Shane winkte ab. Er konnte sich nur allzu gut an den Fall erinnern. Der Fall Hancock hatte ihm die Beförderung gebracht. Kim war unendlich stolz auf ihn gewesen, und er hatte endlich das Gefühl gehabt, etwas erreicht zu haben In den darauffolgenden Monaten arbeitete er noch härter, weil er seiner Beförderung gerecht werden und beweisen wollte, dass er sie verdient hatte. Sein Privatleben reduzierte sich auf ein paar Stunden Schlaf, ein hastiges Frühstück und einen flüchtigen Kuss. Seine Tochter bekam er kaum noch zu Gesicht. Entweder schlief sie noch, wenn er zur Arbeit musste, oder sie schlief schon, wenn er irgendwann nachts nach Hause kam, erschöpft und mit Bildern ermordeter Menschen vor Augen und Lügen der Verbrecher im Ohr. Oft schreckte er nachts auf und trank dann ein paar Bier - später härtere Sachen, und Kim reichte schließlich die Scheidung ein. Okay, da waren auch ein paar Frauengeschichten ... Jedenfalls ... nachdem sie mit Pamela an der einen Hand und mit einem Koffer in der anderen, eines Morgens das Apartment verlassen, hatte, trank er noch mehr und fing mit Pferdewetten an.

      Schließlich hatte er sich gesagt, dass es so nicht weitergehen konnte, versuchte, weniger zu wetten, weniger zu trinken und sich auf seine Karriere zu konzentrieren. Was ihm alles nicht allzu gut gelang.

      „Hallo Al!“, sagte Jack und Shane sah zur Tür. „Hallo Jungs!“ Al Marlowe, das auch noch, dachte Shane. Al, Koordinator in der Homicide Squad, ein ungeschlachter Mann, dessen schiefe, grobe Nase, seine Vergangenheit als Ringer glaubwürdig machte, stand in der Tür. Wie immer war sein Hemd zu eng und seine Hose zu kurz – als müsste er immer noch die Sachen eines älteren Bruders auftragen.

      „Shane, wie siehst du denn aus?“, sagte Al und verzog das Gesicht. „Reden wir