Seit alten Zeiten zeichnen sich die militärischen Strafen durch besondere Grausamkeit aus. An der wilden Soldateska des Dreißigjährigen Krieges sühnte die beleidigte Gerechtigkeit die zahllosen Untaten mit Spießrutenlaufen, Rad und Galgen. Was wurde damals gehängt! Wie viele Knochen wurden von den Strafwerkzeugen gebrochen! Die Kriegsjustiz sandte mehr Krüppel ins Land als alle Schlachten. Man erzählt von einem alten Haudegen, der als Vorsitzender eines Kriegsgerichts die Sitzung abbrach, indem er das Buch zuklappte und dem Profossen zurief: »Es ist das beste, wir beginnen mit der Exekution!«
Heute kennt die Justiz weder Wippe noch Rad. Nur noch Paragraphen. Aber die eben angeführten Worte des Marschalls von Monluc, die in ihrer rauen Aufrichtigkeit so bezeichnend sind, müssten heute über der Pforte jedes Kriegsgerichtes stehen. Sie sind symbolisch. Und das Bild des alten Kriegsmannes müsste in jedem Sitzungszimmer hängen; denn er hat es erkannt und in wahrhaft klassische Form gebracht, dass es bei der militärischen Justiz nicht auf den Paragraphenplunder, sondern einfach auf die Strafe ankommt. Diese Justiz will nicht prüfen und wägen, wie die bürgerliche – es soll. Sie will auch nicht vergelten. Sie überzahlt. Sie hat die Aufgabe, den »Untertanen« an das Prinzip der Autorität, der unbedingten Disziplin zu erinnern. Sie hat ihm die Grenzen seiner Freiheit zu zeigen. Das bürgerliche Leben bringt eine höchst gefährliche Gleichmacherei mit sich. Also muss daran erinnert werden, dass es noch Klassen gibt. Das ist die Aufgabe der Kriegsgerichte. Der Vorgesetzte wird gestreichelt, der Untergebene gepeitscht. Das unverfälschte Prinzip der Reaktion, nackter Klassenegoismus! Wir entrüsten uns, dass es in Russland noch Kirchenstrafen gibt, Verbannungen ins Kloster usw. Sind wir besser daran? Wehe dem Bürger, der vergisst, dass er an einem Tage im Jahre unter die Zuständigkeit der militärischen Gerichtsbarkeit fällt! Wehe dem, der in die Fußangeln ihres Strafsystems gerät!
Ein seltsamer Zufall wollte es, dass das Erfurter Urteil in die Zeit fiel, da der Reichstag die größte je an ein Parlament gestellte Militärforderung endgültig zu bewilligen hatte. Nicht der schwärzeste Reaktionär wagte das Urteil zu verteidigen. Nicht einmal der Kriegsminister. Sogar die Liberalen wurden energisch und verlangten ein Notgesetz. Gut gemeint! Aber von vornherein hätte man Kautelen erzwingen müssen; die völlige Neuschaffung des militärischen Rechts wäre mit die wichtigste gewesen. Die Regierung würde sich gesträubt haben – viel mehr noch als in der Frage des Gardeprivilegs. Nun, so hätte man ihre Vorlage ruhig in Scherben gehen lassen müssen.
Aber es wäre töricht, so viel Tatkraft von unseren »bürgerlichen « Politikern zu verlangen. Es hätte sich ja nur um die Gerechtigkeit gehandelt. Wer regt sich deswegen auf? Die Sozialisten und die paar verbohrten Demokraten. Die Herren, die bei jeder Gelegenheit »unser Geistesleben retten«, mögen es sich gesagt sein lassen, dass wir das Erfurter Urteil für einen viel schlimmeren Schlag gegen die Kultur halten als das Verbot von zehn Festspielen.
Der Kriegsminister versicherte, dass die Richter nur ihre Pflicht täten. Das muss man ihnen eben zum Vorwurf machen. Das Gesetz ist grausam. Und nicht einen Fingerbreit weichen sie von seinen harten Paragraphen ab. Nicht einer schenkt der milderen Regung des Herzens Gehör. Nicht einer schreit auf: Das kann ich nicht! Mag es tausendmal Gesetz sein, dagegen bäumt sich mein Gewissen auf. Ich bekenne!
Die Worte, die eingangs dieser Zeilen aus Tolstois Drama zitiert sind, schreit ein zu Tode Gehetzter seinem Richter entgegen. Wir haben genug Opfer wimmern gehört. Ein Richter müsste, von seinen Gefühlen überwältigt, reden. Das wäre in unserer tatenarmen Zeit wie eine Erlösung. Wir sind davor sicher! Die Beamten arbeiten mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit der sie an jedem Ersten ihr Gehalt einstreichen. Und nach einem besonders harten Urteil gehen sie ruhig nach Hause, nicht ohne Mitgefühl für den armen Teufel, der das Unglück hatte, in die Klasse hineingeboren zu werden, die nun einmal die Objekte der Gesetzgebung liefern muss.
Die Zinne der Partei und andere Rechtsfragen
Ich las dieser Tage in einem großen Parteiorgan die Mitteilung, dass irgendwo in tiefster Provinz der Funktionär einer andern Partei 30 000 Mark unterschlagen habe, woran das Blatt die freundliche Bemerkung knüpfte: »Das sind nun nach Ansicht dieser Kreise die geeigneten Leute, die Interessen ihrer Klassengenossen zu vertreten. Sie können mein und dein nicht unterscheiden.« Was die bedeutsame Berliner Zeitung hier sagt, ist über allem Zweifel erhaben. Die gegnerische Partei ist bekanntlich immer die Brutstätte aller nur ausdenkbaren Laster, die eigene licht und klar wie Dantes Paradies; und wenn schon mal was passiert, nun, wir sind halt alle Menschen ... Und deshalb, deutscher Mann, wenn du mit einem zusammen bist, der anders denkt als du, so gib auf deine Krawattennadel acht und behüte Frau und Kind gut, denn ein Individuum, das auf ein anderes Parteiprogramm vereidigt ist, bringt schließlich alles fertig ...
Der gepfändete Liebknecht
Ein junger Künstler hat unter schwersten persönlichen Opfern im Berliner Osten eine Arbeiter-Kunst-Ausstellung zusammengebracht. Was da ausgestellt ist, sind zum Teil wesentliche Talentproben; der gewöhnliche kritische Maßstab ist allerdings nicht anzulegen, da die meisten dieser Arbeiten nicht von Berufskünstlern geschaffen und zudem nach schwerem Tageswerk entstanden sind. Jedenfalls ein Unternehmen, das Beachtung und Förderung verdient. Da entdeckte die hochlöbliche Polizei dazwischen einige Bilder und Zeichnungen linksradikaler Tendenz, und sofort wurde die Ausstellung unter Kreuzfeuer genommen, das heißt, man verbot sie nicht, aber belegte den Veranstalter ausgiebig mit Geldstrafen, weil er zu unerlaubter Zeit Besuchern Eintritt gewährte und dergleichen mehr, und als auch das noch nichts fruchtete, meldete sich die – Lustbarkeitssteuer. Und da der arme Mann wirklich nicht in der Lage war, diese Rechnungen zu begleichen, so pfändete man ihm den letzten Stuhl weg, und da auch das noch nicht der beleidigten Gerechtigkeit genügte, so pfändete man aus der Ausstellung einen Bronzekopf Karl Liebknechts; vermutlich weil es das schwerste Stück war. Irgendein Kunstfreund unter den Herren Beamten schien aber doch noch seine Zweifel zu haben, ob nicht am Ende doch mit Ölfarbe zugedeckte Leinewand wertvoller sei, und so schritt man denn zur feierlichen Anfrage an den Ausgepfändeten, wie hoch eigentlich der Wert des gepfändeten »Liebknecht« sei. Da riß dem jungen Manne endlich die Geduld, und er antwortete mit einem unwirschen Briefe, der in verschiedenen Zeitungen wiedergegeben wurde. Ja, der Brief war grob, aber bei weitem nicht grob genug. Ich hätte an seiner Stelle kurz und bündig geantwortet: dass dieser Bronzekopf Liebknechts jedenfalls mehr wert sei als die Gipsköpfe der bürokratischen Schikaneure zusammengenommen.
Majestätsbeleidigung?
Hannover hat seit ein paar Tagen seinen Hochschulskandal. Der Werwolf Haarmann, im vorigen Jahr Sensationsstoff dieser alten, halb welfisch, halb preußisch vermiekerten Beamtenstadt, ist nicht mehr. Mit wehenden Fahnen, die Zähne gebleckt, sind die nationalen Werwölfe auf den Plan getreten. Ihr Angriffsobjekt ist der Professor Theodor Lessing, seit zwanzig Jahren Dozent an der Technischen Hochschule, ein Gelehrter von umfassendem und überfachlichem Wissen, ein Schriftsteller von Unabhängigkeit und eigener Prägung.
Klebt an dem erlauchten Namen Lessing etwas Suspektes? Gotthold Ephraim hatte es mit den evangelischen Orthodoxen zu tun. Theodor erregte im Haarmann-Prozeß die Erbitterung der juristischen Rechtgläubigkeit und wird jetzt zum Zielpunkt des Kesseltreibens der nationalen Orthodoxie.
Theodor Lessing hat am 25. April, also noch vor der Wahl, im »Prager Tagblatt« einen Artikel über Hindenburg veröffentlicht. Keinen Wahlkampfartikel. Eine scharfe psychologische Studie, in menschlich liebenswürdiger Form, was durch einige ironisch flackernde Lichter nicht beeinträchtigt, eher verdeutlicht wird. Kein regulärer Zeitungsartikel. Eher die