Mythen in der englischen Literatur
In England war die griechische Sprache bis ins 18. Jahrhundert als Gelehrtensprache weitgehend unbekannt. Zwar verwendete William Shakespeare im 17. Jahrhundert in seinen Stücken Motive aus griechischen Mythen, er griff dabei aber hauptsächlich auf lateinische und italienische Quellen zurück.
Zwischen 1713 und 1720 übersetzte Alexander Pope Homers Dichtungen Ilias und Odyssee aus dem Griechischen ins Englische. Pope wurde dadurch sehr, sehr wohlhabend (er bekam ein Honorar von 10.000 englischen Pfund, ein für die damalige Zeit unerhörter Betrag). Durch seine Übersetzung bekamen auch durchschnittlich gebildete Leser der damaligen Zeit einen Einblick in die Mythenwelt der Griechen, wie sie bei Homer geschildert wird.
Seine Übersetzung der Texte veranlasste Pope auch zur Abfassung eines anderen berühmt gewordenen Gedichts, nur dass es sich bei diesem Gedicht um eine Parodie auf die epische Dichtung der Griechen handelte. Es trug den Titel: Die Dunciade. So wie die Ilias die »Dichtung über Ilium (das heißt Troja)« ist, ist die Dunciade eine »Dichtung über einen dunce (das heißt Dummkopf)«. In seiner Parodie machte sich Pope über all seine Kritiker lustig.
Im 19. Jahrhundert schufen englische Dichter und Maler, besonders die unter dem Etikett Romantiker bekannt gewordenen, sehr viele Kunstwerke mythologischen Inhalts. Alfred Lord Tennyson war während des viktorianischen Zeitalters ein besonders populärer Dichter. Sein erster veröffentlichter Band mit Gedichten enthielt zwei mythologische Werke: The Lotus Eaters basierte auf einem der Abenteuer, die Odysseus auf seiner Heimreise von Troja bei den Lotophagen oder »Lotosessern« erlebte; das andere Werk, The Lady of Shalott basiert auf der Artuslegende. Eines von Tennysons berühmtesten Gedichten hat den Titel »Ulysses«, benannt nach der römischen Bezeichnung für Odysseus. Odysseus ist darin alt und müde geworden. Er beklagt sich darüber, wie langweilig sein Leben geworden sei, und plant schließlich sein letztes Abenteuer. Die letzten Worte des Gedichts sind: »… to strive, to seek, to find, and not to yield« (auf Deutsch: » … zu streben, zu suchen, zu finden und niemals aufzugeben«). Sie werden jedes Jahr in Amerika bei Tausenden von Schulabschlussfeiern zitiert.
Moderne mythische Literatur
Auch im 20. Jahrhundert war es nichts Ungewöhnliches, dass sich Künstler des Mythenreichtums der Vergangenheit bedienten. Sie gaben ihren Geschichten aber häufig eine ironische Wendung. George Bernard Shaw schrieb 1913 das Stück Pygmalion. Es basierte auf dem Mythos eines misogynen, die Frauen verachtenden Künstlers, der sich in die von ihm eigenhändig geschaffene Plastik einer Frau verliebt (siehe auch Kapitel 12). In Shaws Stück – das später als Vorlage für das Erfolgsmusical My Fair Lady diente – wurde aus dem Bildhauer ein Professor für Phonetik (das heißt ein sich mit den Lauten der Sprache beschäftigender Wissenschaftler), der sich aus einer Laune heraus eine Frau aus den unteren sozialen Schichten aussucht, um ihr beizubringen, wie eine Dame der Oberschicht zu sprechen, und der sich am Ende in diese Frau verliebt. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg gingen Schriftsteller dazu über, mythologischen Themen eine ironische oder auch ernste Wendung zu geben. W. H. Audens Gedicht »The Shield of Achilles« stellt den Ehrenkodex unter Kriegern in Homers Dichtung dem Horror der Kriegsrealität im 20. Jahrhundert gegenüber. Der amerikanische Autor Arthur Miller schließlich entwirft die Handlung seines Stückes Tod eines Handlungsreisenden nach dem Modell der griechischen Tragödie, die fast ausschließlich um mythologische Themen kreist. Der Held des Stückes aber, ein Handlungsreisender, ist ausgesprochen unheldisch angelegt und nimmt gerade dadurch die Rolle des »tragischen Helden« ein.
Musik und Mythen
Die Komponisten des 19. bis hinein ins frühe 20. Jahrhundert waren in mythologische Stoffe geradezu vernarrt. Der berühmteste dieser Komponisten ist wohl Richard Wagner mit seinem Ring des Nibelungen, einer Folge von vier Opern über nordisch-deutsche Mythen: Das Rheingold, Die Walküre, Siegfried und die Götterdämmerung. Ein anderer deutscher Komponist, Richard Strauss, schrieb gegen Ende des 19. Jahrhunderts Musik, die sich zum Beispiel von den griechischen Mythen um Theseus und Ariadne oder um Elektra inspirieren ließ.
Mythen im Film
Die Mythologie in der Kunst ist nicht unbedingt etwas, wozu man nur dann Zugang erhält, wenn man sich vorher extra schick in Schale geworfen hat. Auch außerhalb der Rituale der Hochkultur trifft man auf Kunst, die sich von der Mythologie hat inspirieren lassen. Kürzlich las ich Maurice Sendaks Kinderbuch Wo die wilden Kerle wohnen meiner dreijährigen Tochter vor. Es fiel mir auf, dass die Geschichte im Wesentlichen die Geschichte von Odysseus in sehr geraffter Form nacherzählt. Der Held dieses Buches ist boshaft und wird gegen seinen Willen aus dem normalen Leben ausgestoßen. Auf seiner anschließenden Reise ist er verschiedenen Gefahren ausgesetzt, die er durch seine Charakterstärke zu überwinden weiß. In einem fernen Land weit weg von zu Hause wird ihm eine mit großen Ehren verbundene Stellung angeboten. Er entscheidet sich gegen dieses Angebot und kehrt zurück nach Hause, obwohl er weiß, dass ihn dort nur wieder die alten Probleme erwarten, die er zu Beginn seiner Reise zurückgelassen hatte. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf. Eine gute Geschichte für mein Kind, und eine gute Geschichte für die Menschen der letzten 3000 Jahre.
Auch im Kino begegnen einem ständig Mythen. Walt Disneys Verfilmung von Schneewittchen wird jedem Zuschauer vertraut vorkommen, der die griechische Geschichte von Persephone kennt. Persephone nämlich wurde von ihrer Mutter getrennt, der gütigen Göttin Demeter, und von Hades, dem Gott der Unterwelt, geraubt. Sie muss schließlich einen Teil des Jahres »tot« in der Unterwelt verbringen (weil sie mit Hades verheiratet war); den Rest des Jahres darf sie unter den Lebenden weilen. (Mehr zu dieser Geschichte in Kapitel 4.) Walt Disneys Version folgt diesem Muster, außer dass die weiblichen Figuren bis auf die Titelheldin böse erscheinen und die männlichen alle gut. Schneewittchen flieht vor ihrer bösen Stiefmutter und wird schließlich von den Zwergen aufgenommen (die unter der Erde in einer Mine arbeiten). Gegen Ende des Films »tötet« ihre Stiefmutter sie. Ein vorbeikommender Prinz erweckt sie schließlich wieder zum Leben. Schaut man sich den Zeichentrickfilm genauer an, so kann man sogar sehen, wie Schneewittchen in die Unterwelt fällt, bevor sie auf die Zwerge trifft. In dem seinerzeit umstrittenen amerikanischen Film Angel Heart, der vor einigen Jahren in den Kinos lief, wird die griechische Tragödie von Ödipus neu erzählt. In einem anderen, von den Cohen-Brüdern inszenierten Film mit dem Titel O Brother Where Art Thou? geben die Filmemacher ihre Version des Odysseus-Stoffes. Die Hauptfigur des Films trägt sogar den Namen Ulysses, den römischen Name für Odysseus.
In vielen anderen Filmen können Sie ebenfalls mythische Stoffe wiederfinden. Achten Sie mal darauf!
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Es führt kein Weg daran vorbei – Mythen sind wichtig, vielleicht sogar von entscheidender Bedeutung. Die Menschen wissen, dass manche Dinge, die wahr sind, nicht mit den Mitteln und der Sprache der Wissenschaft oder Theologie im engeren Sinne beschrieben und erfasst werden können. Diese Wahrheiten lassen sich nur mithilfe symbolischer Geschichten darstellen. Sobald die Menschen auf Geschichten stoßen, die solche Symbole enthalten, fühlen sie