"In Amerika", sagte Jonathan. Gonçalo M. Tavares. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gonçalo M. Tavares
Издательство: Bookwire
Серия: Kupido Travelogue
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966750806
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      Kalifornien, 6. Juli 2016

      Sequoia Nationalpark

      In den Vereinigten Staaten sind die Bäume älter als die ältesten Religionen.

      Eine schnell erzählte Geschichte. Ein Baum, der anfangs unterrichtete; dann, am nächsten Tag, wurde er von seinen besten Schülern in zwei Stücke gesägt.

      Die größten Bäume der Welt sind natürliche Kreisverkehre, einmal um den Baum herumgehen, als würde man zu einer Reise aufbrechen. Man muss symbolisch und pragmatisch den Koffer packen: Was nimmst du mit auf diese Rundfahrt?

      Gehe nicht los, ohne das mitzunehmen, was du auf der anderen Seite zurücklassen willst. Gehe nicht los, ohne das mitzunehmen, was du vergessen möchtest.

      Aber wenn der Weg im Kreis verläuft, was dann?

      Ein Baum von großer Widerstandskraft, der beim ersten Erhängten an einem seiner Äste umfällt: Ein Mensch ist schon eine Überlastung, ist zu viel.

      Kalifornien, 6. Juli 2016

      Sequoia Nationalpark. An einen Menschen denken,

      der mit zunehmendem Alter immer weiterwuchs.

Ein Sequoia-Baum, eine Person.

      Kalifornien, 6. Juli 2016

Sequoia Nationalpark. Die Kunst, Namen zu geben. Der Name einer Sache, sagt Jonathan, beeinflusst, welche Beziehung wir zu ihr haben. Du nennst einen Baum General und das verändert den Baum nicht, aber es verändert die Stellung der Füße bei denjenigen, die um den Baum herumstehen.

      Kalifornien, 7. Juli 2016

      Hinein oder hinaus

      Mitten im Wald der Sequoias merke ich, dass ich mich verlaufen habe. Ich bin weit gelaufen. Ich versuche, meine Position im Verhältnis zum Eingang festzustellen.

      In einem wunderschönen Text fragt jemand: „Welche Strecke muss man zurücklegen, bis man tief in einen Wald eingedrungen ist?“ Und es wird erzählt, dass einst ein Mädchen einfach antwortete: „Die Hälfte.“ Und tatsächlich, heißt es im gleichen Text, war das die richtige Antwort. Man dringt in den Wald ein, bis zu dessen Mitte, von dort aus ist man „auf dem Weg hinaus“.

      Wenn man sich verlaufen hat, merkt man es neben vielen anderen Dingen auch daran: Du weißt nicht, ob du hineingehst in den Wald oder hinaus.

      Du kannst noch an den Glauben denken (oder daran, was du für wesentlich hältst). Näherst du dich noch dem Zentrum oder entfernst du dich davon? Wenn du das nicht weißt, weißt du gar nichts.

      (Du musst deinen genauen Standort gar nicht kennen. Der Standort ist uninteressant. Relevant ist: Wie weit bist du vom Zentrum entfernt?)

      Kalifornien, 8. Juli 2016

      Zwei Gefährten

      Ein unglaublicher Sonnenuntergang über Moro Rock, Sequoia Nationalpark.

      Jonathan ist müde, und verstummt plötzlich. Ist es möglich, schweigend eine Geschichte zu erzählen? Jonathan ist glaube ich dazu fähig. Er schläft aber nicht ein, und neben ihm lehnt, als hätte sie sich bei ihrem Besitzer angesteckt, eine Wasserflasche im Halbschlaf.

      Ich stelle Kafka auf, um das zunehmende Schwinden der Sonne zu dokumentieren. Eine praktische Lektion in Pessimismus und Schönheit.

      Jonathan hat in seinem schwarzen Rucksack zwei weitere Portraits. Ich habe sie beim selben Straßenhändler in Barcelona gekauft. Zwei Gefährten für Kafka beim Sonnenuntergang.

Moro Rock Trail. Kafka.

      Kalifornien, 8. Juli 2016

      Kalifornien, 8. Juli 2016

      Moro Rock Trail

      Jonathan sieht dem Sonnenuntergang zu, Kafkas Portrait halb aufgerichtet auf einem Felsen neben ihm, als wäre es eine Infotafel. Was murmelt ein Gesicht? Der älteste Bote, lange vor der Sprache: Das Gesicht.

      Höhenangst und Angst vor übertriebener Weite vor seinen Augen. Wie jemand, der permanent vor einer Wand und auf festem Grund stehen muss. Jonathan spürt, dass er Wände braucht, er schätzt alles, was den Horizont zustellt.

      Jonathan litt an einer Art Weitenangst, ihm wurde schwindelig und es zog ihn vorwärts, wenn vor ihm Raum lag, leer und verfügbar. Als wären Vorangehen und Fallen dasselbe Verb und hätten dieselbe Bedeutung. Und genau daran denkt Jonathan, wenn er zwei Meter vor einem Abgrund steht, vor einer Landschaft, die frei von menschlichen Spuren ist, nur kilometerweit schweigsame Natur; dort war eines klar: Vorangehen und Fallen sind dasselbe Verb, sind dieselbe Aktion. Jonathan kauert sich zusammen, und ich bleibe stumm.

      Er schreit nicht, nörgelt nicht, aber er findet keine Ruhe; es gelingt ihm nicht, seine Angst abzuschütteln.

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