Staubfänger. Lucie Faulerová. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lucie Faulerová
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946120605
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so kurz nacheinander bekommen hat. Noch dazu mit diesem Kuřinec, diesem Hühnerdreck. Ja, sein Name kommt mir irgendwie gerade recht. Das, wofür sich Zdeněk Kuřinec, Zdeněk Hühnerdreck, das ganze Leben lang schämte, weswegen er als Kind ausgelacht und in der Pubertät schikaniert wurde, und was jetzt taktvoll umgangen wird, das wird in meiner Macht zum Spaten, mit dem ich in sein Ego steche. Ich trat ihm auf sein Hühnerauge, sozusagen. Verschmierte die Hühnerscheiße.

      Der alchemistische Prozess erreichte seinen Höhepunkt. Das Wasser kochte, das Wasser blubberte. Ich beobachtete den Rücken meiner Schwester und ihre zurückgekämmten Haare. Knips. Und ich schaue wieder auf die Cellulitis der Sängerinnen auf Seite sechs.

      Noch bevor sie überhaupt verheiratet waren, erzählte sie mir, dass er sie geschlagen hatte. Sie hatte ein geschwollenes Auge und blaue Flecken an der Hand. Zunächst weinte sie stundenlang, erst dann war sie überhaupt fähig, etwas zu sagen. Bis in die Nacht hinein saßen wir dann da, wir planten, dass sie für eine Weile zu mir ziehen würde und dass sie gleich am nächsten Morgen, während er in der Arbeit ist, alle ihre Sachen abholt. Doch der Hühnerdreck, also der Kuřinec, ging nicht in die Arbeit. Er wartete zu Hause auf sie. Nüchtern, mit einem Strauß Rosen, als Sargnagel. Und weniger als ein Jahr später war Zdenda auf der Welt.

      »Was gibt es Neues? Hast du endlich jemanden?«, fragte sie, als sie mir einen Instantkaffee und sich selbst einen Tee aufgoss.

      Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Nein, es ging gar nicht um diese Frage. Beziehungsweise ging es nicht darum, was für eine Frage sie gestellt hatte. Das wird Dana wohl nie aufgeben – sich in mein Privatleben einzumischen. Aber dieses »endlich«. Danas endlich. Ein bedeutungsvolles endlich. Eins muss ich meiner Schwester lassen: Sie hat die Begabung, eine Menge Information in ein unauffälliges Füllwort hineinzucodieren. Ein Mensch, der sie nicht kennt, würde das gar nicht erst bemerken. Es geht nicht um den Ton, den sie verwendet. Es geht nicht um den Ausdruck, den sie dabei im Gesicht hat, diese Miene, mit der sie eine Tasse mit stinkender Flüssigkeit vor mich hinstellt. Es gibt kein Bedeutungswörterbuch für diese einerseits nichts und andererseits allessagenden Wörter. Sie können jedes Mal etwas anderes bedeuten, lassen sich nur durch das Prisma des Kontexts entziffern, der sehr weit zurückreicht. Weit nach hinten. Ich bin schon so bekontextet, dass ich mir den wahren Sinn ihrer Äußerung immer automatisch übersetze. Ich dechiffriere alle Bedeutungen, die das jeweilige endlich, übrigens, beziehungsweise, vielleicht hat. Und was sage ich darauf? Ich zahle es meiner Schwester immer heim, indem ich vortäusche, dass endlich nur endlich ist, und es nicht nötig ist, darauf zu reagieren.

      »Ja, letzte Woche hab ich mit jemandem geschlafen.«

      Dana warf einen Blick auf Karolína, die mit der hundert Jahre alten Stoffpuppe unterm Arm immer noch die kleine Version meiner Schwester spielte, schwer zu sagen, ob diese Version komischer oder tragischer war, und schickte ihre Tochter aufs Zimmer.

      »Und, wird etwas daraus?«, fragte sie, als sie mir gegenüber Platz nahm.

      »Ich hoffe nicht, ich nehme die Pille.«

      »So wirst du den Rest deines Lebens alleine bleiben.«

      »Naja, verdammt«, sagte ich und riss meine Augen weit auf. Das war mir bisher gar nicht bewusst.

      »Du wirst draufzahlen«, Dana überging meine Spielerei und griff nach dem Papieretikett ihres Teebeutels.

      »Bei mir wird es keine Fische geben.« Zum Glück schaffte sie es nicht einmal, mich verwirrt anzuschauen, denn ich verzog mein Gesicht wegen des scheußlichen Gesöffs, das sie mir serviert hatte. »Um Gottes willen, was kaufst du denn da für verkohltes Zeug?«

      »Du bist ein hoffnungsloser Fall«, seufzte sie und zog an ihrem Teebeutel, holte ihn mit einem regelmäßigen Auf und Ab aus dem Wasser und tauchte ihn wieder in die Tasse zurück.

      »Das glaube ich auch«, nickte ich und gab ein paar Löffel Zucker in den Kaffee.

      »Ich dachte, du trinkst ihn ohne Zucker.«

      »Kaffee schon«, sagte ich, den bitteren, verkohlten Geschmack immer noch auf der Zunge.

      Sie wiederholte ihre Mutmaßung über den hoffnungslosen Fall. Dieses Mal ohne Worte.

      Ich dachte mir dasselbe. Aber über sie. Dana war ein hoffnungsloser Fall. Mein Erzähler hat die Hände in die Hüften gestützt und schüttelt den Kopf, er ist verwirrt. Was du da zusammenlügst, du bringst die Leser durcheinander, jetzt werden sie sich die Frage stellen, welche der beiden Schwestern verdammt noch mal der hoffnungslose Fall ist. So wie ich ihn kenne, würde er das anders sagen. Er würde sagen: Liebe Leserinnen, liebe Leser, erwähnenswert ist vor allem, dass jede der beiden einen ganz anderen Lebensstil mit Hoffnungslosigkeit gleichsetzt. Und wenn wir noch bedenken, dass jede der beiden einen ganz anderen Lebensstil hat, dann haben wir es mit einem Konflikt zweier Mutmaßungen über zwei hoffnungslose Existenzen zu tun. Das würde er sagen. Halt die Klappe, sage ich und vertreibe ihn aus meinem Kopf raus, raus, raus.

      »Ich habe nichts gesagt«, protestierte meine Schwester plötzlich.

      Habe ich da eben laut gedacht? »Was?«

      »Was?«

      »Was?«, sagte ich so schnell, dass sich unsere Stimmen fast vermischen. »Und du hast deinen Typen bei einer Tombola gewonnen, oder was?«, fügte ich hinzu, um von meinem inneren Monolog abzulenken.

      »Willst du dein Leben lang allein bleiben?« Sie sammelte sich wieder.

      Ich seufzte auf, schlürfte Zucker mit Kaffee und zündete mir eine an. Als ich den ersten Zug ausatmete, stand Dana auf, um die Tür zu schließen und das Fenster zu öffnen, bevor der Zigarettenrauch das Zimmer füllte.

      »Ich hoffe ja sowieso, dass dir das vergeht, wenn du wen kennenlernst«, fügte sie hinzu.

      Und wann geht das in deinen Kopf rein? Im ersten Moment konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob ich nicht wieder laut gedacht hatte. Dana reagierte nicht, aber das hieß noch nicht, dass ich etwas wirklich nur in Gedanken formuliert hatte.

      Tramtrara. Meine Schwester. Meine hoffende Schwester. Nein, es lohnt sich nicht, sie zu fragen, warum um Himmels willen sie darauf hofft, dass jemand anderes die Meinung darüber ändert, wie er sein Leben führen will. So ist sie einfach. Alle Meinungen und Ansichten über das Leben, die im Widerspruch zu dem stehen, was sie für normal hält und wie es sein soll, sind automatisch verschroben, schlecht, komisch. Und manchmal versucht die Arme sogar, es ernsthaft zu begreifen. Warum das so ist. Die Menschen sind doch nicht so verschieden, dass sie sich nicht nach ein und demselben Ideal sehnen! Dass sie den Sinn des Lebens nicht in einem evolutionär vorgegebenen Modell sehen, das aus Partnerschaft und Reproduktion besteht. Nein, wo denn auch, ich sehe die kleine Karolína, wie sie den Kopf schüttelt, von einer Seite auf die andere, und mit erhobenem Finger sagt sie zu ihrer Puppe: Nein, nein, so nicht, meine Kleine. Na, und wenn das so nicht ist, dann ist das nicht so, und dann bin ich die Komische, Falsche und Verschrobene. Immer schon war ich das störende Element, das unsere geschwisterliche Beziehung verdorben hat. Ich denke, Dana wollte immer, dass wir so ein beklopptes Schwesternduo werden, nicht nur verwandt, sondern auch beste Freundinnen, zwei so Schwestern, die sich gegenseitig Zöpfe flechten, die Nägel feilen, sich zur Begrüßung umarmen und sich gegenseitig die Haare halten, wenn eine mal zu viel getrunken hat. Dass ich ein normales Leben führe, mir einen Kerl suche, mit dem ich dann zusammen bin. Dass ich ein normales Leben will und eine Familie gründe. Dass ich mich mit Danas Lebensstil zufriedengebe. Mich einem Tyrannen unterordne, ihm jeden Tag ein warmes Abendessen koche und Angst habe, einen Fuß vor die Tür zu setzen, um mir nicht anhören zu müssen, was für eine Hure ich sei, und andererseits aufpassen muss, nicht zu lange nicht vor die Tür zu gehen, um mir nicht anhören zu müssen, was für eine faule Sau ich sei. Rechnungen, Kloputzen, Kinder in den Kindergarten, Ćevapčići mit Kartoffeln, Rechnungen, Kloputzen, Flaschenbier und Würste. Nein, leider, davon träume ich nicht. Zur Gänze schuldig. Warum wollen Frauen überhaupt Kinder? Weil sie sich wichtiger und ernster vorkommen, sie haben ja dann Verantwortung. Eine Frau ist erst eine Frau, wenn sie auch Mutter ist. So ein Blödsinn. Ich sehe mich auf meiner Kloschüssel stehen und das Ventil vom Spülkasten lockern,