Steuerungskonzepte stellen Modelle zur Verfügung, die sich mit unterschiedlichen Perspektiven bzw. Fokussierungsebenen beschäftigen. Sie geben dem Berater Orientierung, welcher Ausschnitt von Wirklichkeit gerade in den Vordergrund gerät, und ermöglichen es ihm, bewusst zu entscheiden, statt zufälligen oder gewohnheitsmäßigen Vorgehensweisen zu folgen. Es sind Konzepte, die jenseits aktueller Plausibilität wach dafür halten, welche Fokussierungen möglich und für den Kontext angemessen sind, und helfen, aus ihnen einen möglichst sinnstiftenden Fokus zu wählen. Erst aus der bewusst gewählten Perspektive ergeben sich geläuterte Entscheidungen in Bezug darauf, welche Methoden gewählt werden. Insofern sind Steuerungskonzepte den Methoden übergeordnet. Oder, andersherum formuliert: Wähle ich eine bestimmte Methode bzw. Technik aus, habe ich implizit bereits eine Entscheidung über Steuerungskonzepte getroffen, oft ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Die Kenntnis von Selbststeuerungskonzepten soll dem Berater helfen, diesen Entscheidungsprozess möglichst bewusst zu gestalten.
Professionelle nähern sich neuen Konzepten meist dadurch, dass sie Methoden kennenlernen, die sie faszinieren, wie beispielsweise das zirkuläre Fragen im systemischen Feld. Dann übernehmen sie zunächst einfach die Methodik, ohne sich recht klar über die darin waltende Logik zu sein. So werden über die Methode – das Tool – implizit eine Betrachtungsweise, ein Weltbild sowie Problem- und Lösungsverständnisse transportiert. So »blind« anzufangen ist oft am einfachsten. Doch bliebe die professionelle Handlungsfähigkeit begrenzt, würde man nicht nach und nach erhellen, welche Steuerungsprinzipien, basierend auf welcher Wirklichkeitslogik, mit der Methode zur Geltung kommen. Dieses implizit entstehende Weltbild bleibt ja nicht auf den Berater beschränkt. Mit den Methoden wird auch dem Klienten implizit ein Weltbild nahegelegt, das möglicherweise einseitig ist oder aus anderen Gründen nicht zu seinen Wirklichkeiten passt. Will man sich auf Augenhöhe verantwortlich über diesen implizierten Teil der Dienstleistung »Einführung oder Hervorhebung eines Welt- und Menschenbildes« verständigen, wäre eine gelegentliche explizite Abklärung mit dem Klienten angezeigt, ob dieser »Kulturimport« wirklich in seine Welt passt. Welchen Platz könnte er dort einnehmen, und wie ist er mit den anderen dort wichtigen Steuerungsgesichtspunkten und Verantwortlichkeiten zu vereinbaren?
Daher ist es wichtig, im Bewusstsein zu halten, dass jede Methode Ausdruck einer Betrachtungsweise ihres Erfinders ist, geboren aus bestimmten gesellschaftlichen und beruflichen Kontexten. Methoden und Konzepte konservieren diese Betrachtungsweise mit dem Vorteil, dass die Erfindervariante in ihrer Komplexität über ein methodisches Vorgehen adoptiert werden kann, und mit dem Nachteil der Unsicherheit, ob die Variante auf neue Situationen passt.
Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, hat daher mit seinen Schülern immer geübt, die Implikationen zu explizieren, indem er fragte: Wofür ist dieses Konzept, dieses Vorgehen ein Beispiel? Im Falle des zirkulären Fragens könnte eine Antwort lauten: Es steht für die Vorstellung, dass es wichtig sein kann, über den inneren Zirkel der Selbstbefragung hinauszukommen und Informationen darüber zu erhalten, wie andere von außen auf die Situation blicken. Und es wird als wichtig erachtet, welche Auswirkungen die Sicht Dritter auf die Wirklichkeit und Beziehungsgestaltung des Klienten hat. Zirkuläres Fragen ist dann hilfreich, wenn bei dem Klienten die Perspektive der Beziehungswirklichkeit zu kurz kommt und Beziehungskompetenz durch Abgleich mit dieser Wirklichkeit verbessert werden sollte. Für eine Kommunikationskultur, in der die wechselseitige Orientierung ohnehin überbetont ist und eine ergänzende Orientierung an den inneren Wirklichkeiten untergewichtet ist, wären andere Fragearten vermutlich eher hilfreich.
Um es in einer Metapher zu sagen: Für angehende Köche, die sich neue Gerichte und eine neue Art des Kochens erschließen wollen, mag es erfolgreich sein, sich zunächst an Kochrezepte zu halten. Damit kann schnell etwas auf den Tisch kommen und festgestellt werden, ob diese Art von Küche interessant sein könnte. Sieht ein Rezept Öl zum Anbraten und am Ende die Zugabe von Zitrone und Preiselbeeren vor, kann man das Rezept nicht realisieren, wenn man die Zutaten nicht verfügbar hat. Es sei denn, man hat verstanden, dass das Öl in diesem Fall nicht als Geschmacksträger, sondern als Hitzetransporteur gebraucht wird oder dass es bei Zitrone und Preiselbeeren um eine süßsaure Geschmacksnote geht. Sind die Funktionen klar, kann man Öl durch Wasser mit Butter ersetzen und für die süßsaure Kombination auf andere Geschmacksträger wie etwa Balsamicoessig mit Quittengelee ausweichen. Oder man entscheidet sich für eine andere Zubereitungsart oder Geschmacksvariante, die unter den gegebenen Umständen möglich ist und doch dem Geist jener Zubereitungsart am nächsten kommt. Wer aus der Zubereitung von Steaks etwas über Fleisch und Garen gelernt hat, kann zur Not ein in geeigneter Folie verschlossenes Steak in der Spülmaschine perfekt garen.
Gute Köche starten oft mit vorgegebenen Rezepten, verstehen zunehmend die ihnen innewohnende Küchenkultur und die dafür notwendigen Eigenschaften von Zutaten und entwickeln dann ihre eigenen Kreationen. Die legen sie als Kochrezepte in Kochbüchern nieder, weil niemand kochen lernen kann, wenn man ihm lediglich abstrakt alle wichtigen innewohnenden Prinzipien erklärt. Dann beginnt der Kreislauf von vorne.
Bleibt es bei einer Ansammlung von Methoden – über deren Implikationen und Konsequenzen sich der Berater selbst nicht recht im Klaren ist –, können eine Aufklärung des Klienten und ein Abgleich, ob er diese angebotene Wirklichkeit adoptieren will, nicht verantwortlich stattfinden. Definiert sich ein Professioneller gar über wenige Konzepte oder Methoden, muss er jeden Klienten an diese Welt anpassen, nach dem bekannten Bonmot: »Wer nur einen Hammer hat, für den besteht die Welt nur aus Nägeln.« Geläuterte Professionelle belasten ihre Klienten nur gezielt und zweckdienlich mit solchen »Kulturexporten«, um in der Wirklichkeit des Klienten wesentliche Unterschiede zu machen. Ansonsten machen sie sich deren Wirklichkeit zunutze und wirken wie ein Ferment, ohne dass das Ergebnis nach ihm schmeckt.
Wenn im Folgenden von Steuerungskonzepten erster und höherer Ordnungen die Rede ist, folgt diese Einteilung weniger einer klaren Unterscheidung von logischen Ebenen. Vielmehr sollen dadurch eher pragmatisch unterschiedliche Abstraktionshöhen markiert werden. Je höher die Ordnung, desto weiter weg bewegen wir uns von konkreter Verhaltenssteuerung und umso mehr haben wir den Überblick übers Ganze. Mithilfe der Steuerungskonzepte höchster Ordnung werden grundsätzliche Wirklichkeitsbetrachtungen und Herangehensweisen bestimmt. Entsprechend werden die dafür geeigneten Steuerungskonzepte niederer Ordnung zur Spezifizierung ausgewählt. Diesen folgend, realisieren wir das konkrete Verhalten in der Situation entsprechend Steuerungskonzepten erster Ordnung.
1.5 Steuerungskonzepte erster Ordnung
Steuerungskonzepte erster Ordnung organisieren in der Regel die tägliche Praxis und konkrete Herangehensweisen. Fragestellungen von Klienten in spezifischen Praxisbereichen (z. B. Lebensberatung, Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) werden von Beratern mit einem Repertoire an geläufigen Verständnissen und Vorgehensweisen angegangen, unabhängig davon, ob sie als Praktiker das dahinter stehende Konzept theoretisch erklären und die angewandte Methodik entsprechend begründen können oder nicht.
Fragt jemand gewohnheitsmäßig danach, wie und wann sich die vom Klienten benannte »Depression« zeigt, verweist dies z. B. auf das Konzept, sich nicht mit den Etiketten der Klienten zufriedenzugeben, sondern konkrete Beschreibungen zu erfragen, damit man sich selbst ein Bild machen kann. Wird dann nachgefragt, unter welchen Umständen dieses »depressiv« genannte Verhalten und Erleben auftritt, was es verstärkt und was es mindert, welche beeinflussbaren Faktoren dazu beitragen, dann steckt darin das Konzept, dass Kontexte wichtig sind und dass Veränderungen möglich, vielleicht sogar vom Klienten steuerbar sind. Fragt jemand nach den Beziehungswirkungen und ihren Folgen, dann aktiviert er ein Verständnis von Depression als Beziehungsverhalten, fragt jemand nach Schlafverhalten oder Nahrungsgewohnheiten, dann aktiviert er ein eher biologisches Verständnis und dazu bekannte Erkenntnisse. Arbeitet ein Berater mit einer Mehrstuhltechnik und Persönlichkeitsanteilen, die auf mehrere Stühle verteilt sind, dann stellt er Depression in den Zusammenhang interner Dialoge.
Varianten dieser Art gibt es unendlich viele. Sie werden über die Wahl von Gesprächstechniken, Settings, Ablaufritualen, Einbeziehung von Umständen und anderen Personen implizit definiert. Dies gilt auch für gewohnheitsmäßig