10 Das Eins-zu-Eins
Ich wäre erstaunt, wenn Sie nicht zumindest von der Coaching-Methode gehört hätten, die als »Eins-zu-Eins« (alias 1:1) bekannt ist, wahrscheinlich haben Sie selbst schon eine Version davon erfahren. Aber aus meinen Unterredungen mit zahlreichen Product Managern und Product Leadern schließe ich, dass Sie womöglich nie erlebt haben, dass dieser Vorgang gut gemacht wurde. Dabei ist dies die Grundlage des Coachings.
Während ich (Marty) dies schreibe, versuche ich mich zu erinnern, woher meine Einsichten stammen und welche Menschen den größten Einfluss auf mich hatten. Nach so vielen Jahren ist das im Einzelnen schwer auszumachen, aber ich denke, das, was ich hier vorbringe, spiegelt das Beste von mehr als einem Dutzend Managern wider, die mir bei meiner eigenen Entwicklung halfen – entweder direkt als meine Manager oder indirekt als Kollegen, von denen ich lernen durfte. Ben Horowitz ist ein Beispiel für Letzteres, seine Methodik beeindruckte mich tief.
Dieses Kapitel ist für die Manager von einzelnen Produktleuten geschrieben. Für die Menschen, die für die Einstellung und Förderung von Product Managern, Product Designern und Entwicklern verantwortlich sind.
Schlüssel für das erfolgreiche 1:1
Der Zweck
Der wichtigste Zweck eines 1:1 ist es, der Produktperson dabei zu helfen, sich zu entwickeln und besser zu werden. Ja, Sie werden ein Update bekommen. Ja, Sie werden über die Arbeit diskutieren können. Aber zuallererst und vor allem geht es darum, der anderen Person dabei zu helfen, zunächst kompetent zu werden und dann ihr Potenzial voll zu entfalten. Wenn Sie diesen Zweck aus den Augen verlieren, geht der wirkliche Wert dieser Zusammenkunft schnell verloren.
Die Beziehung
Ihre Beziehung sollte auf Vertrauen beruhen. Die Produktperson muss verstehen und glauben, dass Sie als ihr Manager sich aufrichtig und ernsthaft dafür einsetzen, ihr dabei zu helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Das ist Ihr hauptsächlicher Job als Manager. Wenn die Produktperson erfolgreich ist und befördert wird, dann haben Sie Ihren Job gut gemacht. Desgleichen haben Sie versagt, wenn die Produktperson es nicht schafft, Kompetenz zu erlangen. Die Produktperson muss verstehen, dass Sie beide fähig sein müssen, einander zu vertrauen und sich aufeinander zu verlassen, um erfolgreich zu sein, und, am wichtigsten: Sie müssen ehrlich und offen miteinander reden können.
Die Eingliederung (Onboarding)
Bei den meisten Produktmitarbeitern gibt es eine notwendige und wichtige Eingliederungsphase, in der der Mitarbeiter die Fähigkeiten und das Wissen erwirbt, um auf Hochtouren zu kommen (Erlangen von Kompetenz).
Jeder Mensch ist anders, bringt individuelle Erfahrungen und eigenes Wissen mit in den Job. In Kapitel 8 (Assessment) habe ich ein Instrument vorgestellt, das ich benutze, um schnell eine neue Produktperson einzuschätzen und um festzulegen, auf welche Bereiche man sich beim Schließen von Lücken fokussieren sollte. Aber bis der Produktmitarbeiter stark genug ist, um als kompetent zu gelten, ist es Ihre Verantwortlichkeit, sicherzustellen, dass der- oder diejenige dem Team keinen Schaden zufügt und vernünftige Entscheidungen trifft.
Normalerweise hält dieser Zeitraum der strengen »Beaufsichtigung« zwei bis drei Monate an, während der eine viel intensivere Coaching-Beziehung erforderlich ist als beim weiterführenden Coaching, das sich anschließt, sobald der Produktmitarbeiter dafür bereit ist.
Die Häufigkeit
Dies ist einer jener Punkte, zu denen es eine Menge Meinungen gibt, aber meiner starken Empfindung nach sollte das 1:1 wenigstens 30 Minuten dauern, einmal die Woche stattfinden, und diese Zusammenkunft sollte heilig sein und nicht etwa ein Treffen der Marke »Ist es okay, wenn wir das diese Woche auslassen?«. Gelegentlich werden Sie den Termin vielleicht verschieben müssen, aber sagen Sie ihn nicht ab. Bitte seien Sie sich bewusst, welche Botschaft eine Absage senden würde.
Für neue PMs, die sich in der Eingliederungsphase befinden, werden die Treffen vielleicht zwei- oder dreimal die Woche nötig sein oder sogar täglich.
Sobald eine Vertrauensbasis zwischen Manager und Mitarbeiter vorhanden ist, funktioniert das 1:1-Coaching auch gut über Videoanrufe. Der Schlüssel liegt darin, ein Umfeld zu etablieren, das der Entwicklung der Beziehung förderlich ist, und ehrliche, konstruktive Gespräche zu führen.
Zusammenhänge geben
Wenn Sie Ihre Produktperson dazu befähigen wollen, innerhalb ihres Teams auftretende Probleme optimal zu lösen, müssen Sie als Führungskraft und Manager die Person zuvor über die strategischen Zusammenhänge informieren.
Dies bedeutet, sicherzustellen, dass die Produktperson die Mission und die diesjährigen Ziele des Unternehmens versteht, außerdem tragen Sie Sorge, dass sie die Produktvision, die Produktstrategie des umfassenden Produktes und die Teamziele für ihr bestimmtes Produkt-Team versteht.
Diese Themen kommen hauptsächlich während der Eingliederungsphase zur Sprache, aber in jedem Quartal werden Sie die aufkommenden spezifischen Teamziele erörtern müssen. Manchmal sind dies ziemlich komplizierte Diskussionen.
Hausaufgaben
Eine Produktperson muss ihre Hausaufgaben machen, daran führt kein Weg vorbei. Die Hausaufgaben sind für die Produktperson Kompetenzbasis und wichtigste Aufgabe während der Eingliederungsphase. Sie können sie zu den richtigen Quellen führen und ihr Fragen zum Material beantworten, aber es liegt in ihrer Verantwortung, Zeit und Mühe auf diese Hausaufgaben zu verwenden und sich Wissen anzueignen.
Hausaufgaben, was bedeutet das eigentlich? Für einen Product Manager bedeutet es, das Produkt in- und auswendig kennenzulernen. Sich über Nutzer und Kunden zu informieren. Das Datenmaterial und die technischen Voraussetzungen zu studieren. Branchenkenntnisse zu erwerben. Die verschiedenen Dimensionen des Geschäfts zu studieren, besonders was Finanzen, Vertrieb, Go-to-Market, Dienstleistungen sowie Recht und Gesetz angeht.
Wie eine Produktperson denken und handeln
Jenseits davon, dass Hausaufgaben gemacht werden müssen, geht es beim Coaching hauptsächlich darum, der Produktperson dabei zu helfen, wie eine starke Produktperson zu denken und zu handeln.
Was bedeutet es, wie eine Produktperson zu denken? Es bedeutet Fokussierung auf das Ergebnis. Alle Risiken bedenken – Value, Usability, Feasibility und Business Viability. Ganzheitlich über alle Dimensionen des Geschäfts und des Produkts nachdenken. Ethische Überlegungen oder Auswirkungen antizipieren. Kreative Problemlösung. Beharrlichkeit angesichts von Hindernissen. Der Technik und der Kunst des Möglichen zum Durchbruch verhelfen. Design und die Macht der Nutzererfahrung wirksam einsetzen. Datenmaterial effektiv zum Lernen und für die überzeugende Argumentation nutzen.
Was bedeutet es, wie eine Produktperson zu handeln? Zuhören. Zusammenarbeiten. Gemeinsames Lernen. Missionieren. Inspirieren. Anerkennung zollen. Verantwortung übernehmen. Wissen, was man nicht wissen kann, und zugeben, was man nicht weiß. Demut zeigen. Beziehungen kreuz und quer im Unternehmen aufbauen. Kunden auf persönlicher Ebene kennenlernen. Führen.
Ganzheitliche Sichtweise
Dies ist auch bekannt als »die Punkte verbinden«. Man kann nicht von jeder Produktperson erwarten, ständig über die neuesten Entwicklungen in den anderen Produkt-Teams auf dem Laufenden