»Mummy, du hast ein schlimmes Wort benutzt«, sagte Jochen sanft, aber unnachsichtig.
»Tut mir leid, der Mann hat mich echt aufgeregt.«
»Er wollte doch nur helfen.«
»Nein, er wollte mich bevormunden.«
Jochen saß da und kaute eine Weile an dem neuen Wort, dann gab er auf.
»Endlich sind wir da«, sagte er aufatmend.
Das Cottage meiner Mutter stand inmitten dichter, üppiger Vegetation und wurde von einer unbeschnittenen, ausufernden Buchsbaumhecke umgeben, die von Kletterrosen und Klematis durchwuchert war. Der büschelige und handgeschnittene Rasen war von einem geradezu unanständigen Sattgrün, das der gnadenlosen Sonne hohnsprach. Aus der Luft, dachte ich, mussten Cottage und Garten aussehen wie eine grüne, wild wuchernde Oase – wie eine Aufforderung an die Behörden, sofort ein Rasensprengverbot zu erlassen. Meine Mutter war eine passionierte, aber eigensinnige Gärtnerin: Sie pflanzte eng und schnitt kurz. Wenn ein Busch gut gedieh, ließ sie ihn gewähren und scherte sich nicht darum, ob er andere Pflanzen erstickte oder zu viel Schatten erzeugte. Ihr Garten, verkündete sie, sollte eine kontrollierte Wildnis sein – da sie nicht einmal einen Rasenmäher hatte, schnitt sie das Gras mit der Gartenschere –, und sie wusste, dass sich andere im Dorf darüber ärgerten, weil hier schmucke und ordentliche Gärten als wichtigste Vorzeigetugend galten. Aber niemand konnte sich beschweren, dass ihr Garten vernachlässigt und ungepflegt war; keiner im Dorf verwendete so viel Zeit auf den Garten wie Mrs Sally Gilmartin, und die Tatsache, dass sie mit ihrem Fleiß auf üppigen Wildwuchs abzielte, konnte man vielleicht kritisieren, nicht aber verurteilen.
Wir nannten es Cottage, aber in Wirklichkeit war es ein kleines zweigeschossiges Haus aus Cotswold-Sandsteinquadern und Feuersteindachziegeln, das im achtzehnten Jahrhundert umgebaut worden war. Im Obergeschoss gab es noch die alten Flügelfenster, und die Zimmer waren dunkel und niedrig, während das Erdgeschoss Schiebefenster und einen hübsch geschnitzten Eingang mit ionischem Ziergiebel und gekehlten Halbsäulen besaß. Irgendwie hatte sie Huw Parry-Jones, dem dipsomanischen Eigentümer von Ashton House, das Cottage abgeluchst, als er noch betrunkener gewesen war als sonst, und die Rückseite grenzte an die bescheidenen Überreste von Ashton House Park – nun eine ungemähte und unbeweidete Wiese und alles, was den Parrys von den Hunderten Hektar Hügelland, die sie in diesem Teil von Oxfordshire besessen hatten, geblieben war. Seitlich stand ein Holzschuppen mit Garage, der fast vollkommen von Efeu und wildem Wein überwachsen war. Ich sah ihr Auto dort stehen, einen weißen Austin Allegro, also war sie zu Hause.
Jochen und ich öffneten die Pforte und hielten Ausschau nach ihr. Jochens Ruf »Granny, wir sind da« wurde sofort von einem lauten »Hip-hip, hurra!« erwidert, das hinter dem Haus hervorkam. Und dann kam sie selbst, im Rollstuhl über den Plattenweg. Sie hielt an und streckte die Arme aus, als wollte sie uns beide miteinander umarmen, aber wir blieben wie angewurzelt stehen.
»Warum in aller Welt sitzt du im Rollstuhl?«, fragte ich.
»Schieb mich rein, Liebes«, sagte sie, »und alles klärt sich auf.«
Als ich sie mit Jochen ins Haus schob, sah ich, dass eine kleine Holzrampe zur Türschwelle hinaufführte.
»Wie lange sitzt du da schon drin, Sal?«, fragte ich. »Du hättest mich anrufen sollen.«
»Oh, zwei, drei Tage«, sagte sie. »Nicht der Rede wert.«
Weil meine Mutter so auffallend gesund aussah, spürte ich nicht die Betroffenheit, die ich vielleicht hätte empfinden müssen. Ihr Gesicht war leicht gebräunt, ihr dichtes graublondes Haar glänzte und war frisch geschnitten. Und wie um diese Schnelldiagnose zu bestätigen, entstieg sie, kaum hatten wir sie hineingeschoben, dem Rollstuhl, beugte sich mühelos vor und gab Jochen einen Kuss.
»Ich bin gestürzt«, sagte sie und zeigte auf die Treppe. »Die letzten zwei oder drei Stufen – gestolpert, gefallen, und hab mir am Rücken wehgetan. Der Rollstuhl ist eine Empfehlung von Doktor Thorne, damit ich nicht so viel herumlaufe. Vom Laufen wird es nämlich schlimmer.«
»Wer ist Doktor Thorne? Was ist mit Doktor Brotherton?«
»Der hat Ferien. Doktor Thorne ist die Vertretung – war die Vertretung … Netter junger Mann«, fügte sie hinzu. »Jetzt bin ich ihn wieder los.«
Sie ging voraus zur Küche. Ich suchte in ihrer Haltung, ihrem Gang nach Anzeichen für einen schmerzenden Rücken, konnte aber nichts entdecken.
»Er ist wirklich nützlich«, sagte sie, als spürte sie meine wachsende Verunsicherung, meine Ungläubigkeit. »Der Rollstuhl, meine ich, beim Wirtschaften. Nicht zu glauben, wie viele Stunden am Tag man auf den Beinen ist.«
Jochen schaute in den Kühlschrank. »Was gibt’s zu Mittag, Granny?«
»Salat«, sagte sie. »Zum Kochen ist es zu heiß. Gieß dir was zu trinken ein, mein Schatz.«
»Salat ess ich gern«, sagte Jochen und nahm sich eine Dose Coca-Cola. »Was Kaltes hab ich am liebsten.«
»Guter Junge.« Meine Mutter zog mich beiseite. »Ich fürchte, heute kann er nicht bleiben. Das wird mir zu viel, wegen des Rollstuhls und überhaupt.«
Ich unterdrückte meine Enttäuschung und meine egoistischen Regungen – die Samstagnachmittage für mich zu haben, während Jochen den halben Tag in Middle Ashton verbrachte, war mir zur lieben Gewohnheit geworden. Meine Mutter ging ans Fenster und spähte unter vorgehaltener Hand hinaus. Von der Essecke sah man in den Garten, und der Garten grenzte an die Wiese, die nur sporadisch gemäht wurde, manchmal in Abständen von zwei oder drei Jahren, daher war sie voller Wildblumen und bestand aus unzähligen Grassorten und Unkraut. Und jenseits der Wiese begann der Wald, der aus irgendeinem vergessenen Grund Witch Wood hieß – ein uralter Bestand aus Eichen, Buchen und Kastanien, nur die Ulmen fehlten natürlich oder gingen gerade ein. Ich fand es merkwürdig, dass sie so angestrengt hinausblickte. Das passt nicht zu ihren üblichen Marotten und Eigenheiten, sagte ich mir. Ich legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Ist alles in Ordnung, altes Haus?«
»Hmm. Es war nur ein Sturz. Ein Schock für den Organismus, wie es heißt. In ein, zwei Wochen bin ich wieder auf dem Posten.«
»Sonst ist nichts? Du würdest es mir doch sagen, oder?«
Sie wandte mir ihr hübsches Gesicht zu und bedachte mich mit dem offenherzigen Blick, den ich so gut kannte – große blassblaue Augen. Aber inzwischen, nach allem, was ich hinter mir hatte, konnte ich diesem Blick standhalten, ich ließ mich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen.
»Was soll denn sein, meine Liebe? Glaubst du, ich werde senil?«
Ungeachtet dessen bat sie mich, sie im Rollstuhl durchs Dorf bis zur Post zu fahren, um unnötigerweise eine Flasche Milch und eine Zeitung zu kaufen. Mit Mrs Cumber, der Postfrau, redete sie ausführlich über ihren schlimmen Rücken, und auf der Rückfahrt ließ sie mich halten, um über den Steinwall hinweg mit dem jungen Bauunternehmer Percy Fleet und seiner langjährigen Freundin (Melinda? Melissa?) zu plaudern, während die ihren Gartengrill anheizten – eine Ziegelkonstruktion mit Schornstein, die sich stolz auf der Betonfläche vor dem neuen Wintergarten erhob. Sie bedauerten meine Mutter: Ein Sturz, das war wirklich das Schlimmste. Melinda führte das Beispiel ihres alten, von Schlaganfällen heimgesuchten Onkels an, der nach einem Sturz im Badezimmer wochenlang verwirrt gewesen war.
»So was will ich auch, Percy«, sagte meine Mutter und zeigte auf den Wintergarten. »Sehr schön.«
»Ein Voranschlag kostet nichts, Mrs Gilmartin.«
»Wie hat es Ihrer Tante hier gefallen? Hat sie sich amüsiert?«
»Meiner Schwiegermutter«, berichtigte Percy.
»Ach ja, natürlich. Ihrer Schwiegermutter.«
Wir verabschiedeten uns, und ich schob sie unwillig die holprige Straße entlang, während in mir Ärger darüber hochstieg, dass sie mich zur Mitwirkenden in dieser Theatervorstellung gemacht hatte. Überhaupt