Es muss ebenso wie in der mechanisch gesteuerten Auswahl nur hier durch elektronische Impulse für jede Nadel im Bereich der unteren Austriebsteile entschieden werden, ob ein Nadelaustrieb oder kein Austrieb erfolgen soll. Kein Austrieb bedeutet, dass Flottungen entstehen oder nicht gestrickt wird, während ein Austrieb eine weitere Entscheidung im Bereich der oberen Austriebsteile erfordert, um entweder Henkel oder Maschen zu bilden.
Hinzu kommen zwei weitere Steuerungen: die Maschenschleifenübergabe und die Maschenschleifenübernahme. Bild 4.75 zeigt die 5 möglichen Positionen der Nadel in der Stricktechnologie. Die bisherige Drei-Weg-Technik (stricken = Masche, fangen = Henkel, nicht stricken = Flottung oder RL- Bindung) ist in der elektronisch gesteuerten Flachstrickmaschine zur Fünf-Weg-Technik (stricken, fangen, nicht stricken, übergeben, übernehmen) erweitert worden (Bilder 4.75, 4.76, 4.77, 4.78). Durch diese Jacquardauswahl können Henkel und Flottungen und Transfer in beliebiger mustermäßiger Folge oder farbige Maschen bei entsprechendem Fadenführerwechsel gebildet werden.
Bild 4.75: Mögliche Nadelpositionen, 1 = nicht stricken, 2 = fangen, 3 = stricken, 4 = Masche übernehmen, 5 = Masche übergeben (s. Bilder 4.76, 4.77)
Bild 4.76: Maschenschleifenübertragung von Nadelbett zu Nadelbett, 1 = Spreizfeder
Bild 4.77: Maschenübertragung von Nadelbett zu Nadelbett (a – d)
Bild 4.78: Maschenübertragung von vorn nach hinten, 1 = Nadelkopf sticht in die aufgespannte Maschenschleife, 2 = die im Nadelkopf der hinteren Nadel befindliche Maschenschleife wird von der vorderen Nadel abgeworfen
Besonders interessant ist die Jacquardtechnik in der Flachstrickerei für Strukturmusterungen, deren Oberfläche durch mustergemäße Anhäufungen von Maschen, Henkeln, Flottungen sowie verhängten Maschen sehr plastisch wirkt (Bilder 4.72, 4.73, 4.79).
Außer der Einzelnadelsteuerung (Jacquard) werden in diesen Maschinen auch alle weiteren Funktionen – Fadenführer- und Schlossschaltungen, Nadelbettenversatz – elektronisch/elektromagnetisch ausgelöst, und die erforderlichen Impulse für Einzelnadelauswahl und Funktionen werden über USB oder online eingegeben.
Bild 4.79: Mustermäßig übertragene Maschen in einem RR-Gestrick
Ein Schema einer elektronisch gesteuerten Schlossanordnung zeigen die Bilder 4.80–4.84. Das dargestellte Schloss ermöglicht für jede Nadel in jedem Strickvorgang auf beiden Nadelbetten unabhängige mustergemäße fünf Wege, sodass Färb- und Strukturmuster (mit Maschen, Henkeln, Flottungen) sowie Maschenübertragungen (Übergeben oder Übernehmen) für Musterzwecke (rechte/linke Maschenseiten, Zopfmuster u. dgl.) und Formgebung (fully fashion) in jeder Strickreihe realisiert werden können.
Bild 4.80: Schlossanordnung einer elektronischen Flachstrickmaschine, 1 = oberes Austriebsteil, 2 = Schlossteil zum Übernehmen,
Bild 4.81: Schlossschaltung für Masche
Bild 4.82: Schlossschaltung für Henkel
Bild 4.83: Schlossschaltung für Übergeben
Bild 4.84: Schlossschaltung für Übernehmen
Jedes Abzugsteil kann individuell für verschiedene Maschengrößen – auch innerhalb einer Maschenreihe – gemäß Strickprogramm über einen Schrittmotor eingestellt bzw. verändert werden. Auf diese Weise kann die Warenqualität über CAD-Technik im Strickprogramm festgelegt und die Musterkombinationen wesentlich erweitert werden.
Dabei unterscheidet man bei der Maschenlängenanpassung (auch Kuliertiefe oder Festigkeit genannt):
Maschenfestigkeit (-länge)
– statische Festigkeit
– dynamische Festigkeit
– selektive Festigkeit
Bei statischer Festigkeit wechselt die Kulierung nach jeder Maschenreihe. Die dynamische Festigkeit kann innerhalb weniger Nadeln (halbe Schlossbreite) wechseln, und die selektive Festigkeit erlaubt eine nadelgenaue Maschenlängenanpassung.
Die Informationen und Befehle für die individuellen Nadelwege werden während des Strickens in die Schlossmagnete zur Nadelsteuerung eingespeist.
Der Schlitten muss nur in dem Nadelbereich bewegt werden, in dem jeweils gestrickt wird. So werden durch diese Hubanpassung die langen Schlittenwege vorangegangener Maschinenkonstruktionen (z. B. Bild 4.2) zum Durchschieben der Schlossriegel (Schlossschaltung) vermieden und die Leistung wesentlich erhöht. Elektronische Steuerungen mit Fünf-Wege-Technik, Splitten, Festigkeitswechsel während des Strickens, Hubanpassung, beliebige Breiten- und Höhenrapporte, flexible und sehr schnelle Datenaufbereitung zusammen mit Niederhalteplatinen haben die heutige Flachstricktechnologie gegenüber der mechanischen Steuerung so revolutioniert, dass der Mustervariation kaum noch Grenzen gesetzt sind.
Um in Hand-Flachstrickmaschinen Maschenschleifen innerhalb eines Nadelbettes zu verhängen, können Decknadeln mit einem Loch eingesetzt werden (Bilder 4.85, 4.86), die von Hand auf die Nadelköpfe gelegt werden und anschließend die Maschenschleifen übernehmen (Bild 4.87). Nach der Trennung von den Zungennadeln erfolgt ein seitlicher Versatz und anschließend die Übergabe der Maschenschleifen an die Nachbarnadeln (Bilder 4.88, 4.89, 4.90, 4.91). Die Maschenübertragung wird für die Musterung, aber auch für die Minderung und Zunahme von regulär (auf Passform, fully fashioned) gearbeiteten Gestricken benötigt (Bilder 4.92, 4.93, 4.94).
Bild 4.85: Maschenschleifenübergabe in Handstrickmaschinen, 1 = Decknadel, 2 = Decker
Bild 4.86: Maschenschleifenübergabe, 1 = Decker, 2 = Decknadel, 3 = Zungennadel (vgl. Bild 4.85)
Bild 4.87: Maschenschleifenübernahme
Bild 4.88: Maschenschleifenübergabe