Dieselbe Gleichförmigkeit findet sich noch in einer andern Hinsicht. Wie nämlich fast bei jeder Behandlung einer einzelnen Frage in diesem Gespräch eine Abschweifung vorkommt, in welcher grade auf das Wahre und Rechte, welches in der Abhandlung selbst nirgends hervortritt, deutlich hingewiesen wird: so ist auch in das Ganze selbst eine große Abschweifung gesetzt, welche diese Andeutungen in Masse enthält, für die unmittelbare Fortschreitung des Gesprächs aber eine höchst willkürliche Unterbrechung zu sein scheint, nicht ungezwungener herbeigeführt und nicht besser in Maß und Zügel gehalten, als jene wohl mit Recht so sehr getadelte im »Phaidros«, die ganze Stelle nämlich vor der letzten Widerlegung des Protagoreischen Satzes, wo der Unterschied zwischen den Zöglingen der Philosophie und denen der Rhetorik und ähnlicher Künste gezeichnet wird, und das Göttliche, Wahre und Gute in seiner eigentümlichen, der Beschränktheit auf das Persönliche ganz entgegengesetzten Natur hervortritt. Und zwar absichtlich scheint diese Abschweifung bald an den Anfang gestellt, damit wenigstens der aufmerksame Leser einen hellen Punkt habe, vermittelst dessen er sich in den verschlungenen Irrgängen des Gesprächs zurechtfinden könnte.
Durch diesen schließt sich nun auch der »Theaitetos« unmittelbar und fast einzig unter den früheren Gesprächen als Fortsetzung wiewohl von dem entgegengesetzten Punkte aus an den »Parmenides« an, wie denn überall andere Beziehungen auf frühere Werke in dem, was zum Wesentlichen des Gesprächs gehört, nicht vorkommen. Diese aber sind merkwürdig. Schon die Art, wie nicht nur die Eleatische Lehre der Ionischen, sondern auch Parmenides den übrigen Eleatikern entgegengestellt wird, läßt sich kaum anders verstehen, als daß eben diese übrigen, zumal der besonders genannte Melissos, dem Platon eben so sehr von der Wahrheit abzuweichen schienen als die Ionier, denen er doch auch in Vergleich mit denen, welche alles mit Händen greifen wollen, eine wahrhaft philosophische Tendenz zuschreibt. Wenn nämlich die Ionier, wie er sich ausdrückt, auch das Unbewegliche bewegten: so wollten vielleicht die Eleatiker meistenteils auch das Unaufhaltsame in Ruhe bringen, und nur Parmenides schien durch seinen Gegensatz zwischen dem einzusehenden und dem erscheinenden, von dem uns leider nur rohe Umrisse und einzelne Spuren geblieben sind, den rechten Weg betreten oder wenigstens geahndet zu haben, wiewohl auch gegen seine Lehre Platon Ausstellungen machen wird in einem folgenden Gespräch. Auch in dem, was Platon hier von ihm sagt, entdeckt man leicht das Vorhaben, bei einer künftigen Gelegenheit die Parmenideische Lehre gründlicher zu behandeln, kurz eine Ankündigung dessen, was er hernach im »Sophistes« geleistet hat. Zugleich aber liegt darin fast ein stillschweigendes Preisgeben des Zenon, der von den übrigen, die Sokrates nicht eben großer Achtung würdiget, keinesweges ausgenommen wird, und ein Wink, wie wenig Jemand wagen dürfe, den Parmenides zum Gegenstand seines Spottes zu machen, und wie schwer es wäre, zu dem wahren Inhalt seiner Lehre durchzudringen. Beides bezieht sich offenbar genug auf das gleichnamige Gespräch, und auf mancherlei aus diesen Andeutungen ziemlich leicht zu erratende Mißgriffe in dem Verständnis desselben. So kommen auch ohne besondere Erwähnung desselben anderwärts mehrere von den im »Parmenides« durchgeführten Gegensätzen wieder vor, zum Teil mit Erläuterungen begleitet über das, was dort in möglichster Kürze kahl hingestellt worden. So daß sich auf alle Weise auch hierdurch die Stellung des »Theaitetos« zwischen dem »Parmenides« und »Sophistes« rechtfertigt. Außer diesen kommen nur noch, wie sie im Ganzen liegen, so auch im Einzelnen mehrere Beziehungen auf den »Gorgias« vor, unter denen auch einzeln betrachtet die, welche ihn voraussetzen, bei weitem die Oberhand haben über die, welche das Ansehn haben, als müsse der »Theaitetos« vor den »Gorgias« gestellt werden.
In zweierlei sind übrigens beide Gegenstücke einander noch besonders ähnlich. Einmal, daß in beiden beiläufig mancherlei ganz gleichartiges vorkommt. So werden auch im »Theaitetos« große Stellen aus der »Verteidigung des Sokrates« wiedergebracht und gleichsam kommentiert; denn auch auf eine eigne Weise, die doch fast verbürgt, daß er irgend eine kleine Blöße in dieser Hinsicht irgendwo muß gegeben haben, läßt er sich darüber aus, wie höchst natürlich und sehr zu verzeihen einem Philosophen die Unwissenheit sei in allen bürgerlichen Dingen und Gebräuchen. Mögen Sachkundigere entscheiden, ob sich dies auf jene Verteidigungsrede beziehn könne, oder auf Stellen in irgend einer andern seiner Schriften, oder auf irgend eine Tatsache, von welcher noch Spuren übrig geblieben. Ferner an mehreren Stellen offenbare Verteidigung teils seiner indirekten Darstellungsart überhaupt, wie in der Erläuterung über die Hebammenkunst des Sokrates, teils gegen mancherlei Vorwürfe gerichtet, die man seinen Schriften muß gemacht haben, und so auch Tadel der Art und Weise, wie manche Gegner vielleicht ihn zu widerlegen suchten. So zum Beispiel kommt er wie im »Gorgias« auch hier öfters darauf zurück, daß man nicht aus scheinbaren Folgerungen in philosophischen Dingen widerlegen müsse, und besonders darauf, unter welchen Bedingungen eigentlich im Dialog ein Satz eines Gegners als widerlegt kann angesehen werden. So daß, wenn man diese durch beide Gespräche öfters wiederkehrende lebhafte Äußerungen recht betrachtet, man einen verhaltenen steigenden Unwillen bemerkt, der sich hernach im »Euthydemos« gründlich Luft zu machen sucht. Zweitens haben beide Gespräche auch in dem philosophischen Gehalt eine Polemik mit einander gemein, die von ganz anderer Art ist, als etwa