„Drinnen, ganz hinten“, antwortete einer. Er deutete mit dem Kopf nach links.
„Danke“, sagte ich und ging in die angedeutete Richtung, während ich Männern auswich, die Anweisungen hin und her riefen und noch mehr Blumen und Pflanzen herumtrugen. Die fieberhafte Geschäftigkeit dieses Ortes gefiel mir. Ich mochte es, beschäftigt zu sein. Ich wollte diesen Job so sehr, dass mir von der Angst, die durch meinen Körper floss, schwindelig und übel war. Ich holte tief Luft, zögerte eine Sekunde und klopfte dann an die kleine Tür mit dem dreckigen halbdurchsichtigen Fenster.
„Ja?“, rief eine Stimme, die so heiser klang, als wäre ihr Besitzer ein Kettenraucher.
Ich öffnete die Tür und sah einen kleinen Mann um die sechzig mit wettergegerbter Haut und schütterem grauen Haar, das unter einem abgetragenen Tweed Hut hervorlugte.
„Ähm, ich bin Aaron? Aaron Cooke? Wir haben vorhin über den Job gesprochen?“ Ich hasste, wie hoch und zaghaft meine Stimme klang.
„Oh, ja, ja, komm rein und mach die Tür hinter dir zu.“ Vincent winkte mich zu sich und deutete auf den Stuhl. „Setz dich.“
Seinen Anweisungen folgend schob ich den kleinen harten Stuhl vor seinen Schreibtisch und starrte ihm forschend ins Gesicht.
„Okay, gut. Ich mag Männer, die mir in die Augen sehen können. Arbeitest du gerne mit Pflanzen und Blumen?“
„Ja, das habe ich schon mein ganzes Leben lang gemacht. Wir hatten einen Garten und ich habe damals Gemüse und Blumen angebaut.“
Vincent nickte beifällig. „Gut. Muss ich dir den Mist nichʼ beibringen. Ich hass es, Leute auszubilden, die von nix ne Ahnung haben.“ Er kniff die Augen zusammen. „Verheiratet?“
Meine Muskeln verspannten sich. „Nein.“
„Gut. Also meckert niemand über Spätschichten. Freundin?“ Auf mein Kopfschütteln hin rülpste er und rieb sich den Bauch. „Ja, kann ich dir nichʼ vorwerfen. Wie alt bist du denn? Achtundzwanzig? Neunundzwanzig?“
„Ja, ähm, ich meine achtundzwanzig.“
„Da hast du noch genug Zeit, um dich niederzulassen. Kinder?“
„Nein. Nur ich.“ Himmel, diese scheiß Fragen zerrten an meinen Nerven. Auch wenn er wusste, dass er mich nicht über meine Festnahme ausfragen konnte, gab es eine Menge subtile Wege, mich wissen zu lassen, dass er Bescheid wusste.
„Okay.“ Er kritzelte ein paar Sätze auf ein Blatt Papier. „Nimm das und gibs meiner Tochter Marie da draußen. Sie hat nen Freund, also komm mir nicht auf dumme Gedanken.“ Er lachte leise vor sich hin und ich zwang mich, mit einzustimmen. „Sie wird dir dein Schließfach zeigen und den Papierkram mit dir machen. Du kriegst Hundert die Woche und wirst für jeden Dollar arbeiten. Du wirst um acht Uhr morgens beginnen und aufhören, wenn ich sage, dass du gehʼn kannst. Hier gibt es keine Einhörner, also jammer nichʼ über die Bezahlung.“
„Kein Problem.“ Er hatte keine Ahnung, wie verzweifelt ich war. Für mich war das ein Vermögen. „Ich bin bereit.“
„Gut. Lennie!“, rief Vincent. Nach einem Moment kam ein großer, gut aussehender Typ in das Büro, dessen Arme über und über mit Tattoos bedeckt waren.
„Ja, Paps, was gibts?“
„Das hier isʼ Aaron. Hab ihn grad eingestellt. Wenn er sein Zeug Marie gegeben hat, führ ihn rum und zeig ihm alles.“
„Gut.“
„Aaron, hör auf Lennie. Er hat das Sagen.“
Das war es. Einfach so war ich eingestellt und Erleichterung durchflutete mich so stark, dass ich mich schwach fühlte. „Danke. Ich werde mein Bestes geben. Was immer Sie brauchen.“
„Ja, klar. Geh mit Lennie.“
Ich verließ das Büro, die Papiere fest umklammert und hoffend, dass ich sie nicht vollschwitzen würde. Lennie führte mich zu einer jungen Frau um die fünfundzwanzig, mit dickem schwarzen Haar, das sie in weichen Wellen auf ihrem Kopf drapiert hatte, und dem Gesicht voller Make-up. Ich kannte ihren Typ Mensch aus dem Ort, an dem ich aufgewachsen war. Ihnen würde nicht mal im Traum einfallen, einkaufen zu gehen, ohne sich herauszuputzen. Doch ihr Lächeln war freundlich und sie musterte mich mit offensichtlichem Interesse.
„Hi. Ich bin Marie.“
„Hör auf zu flirten, Marie. Paps hat ihn gerade angestellt. Er muss seinen Papierkram erledigen.“
„Ach, sei still.“ Sie rollte mit den Augen und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Eine Welle der Traurigkeit traf mich kurz darauf, als Carmelas und Jasmines Gesichter vor mir auftauchten. Ich fragte mich, wo sie wohl waren. Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit die vom Jugendamt sie mitgenommen und in eine Pflegefamilie gesteckt hatten.
Marie lächelte mich an. Sie deutete auf einen Stuhl. „Ich bin doch bloß nett. Außerdem habe ich einen Freund, Dominic. Setzt euch. Das wird nur eine Minute dauern. Siehst nicht so aus, als wärst du beschäftigt, Lennie, oder hast du was Besseres zu tun?“
„Oh, Mann“, murmelte Lennie mir leise zu. „Sag nichts. Sie wird dich mit ihrer besten Freundin Regina verkuppelt und verheiratet haben, bevor du überhaupt weißt, wie dir geschieht.“
„Gina ist nett. Nur ein bisschen schüchtern.“
Ich füllte die Formulare aus und hielt meinen Kopf gesenkt, in der Hoffnung, mich aus der Schussbahn halten zu können. „Hast du eine Freundin, Aaron?“
„Nein.“ Ich kritzelte meine Adresse auf ein weiteres Formular.
„Datest du jemanden ernsthaft?“
„Im Moment nicht.“ Ich biss mir auf die Wange und hasste die Tatsache, dass ich Frankie geheim halten musste. Doch in dieser Machoatmosphäre hatte ich nicht das Gefühl, dass sie es gut aufnehmen würden, wenn ich ihnen erzählte, dass ich auf Schwänze stand.
„Lass ihn in Frieden. Der arme Kerl ist hier, um zu arbeiten, nicht um sich zu verloben.“
Ich lächelte Lennie dankbar an. „Hier.“ Ich reichte Marie die Papiere. „Ich habe alles ausgefüllt.“
Marie überflog meine Antworten, bemerkte meine Adresse und ihre großen braunen Augen leuchteten auf. „Oh, du wohnst ja gar nicht weit weg von uns. Vielleicht magst du ja mal zum Sonntagsessen vorbeikommen.“
„Tu es nicht. Das ist eine Falle“, sagte Lennie und ergriff meine Schulter. „Sie wird all ihre Freundinnen einladen, und du wirst den ganzen Abend umzingelt sein. Lass uns dein Schließfach suchen und dann kann es losgehen. Wir haben gerade erst eine Lieferung Pinsel reinbekommen, die etikettiert, ausgezeichnet und in die Regale sortiert werden müssen. Dann will Paps, dass wir die Blumenstiegen nach Farbe sortieren.“
„Ich bin bereit.“ Ich sprang aus dem kleinen Stuhl, froh darüber, Maries Befragung endlich hinter mir lassen zu können. „Danke und schön Sie kennenzulernen. Bis später dann.“
„Ebenfalls. Und hören Sie nicht auf ihn. Was soll schon schlimm daran sein, den Abend umgeben von hübschen Frauen zu verbringen? Wir sehen uns.“
Noch immer den Kopf schüttelnd wartete Lennie, bis ich ihn eingeholt hatte. „Sie wird nicht aufhören, bis du ihr ausdrücklich sagst, dass du nicht interessiert bist. Vielleicht solltest du eine Freundin erfinden.“
Er hatte ja keine Vorstellung. Ich gab ihm ein dünnes Lächeln und nickte. „Äh, ja.“
„Ich mein, ihre Freundinnen sind süß und so, aber die haben nur das Heiraten im Sinn. Wir sind noch jung, wenn du verstehst, was ich meine?“ Er zwinkerte und stieß mir kumpelhaft in die Seite. „Wir haben noch so viel Zeit, uns auszutoben, bevor wir uns Haus, Hund und Hof zulegen.“
„Stimmt schon.“ Ich hatte beschlossen, dass es besser war, möglichst wenig über mein Privatleben zu erzählen.
„Hier