Beispieltext 12 : Lexikonartikel
DUDEN. Recht A–Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. Mannheim 2007: Dudenverlag, 89.
Aus dem Vergleich von Text 11 und Text 12 geht zunächst hervor, dass beide Texte stilistisch völlig unterschiedlich sind, aber ein gemeinsames Thema haben: das Thema ‚Brandstiftung‘. Doch die Übereinstimmung im Thema besteht nur partiell, denn ‚Brandstiftung‘ ist in Text 11 ein EREIGNIS und in Text 12 ein BEGRIFF (die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch des Wortes Brandstiftung). Den Texten liegen also verschiedene „Thementypen“ (Adamzik 2004: 123f.) zugrunde. Damit im Zusammenhang ist die ThemenentfaltungThemenentfaltung eine jeweils andere. Es stehen sich zwei TexthandlungenTexthandlung gegenüber: das BERICHTENBERICHTEN über ein EREIGNIS anhand von FAKTEN und das BESCHREIBENBESCHREIBEN eines BEGRIFFs anhand von MERKMALEN seiner Struktur. Auf Grund der Indikator-Funktion von Stil stehen sich auch zwei Stilformen gegenüber: der berichtende und der beschreibende Stil.
Berichtender StilStilberichtender entsteht in Text 11 durch
das Verwenden faktenbezeichnender Lokal- und Temporalangaben (in Berlin-Wilmersdorf; in der Nacht zu Montag), die ein Ereignis in Raum und Zeit einordnen;
die Wahl der Tempusformen Präteritum und Präteritumperfekt zur Kennzeichnung vergangenen und vorvergangenen Geschehens (wurden angezündet und beschädigt; war angezündet worden u.a.);
das zeitliche Strukturieren des Ereignisablaufs mit Hilfe von Tempusformen (Präteritum, Präteritumperfekt), temporalen Adverbien (nun), temporalen Präpositionen (nach) u.a. Mitteln.
Beschreibender StilStilbeschreibender entsteht in Text 12 durch
das HinzufügenHinzufügen von Wesensmerkmalen des zum ThemawortThemawort gewordenen Begriffs Brandstiftung mit Hilfe eines Gattungsworts (Gefährdungsdelikt) und definierender Attribute (gemeingefährlich; mit hohen Strafen bedroht), wodurch die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch des Themaworts in eine definierte Bedeutung überführt wird;
das HinzufügenHinzufügen von Differenzierungsmerkmalen des Begriffs mit Hilfe klassifizierender Attribute (schwere B.; besonders schwere B.; einfache B.; fahrlässige B.), wodurch die begriffliche BedeutungSemantik/semantisch hierarchisch strukturiert wird;
das einheitliche Verwenden der Tempusform Präsens, deren atemporale Variante den begrifflichen Bestimmungen Allgemeingültigkeit verleiht (z.B. wird bestraft; setzt in Brand; liegt vor).
Will man den Unterschied zwischen dem berichtenden und dem beschreibenden Stil an GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip bzw. GestaltqualitätenGestaltqualität festmachen, so bieten sich die klassischen Gegensatzpaare ‚KonkretheitKonkretheit‘ vs. ‚AbstraktheitAbstraktheit‘ sowie ‚DynamikDynamik‘ vs. ‚StatikStatik‘ an (Näheres dazu in 3.2).
b) Arten textsortentypischer FormulierungFormulierung von Thema und Teilthemen
Die stilistischen Unterschiede zwischen beiden Beispieltexten (Texte 11 und 12) sind auch an thema- und themenstrukturbezogenen Formulierungsweisen erkennbar. Eine Erklärung für die Unterschiede liegt in der Zugehörigkeit der Texte zu verschiedenen TextsortenTextsorte. Auf die Beispieltexte bezogen stehen sich zwei weitere Stilformen gegenüber: der journalistische Stil im Textsortenrahmen Medienbericht (Text 11) und der fachliche Stil im Textsortenrahmen Lexikonartikel (Text 12). Da der Artikel zum Fachgebiet Rechtswesen verfasst ist, kann die Stilkennzeichnung ‚fachlicher StilStilfachlicher‘ präzisiert werden. Es handelt sich hier um den juristischen StilStiljuristischer.
Journalistischer Stil (Text 11) beruht u.a. auf
dem Verwenden faktenbezeichnender RealienwörterRealienwort (Eigennamen, Kalenderdaten, ZahlwörterZahlwort u.a.), wodurch der Ereignisdarstellung GenauigkeitGenauigkeit verliehen wird (Eigennamen im Beispieltext sind Ortsteilnamen: Berlin-Wilmersdorf; Straßennamen: Ahrweilerstraße; Personennamen: Gunnar Schupelius);
dem Wiedergeben von recherchierter Rede, wobei deren Wortlaut originalgetreu (direkte RedeRededirekte) oder vom Original abweichend (z.B. per indirekter RedeRedeindirekte) übernommen werden kann (Beispiele für beide RedewiedergabeformenRedewiedergabeform finden sich vor allem im letzten Abschnitt des Beispieltextes);
dem Bevorzugen von gemeinsprachlicher Lexik, wodurch der Ereignisdarstellung AllgemeinverständlichkeitAllgemeinverständlichkeit verliehen wird;
dem HinzufügenHinzufügen von Informationsquellen, die als „Glaubwürdigkeitssignale“ (Lüger 1995: 99) fungieren (hieß es bei der Polizei; sagte ein Sprecher);
„anregenden Zusätzen“ (ebd.: 112), auch als Rezeptionsstimulantien oder AttraktivmacherAttraktivmacher bezeichnet, im Dienste von Interessantheit und UnterhaltsamkeitUnterhaltsamkeit. Auf solcherart Zusätze (Wortspielereien, alltagssprachliche Formulierungen, AnspielungenAllusion u.a.m.) kann verzichtet werden, wenn dem Thema etwas Außergewöhnliches innewohnt, etwa wenn das Opfer des Brandanschlags ein bekannter Journalist ist (Text 11) oder der Brandstifter ein Feuerwehrmann.
Juristischer Stil (Text 12) beruht u.a. auf
dem ErsetzenSubstituieren von gemeinsprachlicher Lexik durch ein- und mehrgliedrige TerminiTerminus aus dem Fachgebiet des Rechtswesens (Gefährdungsdelikt; Freiheitsentzug);
dem Verwenden von gemeinsprachlicher Lexik mit fachsprachlicher SemantikSemantik/semantisch (vgl. z.B. schwere B.; besonders schwere B.; fahrlässige B.);
dem Herstellen intertextueller Beziehungen in Form von Verweisen auf Gesetzesgrundlagen mit Paragraphenzeichen (z.B. nach § 306a StGB);
dem Herstellen von Tatbestand-Rechtsfolge-Konstruktionen (vgl. Nussbaumer 2009: 2137), z.B. wegen schwerer B. wird […] mit Freiheitsentzug nicht unter einem Jahr bestraft (= Rechtsfolge) – wer in Brand setzt: 1) ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2) ein Gebäude, ein Schiff oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient […] (= Tatbestand).
Die aufgezeigten Verfahren und Mittel des juristischen StilsStiljuristischer folgen dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip GenauigkeitGenauigkeit.
Zum Wie der FormulierungFormulierung von Thema und Teilthemen gibt es – andere Texte heranziehend – noch einiges mehr zu sagen. So muss das Thema keinesfalls explizit und klarKlarheit formuliert sein. Es kann auch angedeutetAndeuten, versteckt, verdeckt oder verschwiegen werden.
AndeutenAndeuten des Themas: Andeutungen finden wir z.B. in Romantiteln wie „Die Klavierspielerin“ (Text 6). Hier wird lediglich die Hauptfigur sozial kategorisiert. Der Titel legt die Interpretation nahe: ‚Es geht um eine Klavierspielerin.‘ Andeutungen können ausgebaut werden, wie im Romantitel „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ (Roman von Jonas Jonasson). Hier wird jedoch nur der Inhalt des extrem kurzen ersten Kapitels komprimiertKomprimiertheit wiedergegeben.
VersteckenVerstecken des Themas: In Witzen und Bildwitzen (Text 7) ist das Thema in die PointePointe eingearbeitet, quasi in ihr versteckt, und aus ihr zu erschließen. Ein geläufiges Witzthema sind ‚Missverständnisse‘.