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bevor das Jahr zu Ende ist, einer Jury zugetragen wird (dem Werbekurzfilm zufolge werden sogar „die 15 fettesten Wörter […] einer Expertenjury hingebrettert“, ebd.). Diese Jury nimmt unter Anwendung von vier Kriterien (sprachliche KreativitätKreativität, Originalität, Verbreitungsgrad sowie ein möglicher Bezug zu gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen) die abschließende Auswahl vor und bestimmt die fünf ersten Plätze. Und so steht jeweils „am Ende des Jahres der Checker der Wörter fest“ (ebd.). Das war 2016 „fly sein“, ein wenig verbreiteter, jedoch nach Ansicht der Jury aufstrebender Ausdruck aus der Hip-Hop-Sprache mit der Bedeutung „besonders abgehen“. 2015 schaffte es „Smombie“ auf Platz 1, was sich wie folgt definiert: „… jemand, der wie gebannt auf sein Smartphone schaut und dadurch wie ein Zombie durch die Gegend läuft“ (ebd.). 2014 lautete das Jugendwort des Jahres „Läuft bei dir“, 2013 „Babo“ („Boss, King, der Beste, der Ranghöchste“, ebd.) und 2012 wurde das Akronym „Yolo/yolo“, das für you only live once steht, auf Platz 1 gesetzt. Das Jugendwort des Jahres ist ein Beispiel dafür, wie Jugendliche Sprache in Besitz nehmen, ihr Bedeutung geben und sie formen – oftmals auf kreative Weise. Kommunikation im Jugendalter bedeutet, in vielen Kontexten die Art selbst zu bestimmen, wie kommuniziert wird, mitunter nämlich in einer Jugendsprache, und sich die Gesprächspartner, mehr als in früherer Kindheit, selbst auszuwählen (vgl. 2.1).

      Jugendsprachen sind kein auf Deutschland begrenztes Phänomen, sondern existieren auch in anderen Ländern, vielfach mit vergleichbaren Merkmalen. Jugendsprachen zeichnen sich durch verschiedene Modifikationen, auch jenseits der Wortebene, aus. Einige ursprünglich jugendsprachliche Sprechweisen finden den Weg in die Umgangssprache, was einerseits die Innovationskraft der jungen Generation sichtbar macht, andererseits die Jugend aber auch dazu veranlasst, ihre Sprache, durch die eine „Art Generationsidentität“ (Marossek 2016: 42) hergestellt und zum Ausdruck gebracht werden soll, nach relativ kurzer Zeit schon wieder sprachlichen Renovierungs- und Innovationsmaßnahmen zu unterziehen. Largo/Czernin (2011: 110) sprechen von einem schnellen Wandel und weisen darauf hin, dass von jeder Generation die Jugendsprache „neu geschaffen und emotional aufgeladen werde“. „Keine andere Sprechergruppe hat einen so markanten und zugleich wandlungsfähigen Stil wie die Jugendlichen“ (Marossek 2016: 39). Im Folgenden werden der Zweck und einige Merkmale von Jugendsprachen, die sich übrigens als gruppenspezifische Sprechweisen definieren, dargestellt.

      2.2.1 Funktionen und Merkmale von Jugendsprache(n)Jugendsprache(n)

      Die Tatsache, dass Jugendliche Sprache nicht nur übernehmen, sondern sie aktiv verändern und zum Teil neu gestalten, zeugt von ihrer KreativitätKreativität (vgl. 3.6), Explorationsfreude, Identitätssuche, sprachlichen Sensibilität und Emotionalität (vgl. 3.3). Jugendsprache dient dazu, sich einerseits abzugrenzen – nicht nur von den Erwachsenen, sondern auch von anderen Sprechergruppen (es gibt nicht die eine Jugendsprache, sondern verschiedene zur selben Zeit) – und andererseits, wie schon angedeutet, Zugehörigkeit zu pflegen und zu zeigen. „Zum Wesen der Jugendsprache gehört es, zu entfremden, zu zitieren und zu verbildlichen“ (Marossek 2016: 39) und in der Tat ist die Wahl der Lexik ein wichtiges Merkmal.1 Neben Wortschöpfungen und Entlehnungen aus anderen Sprachen (zum Englischen vgl. 2.1.3) – in diesem Zusammenhang wird mitunter auch auf KiezdeutschKiezdeutsch, einen neuen deutschen Dialekt (vgl. Wiese 2012: 10),2 als eine Form von Jugendsprache hingewiesen – sind auf Wortebene auch Reduktionen oder Erweiterungen der Bedeutung zu beobachten: „‚Fett‘ heißt dann so viel wie richtig toll, und ‚cremig‘ steht für locker und entspannt“ (Marossek 2016: 40). Für einiges gibt es außerdem auffallend viele synonyme Bezeichnungen, z.B. für Idiot (voll der Honk oder Hunk, Lauch, Alpaka, Hasenhirn, Lappen, Vollzonk, Bodenturner, Alpha-Kevin sowie Opfer, Horst, Schwachmat, Spacko, Spast, Vollspast oder Spasti etc.).3 Des Weiteren zählen die Verwendung von Umschreibungen und bildhaften Ausdrücken zu den Merkmalen von Jugendsprache, ebenso das Übertragen eines Wortes in eine andere Wortart, z.B. kann das Substantiv „Müll“ zu einem Verb, nämlich müllen, konvertiert werden. Der Name von Kanzlerin Merkel wurde zu merkeln (nichts tun, nicht reagieren, keine Entscheidung treffen) und hatte recht gute Chancen, zum Jugendwort des Jahres 2015 gewählt zu werden.4

      Ein weiteres Merkmal von Jugendsprache betrifft außer- und übersprachliche Zeichen, d.h. Ausdrucksformen jenseits der Wort- und Satzebene, die einen großen Beitrag zur Kommunikation leisten. Gestische und mimische Mittel nehmen z.B. in den „teilweise ausgefeilten Begrüßungs- und Verabschiedungsritualen“ (Marossek 2016: 41) von Jugendlichen eine bedeutende Rolle ein, begleitet von Begrüßungsformeln, wie z.B. „Hey Kackspast!“, „[Name], du Spast, Alter!“ oder „Heeeyy, lassma gleich Späti gehen. Kommst du?“ als direkte Einladung, sich einer Unternehmung anzuschließen. Einige der Beispiele zeigen, dass auch bestimmte Stilmittel, z.B. Provokation, eine Rolle spielen: „‚Erzählen‘ unter Jugendlichen heißt u.a. sich das Rederecht zu erkämpfen und in einem ‚krassen‘ Beitrag Gruppenstimmung zu machen. Dazu bedarf es sozialer und rhetorischer Strategien, u.a. der Provokation“ (Steckbauer et al. 2014: 148).

      2.2.2 Rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung und KurzdeutschKurzdeutsch

      In den Kontext von Provokationen und Erzeugung von Aufmerksamkeit fügt sich auch das schon seit mehreren Generationen in der einen oder anderen Form zu beobachtende Phänomen der rituellen BeschimpfungRituelle Beschimpfung ein.

      Respekt, Anerkennung und Dominanz werden aggressiv eingefordert. […] Letztlich dient (…) [die rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung aber auch] dazu, sich gegenseitig Respekt zu bekunden. […] Rituelle Beschimpfungen stellen einen Gegenentwurf zu den gültigen Regeln der Höflichkeit in der Erwachsenenwelt dar, und letztlich geht es Jugendlichen genau um diese identitätsstiftende Abgrenzung. (Marossek 2016: 64, 65, 77)

      Nicht alles, was in den Ohren von Erwachsenen wie eine Beschimpfung klingt, ist tatsächlich so gemeint.1 Offenbar kommt es – auch hier sind wieder Mittel jenseits der Wort- und Satzebene von Relevanz – sehr auf die Art an, wie die rituelle Beleidigung ausgesprochen wird. Manchmal soll allein die Länge eines einzelnen Vokals entscheidend dafür sein, ob z.B. Opferknecht tatsächlich beleidigend oder anerkennend gemeint ist (vgl. Marossek 2016: 71).2

      Die rituelle BeschimpfungRituelle Beschimpfung ist, zusammenfassend betrachtet, ein sehr anschauliches, greifbares Merkmal des Kurzdeutschs. Diejenigen, die sie praktizieren, zeigen in der Regel auch eine besondere Affinität zu den anderen Eigenheiten des Kurzdeutschs und umgekehrt. (Marossek 2016: 77)

      Hier wird von Marossek ein weiteres bemerkenswertes Phänomen erwähnt: das KurzdeutschKurzdeutsch. Largo/Czernin (2011: 113) weisen auf die Prägnanz von Jugendsprache und die Häufigkeit von Abkürzungen hin, was sich nicht auf die lexikalische Ebene beschränkt, sondern auch in syntaktischen Merkmalen niederschlägt. Die Tendenz zur Auslassung von Präpositionen und zur Tilgung von Artikeln sind Schlüsselmerkmale von Kurzdeutsch (Lassma Aldi gehen; Was? Gestern war ich Schule!). Bestimmte Ausprägungen von Jugendsprache bilden sozusagen die Keimzelle des Kurzdeutschs, inzwischen finden sich aber auch in der Sprache anderer Bevölkerungsgruppen Spuren von Kurzdeutsch, was ein konkretes Beispiel dafür ist – ob man es in diesem Fall nun schön findet oder nicht –, dass die sprachlichen Innovationen der jungen Generation die Grenzen des eigenen Soziolekts tatsächlich verlassen können. „Mit steigender Verbreitung unter den Erwachsenen verliert das Element oder gar der ganze Stil irgendwann endgültig den Status Jugendsprache und ist nun Bestandteil der ganz normalen Umgangssprache“ (Marossek 2016: 48).

      Die Verbreitung von KurzdeutschKurzdeutsch sei vor allem auf Formate der Selbstinszenierung im Internet, wie Posts in sozialen Netzwerken und Filme bei YouTube, zurückzuführen (vgl. Marossek 2016: 80f.). Auf diese Weise habe die Jugendkultur, gemeint ist in diesem Fall vor allem die multikulturelle Jugendkultur, denn diese soll maßgeblich an der Ausprägung von Kurzdeutsch beteiligt sein, selbst dazu beigetragen, dass Merkmale ihrer Jugendsprache Einzug in die Umgangssprache gefunden haben.

      Jugendsprachen zeigen vielfach Einflüsse von fremden Sprachen, z.B. des Türkischen oder Arabischen sowie weiterhin des Englischen, von Netzjargon, auch SMS-Kürzel (vgl. yolo) und vereinzelt aus der Musik, z.B. soll Babo, das oben erwähnte Jugendwort 2013, durch ein Lied des