Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sara Izzo
Издательство: Bookwire
Серия: edition lendemains
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300090
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révolutionnaire du Noir américain, semble-t-il, ne peut naître que dans le ressentiment et la haine, c’est-à-dire en refusant avec dégoût, avec rage, mais radicalement, les valeurs vénérées par les Blancs, cependant que cette entreprise ne peut se continuer qu’à partir d’un langage commun, d’abord refusé, enfin accepté où les mots ne serviront plus les notions enseignées par les Blancs, mais des notions nouvelles.14

      Der Mechanismus der Korrumpierung der Sprache beschreibt folglich das Phänomen einer Umwertung des bereits existierenden und allgemeingültigen Sprachsystems, welches von innen heraus zerbrochen wird. Solange die Revolution des Sprachsystems nicht vollzogen ist, muss die Positionierung vermittels der einheitlichen und feindlich besetzten Sprache darüber hinaus in Form einer „démarche oblique“15 erfolgen. Diese Metapher des schrägen Gangs, mit welchem sich George Jacksons im Gefängnis verfasstes Buch dem Leser nähert, beschreibt die Suspension eines Vokabulars des Hasses sowie den daraus resultierenden, verzerrten Darstellungsmodus. Vermieden wird so die Verwendung der „mots interdits, maudits, […] ensanglantés, […] crachés avec la bave, déchargés avec le sperme, […] calomniés, réprouvés, […] non écrits […], dangereux, cadenassés, […] qui n’appartiennent pas au vocabulaire“16. Die Virulenz und Vehemenz jener Worte, welche die Realität im Gefängnis aus einer frontal gegen den Leser gerichteten Perspektive wiedergeben könnten, werden durch die Verwendung eines zugelassenen Vokabulars eingedämmt, welches die kommunikativen Grundlagen für den Leser sicherstellt: „C’est donc derrière une grille, seule acceptée par eux, que ses lecteurs, s’ils l’osent, devineront l’infamie d’une situation qu’un vocabulaire honnête ne sait restituer, mais derrière les mots admis, discernez les autres!“17 Genets sprachreflexive Vision zeugt von einer Janusköpfigkeit der Sprache, die sich stets sowohl an Adressaten richtet, welche die Erfahrungen des Autors teilen, und solche, die jenseits dieses Erfahrungshorizontes situiert bleiben. Letzteren kann sich der Autor niemals frontal und direkt zuwenden, sondern nur schräg bzw. diagonal, wie auch Tahar Ben Jelloun, den Genet in den frühen 1970er Jahren kennenlernte, in seinen Erinnerungen als eigentümliches literarisches Merkmal Genets herausstellt:

      J’ai appris avec lui [Genet, S.I.], comme avec Roland Barthes dont je suivais le cours, qu’il fallait observer la société de manière oblique, jamais frontale, directe, ni parallèle. Ce que Barthes appelle ‚le détour‘, Genet l’appelle plutôt ‚diagonale‘, une diagonale qui traverse le monde.18

      Tahar Ben Jelloun vergleicht hier Genets Vorstellung einer schrägen, diagonalen Herangehensweise an die Gesellschaft mit Barthes’ Konzept des Umweges, des „détour“, und macht von einer ähnlichen Deskription Gebrauch wie Genet selbst in seinem letzten Interview mit Nigel Williams zur Visualisierung seiner eigenen kunstästhetischen Demarche: „[…] ma démarche à la société est oblique. Elle n’est pas directe. Elle n’est pas non plus parallèle, puisqu’elle le traverse, elle traverse le monde, elle le voit. Elle est oblique. Je l’ai vu en diagonale, le monde, et je le vois encore en diagonale.“19 In Anlehnung an dieses Verständnis kann die Kommunikation der Black Panthers mit der dominierenden Gesellschaftsschicht nur über einen Diskurs „mutilé, élagué de ses ornements trop tumultueux“20 funktionieren, der jedoch die Spuren des „passage orgiaque et haineux“21 in sich trägt. Es handelt sich um einen Diskurs durch die Gitterstäbe des Gefängnisses hindurch, den Genet aber – über Foucaults Konzept des Gegen-Diskurses hinaus – nicht nur als Freisetzung des eingeschlossenen Wortes thematisiert, sondern dessen poetische Funktionsweise er reflektiert. Implizit kontrastiert Genet dabei zwei Formen der Kommunikation, nämlich die emotional-affektive Verbalisierung des Hasses und die rational fundierte Sprache des Grammatikers, welche das syntaktische Gerüst liefert. In einem Interview mit Hubert Fichte 1975 beschreibt Genet rückblickend sehr exakt diese Antithese:

      Il semble qu’il y ait au moins deux sortes de communication: une communication rationnelle, réfléchie. […] Et puis, il y a alors une communication qui est moins certaine, pourtant évidente, je vais vous demander si vous êtes d’accord, le vers de Baudelaire: ‚Cheveux bleus, pavillon de ténèbres tendues‘, est-ce que vous trouvez que c’est beau?

      […] Et nous communiquons. Bon, il y a donc au moins deux sortes de communication, un mode qui est reconnaissable, contrôlable et puis un mode incontrôlable. L’action des Panthers relevait de la communication incontrôlable. […] C’était une révolution qui était de l’ordre affectif et émotionnel; alors, ça n’a pas de rapport … ça a peut-être des rapports mais très discrets avec des révolutions qui sont tentées ailleurs par d’autres voies.22

      Die Kommunikationsform der Black Panthers, welche hier als irrational und unkontrolliert charakterisiert wird, vergleicht Genet mit dem poetischen Prinzip von Kommunikation, wie das Zitat Baudelaires suggeriert. Damit steht Genets Konzept der gesellschaftspolitischen Kommunikation diametral derjenigen Sartres gegenüber, demzufolge die Poesie als selbstreferentielle Form der Kommunikation keine Reziprozität zum Gegenüber herstellen könne und per se ein Desengagement vermittle.23 Moreno begründet ihre Ansicht, dass Genets politische Texte bewusst nichts aussagten, auf Basis ebendieser Axiomatik Sartres:

      L’‚engagement‘ de Genet serait alors d’ordre poétique et politique. Contrairement à l’engagement sartrien, pour lequel la fin du langage est de communiquer, sauf dans la poésie, l’écrivain laisse sa prose être contaminée par la poésie. Il refuse ainsi de voir le langage comme un instrument qui permettrait de provoquer l’indignation, l’enthousiasme, ou bien de s’expliquer clairement. Il écrit pour ne rien dire même dans ses textes explicitement politiques.24

      Diese These ist kritikwürdig, da Moreno hier weder die Existenz und Ausdrucksform von Genets pragmatischen Texten berücksichtigt, noch sein spezifisches Konzept eines poetisch-politischen Engagements entschlüsselt. Während Sartre die Möglichkeit einer Öffnung zum Adressaten hin in der Poesie leugnet, basiert Genets Vorstellung von Kommunikation auf dem Phänomen der Polysemie. Dieses liegt in der Unzulänglichkeit der normativen Sprache, der Sprache des Feindes, begründet, die zwar als Kommunikationsmittel verwendet werden muss, aber ihre Bedeutung adressatenorientiert entfaltet und damit von einer inhärenten Mehrdeutigkeit bzw. Unkontrollierbarkeit geprägt wird. Die umstrittene Studie Éric Martys thematisiert die Bedeutung der Mehrdeutigkeit am Beispiel der Homonymie in Genets politischen Texten, welche als semantische Transgression bezeichnet wird.25 Genets Verwendung von Homonymen greife die politische Ordnung selbst an, insofern bei Genet die referentielle Sprachebene betroffen sei:

      La remise en cause de la langue a donc ici pour point d’appui le Réel, soit ce qui obscurcit et disperse, ou encore ce qui abolit tout lien, le lien du signifiant (du symbolique), celui de la possibilité du discernement (de l’autre), et le lien du signifié (de l’imaginaire), celui de la possibilité de l’identité du (même).26

      Marty verweist in diesem Kontext auf das seit Aristoteles bestehende Gebot der Eindeutigkeit politischer Reden, welches von Genet unterlaufen werde. Im dritten Buch seiner Rhetorik kontrastiert Aristoteles den poetischen und den rhetorischen Stil, welcher sich durch Klarheit und Angemessenheit in der Wortwahl auszeichnet und jegliche Irrtumsmöglichkeiten ausschließt.27 Bei Genet verweben sich diese traditionell differenzierten Stile bewusst, wie sich auch in der gattungsspezifischen Bezeichnung der Gefängnisbriefe als Mischform aus Essay und Liebesgedicht andeutet.28 Marty stützt seine These der Homonymie mittels des wenig überzeugend exemplifizierten Faschismus-Begriffs, den Genet sowohl zur Stigmatisierung der weißen Gesellschaft in den USA verwende, als auch als revolutionäre Strategie, so dass ‚Faschismus‘ einerseits die Repression durch die normative Gesellschaft beschreibe und andererseits den radikalisierten Befreiungskampf der unterdrückten afroamerikanischen Bevölkerung.29 Der Begriff des Faschismus als zeithistorisch bedingtes Schlagwort „demeure prise dans l’époque“30, wie Hadrien Laroche zu Recht konstatiert, wird jedoch von Genet auch in seinem etymologischen Bedeutungsursprung eines Faszinosums gebraucht, wodurch überhaupt erst dessen Polysemie erkennbar wird. Deutlicher wird Genets Sprachkritik anhand eines lexikalischen Phänomens, dessen kulturspezifisch bedingte Mehrdeutigkeit Genet im Kontext der Black Panthers wiederholt zitiert, nämlich das des Baumes, der je nach Perspektive als Symbol des Lebens oder des Todes figuriert: „Si un arbre pour nous, c’est une