Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sara Izzo
Издательство: Bookwire
Серия: edition lendemains
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300090
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par excellence et son engagement c’est la médiation.“33 Im Unterschied zu Roland Barthes unterscheidet Sartre daher auch nicht zwischen „Écrivains et écrivants“34, also zwischen Schriftsteller und Schreibendem, als welchen Barthes den Intellektuellen bezeichnet, sondern untermauert die Kongruenz jener beiden Standpunkte des Schriftstellers und des Schreibenden bzw. des Intellektuellen aufgrund der identischen Funktion als gesellschaftlicher Mediator vermittels eines ethischen Gebrauchs von Sprache.35 Für Sartre repräsentiert der Schriftsteller die Funktion des Intellektuellen „par essence“36.

      Die Mediatorenfunktion kennzeichnet folglich auch Sartres Konzept des universellen Intellektuellen, dessen funktionellen Wandel er bereits 1965 konstatiert, der dann jedoch mit Mai ’68 seine vorläufige Vollendung findet.37 Sartres Definition des Intellektuellen basiert auf der Unterscheidung zwischen Experten und Intellektuellen, wobei er jedoch jeden so genannten „technicien du pouvoir pratique“ als potentiellen Intellektuellen betrachtet, insofern er nämlich seinen Kompetenzbereich überschreitet.38 Eigentümlich sei daher für den Intellektuellen das ständige Spannungsverhältnis zwischen spezifischem und universellem Wissen, wobei jedoch für Sartre der Intellektuelle seine Funktion erst als „technicien de l’universel“ erfüllt.39 Wenn auch Sartre die Inkarnation jenes ‚universellen Intellektuellen‘ repräsentiert, so lässt sich im Nach-Mai gerade auch ein Transformationsprozess seiner Vision des intellektuellen Engagements konstatieren, welcher sich in seinem Bestreben äußert, „[de] nier le moment intellectuel pour tenter de trouver un nouveau statut populaire.“40 Er postuliert die Auflösung des klassischen universellen Intellektuellen durch die Hinwendung zu dem, was er in seiner Einleitung zum Plädoyer für den Intellektuellen als „compagnon radicalisé des forces populaires“41 und in einem Interview von 1970 als universelles Konkretes, als „universel concret“42, bezeichnen wird:

      Il faut d’abord qu’il [l’intellectuel, S.I.] se supprime en tant qu’intellectuel. Ce que j’appelle intellectuel donc c’est la mauvaise conscience. Il faut qu’il mette ce qu’il a pu retirer des disciplines qui lui ont appris la technique de l’universel directement au service des masses. Il faut que les intellectuels apprennent à comprendre l’universel qui est désiré par les masses, dans la réalité, dans le moment, dans l’immédiat.43

      Sartre argumentiert, dass der klassische bzw. universelle Intellektuelle sich als Theoretiker des praktischen Wissens stets in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Universellen und dem Spezifischen befand44 und dass sein Universalitätsanspruch nur noch durch seine Verbindung zur universellen Gesellschaft, nämlich den Massen, gesichert werden könne:45

      [I]l faut que ceux d’entre eux [les intellectuels, S.I.] qui ont vraiment changé se rendent compte qu’il n’y a plus d’autre possibilité d’avoir une fin universelle que de se mettre en liaison directe avec ceux qui réclament une société universelle, c’est-à-dire avec les masses. Mais ça ne veut pas dire qu’ils doivent, comme les intellectuels classiques, ‚parler‘ au prolétariat, bref faire de la théorie, soutenue par les masses dans l’action.46

      Sein Verständnis des Intellektuellen basiert folglich auf einer Kooperation des Intellektuellen mit den Massen, die jedoch dessen Rolle als Sprachrohr bestimmter Gruppierungen überschreitet. So lehnt Sartre auch die Ansprache an die Arbeiterschaft ab und befürwortet stattdessen den kommunikativen Austausch. Diesen sieht er in La cause du peuple, dem Presseorgan der maoistischen Gauche prolétarienne (GP), dessen Herausgabe er 1970 auf Anfrage Pierre Victors nach der Inhaftierung der Herausgeber Le Dantec und Le Bris wegen Verbrechen gegen die Staatssicherheit nominell übernimmt, durch die journalistische Zusammenarbeit der Intellektuellen mit der breiten Masse realisiert.47 Sartre beschreibt seine veränderte Wahrnehmung und Vorstellung der gesellschaftlichen Funktion des Intellektuellen als einen seiner Zusammenarbeit mit den Maoisten entspringenden inhärenten Prozess:

      Les premiers temps, je ne faisais pas grand-chose au journal, mais si j’avais voulu y écrire, ils m’auraient ouvert les pages. On a travaillé davantage ensemble, et petit à petit, je me suis gauchi, en ce sens que le travail avec eux m’obligeait – sans qu’ils fassent la moindre pression sur moi – à me contester comme intellectuel. L’intellectuel en partie bourgeois, que le P.C. acceptait sans le changer comme compagnon de route-potiche, ne pouvait pas travailler avec les maos sans découvrir ses contradictions et sans vouloir en sortir. Il ne fallait pas que l’intellectuel se prît pour un conducteur du peuple, mais qu’il regagne au plus vite, la place qui l’attendait dans le peuple.48

      Dennoch betrachtet er sein fortgeschrittenes Alter als Hindernis für die Vollendung des Transformationsprozesses des Intellektuellenmodells, wonach der Intellektuelle in der Masse aufgehen soll. Denn als „victime de la division du travail“, so die marxistische Auslegung der Maoisten, müsse der Intellektuelle zusätzlich eine handwerkliche Arbeit verrichten.49 Für Sartre koexistieren daher beide Modelle, das des klassischen Intellektuellen und das jenes neuen, „polyvalenten“ Intellektuellen in ihm:

      Ma contradiction profonde en tant que j’écris L’Idiot de la famille, c’est que celui qui écrit est un intellectuel classique qui se casse les os de la tête pour vous suivre et qui, déjà, sur certains plans, quand il va chez Renault caché dans un camion, ou qu’il fait irruption dans l’immeuble des Câbles de Lyon, se rapproche un peu de l’intellectuel polyvalent que vous imaginez […]. Les deux types d’intellectuel coexistent chez moi, et, d’une certaine façon, ils se contredisent et, en même temps s’appuient l’un sur l’autre.50

      Während Sartre in Reaktion auf die zeitpolitischen Ereignisse seine Funktion in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu redefinieren versucht, hält Genet trotz seiner Distanzierung vom literarischen Feld an seiner Denomination als Poet fest. Dabei postuliert er jedoch niemals die Aktionsform eines Engagements, das durch die literarische Gattung der Poesie vermittelt würde. Genets Verständnis von Poesie umfasst vielmehr eine über die Gattungsspezifizität hinausgreifende Form der öffentlichen Kommunikation und Positionierung, die an die tradierte Vorstellung der gesellschaftlichen Ungebundenheit anknüpft und sich dadurch von Sartres Konzept der littérature engagée distanziert. Wie sich auch in Genets Misstrauen gegenüber einer medialen Vereinnahmung seines Namens und damit seines im literarischen Bereich erworbenen gesellschaftlichen Prestiges widerspiegelt, macht Genet durch das Festhalten an seiner Rolle als Poet jenen von Winock als „transfert de notoriété“51 bezeichneten Überschreitungsprozess vom literarischen zum intellektuellen Feld unkenntlich. Trotz dieser offenkundigen Distanzierung vom intellektuellen Feld weist Genets Interventionsform in der Praxis Analogien zu Sartres Verständnis des Engagements auf, die im Anschluss analysiert werden sollen.

      2.2.1.1 Genet und die Funktion des intellektuellen Mediators

      Genets Relation zum intellektuellen Engagement kommt besonders ausgeprägt in einem scheinbar unverfänglichen Artikel von 1974 über zeitgenössische maghrebinische Autoren zum Ausdruck.1 Darin legitimiert er seine eigene Intervention durch die mangelnde Präsenz der Intellektuellen und grenzt sich virulent von Sartre ab, den er in insgesamt vier Textpassagen offensiv kritisiert:

      Il faut donc que je parle, et je reparlerai de ces voix plus lucides que plaintives puisque nos intellectuels, ceux qu’on appelle encore bêtement nos maîtres à penser, se dérobent, ceux qu’on supposait les meilleurs se taisent, l’un des plus généreux, Jean-Paul Sartre, semble avoir fait faillite, se complaire dans sa faillite. Il n’ose pas prononcer un mot, un nom qui pourrait aider ces voix de Tahar Ben Jelloun et d’Ahmed. Il avait pourtant si admirablement commenté le livre de Fanon. Il semble refuser de dire les paroles non d’apaisement mais celles qui apporteraient une aide réelle. Il refuse de parler d’eux, comme s’il avait peur, ma parole, d’en avoir les mains sales! Mais Sartre n’est déjà plus le maître à penser de personne sauf d’une très pittoresque bande déjà débandée.2

      Genets hier geäußerter Vorwurf, dass Sartre seiner Funktion als Intellektueller nicht nachkomme und sich in Hinblick auf die Probleme der Immigranten in Stillschweigen hülle, mündet in einer Entthronung des Intellektuellen schlechthin. Mit der impliziten Anspielung auf den Begriff der mauvaise foi und Sartres Theaterstück Les mains sales,