Thomas Potthast / Cordula Brand
Eine Festschrift für Regina Ammicht Quinn
Herausgegeben von Thomas Potthast, Cordula Brand, Jessica Heesen, Birgit Kröber und Uta Müller
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0017-1
Vorwort
Ethik in den Kulturen – Kulturen in der Ethik: Für Regina Ammicht Quinn
Thomas Potthast und Vera Hemleben
Eine Festschrift drückt die Kultur akademischen Wertschätzens aus – zugleich scheint das Format inzwischen geradezu aus der Zeit gefallen. Doch nicht alles antiquiert Anmutende gehört notwendig zum zurecht an den Universitäten ausgetriebenen Muff von tausend Jahren. Mag die Ära des „Lehrstuhlinhabers“ (singulare masculinum tantum) inzwischen sogar laut Hochschulgesetz in Baden-Württemberg offiziell als beendet erklärt worden sein – eine ausgewiesene Forscherin und Universitätslehrerin mit einer Festschrift zu ehren, ist uns gerne Anlass genug. Und dass eine Festschrift als sogenannter Sammelband in den emsigen und machtförmigen Zählwerken von peer reviewed zumeist als nicht existent gilt, selbst wenn peers dabei gutachten, ist uns eher Ansporn als Hemmnis.
Regina Ammicht Quinn wurde am 10. Februar 1957 in Stuttgart geboren und ging dort zur Schule. In Tübingen studierte sie Katholische Theologie und Germanistik, absolvierte später Referendariat und Schuldienst, wohnte und arbeitete einige Zeit in Köln. Ihre Dissertation schrieb sie zur Ethik der Theodizeefrage, einem der fundamentalsten Themen nicht nur der Theologie; in säkularer Form sucht die politische Ethik nach Möglichkeiten und Ausdruck einer Ethik in der Politik in der Moderne, die von Zivilisationsbrüchen heimgesucht ist. Gerade solche notorisch schwierigen Themen haben Regina Ammicht Quinn stets um- und angetrieben. Dies gilt ebenso für die Habilitation zur Ethik der Geschlechter mit Blick auf Körper, Religion und Sexualität.1 Diese Schrift macht, neben vielen anderen wichtigen Aspekten, einen Vorschlag zum Thema Körper, der quer zur etablierten Sichtweise der Anthropologie(n) steht, und die den aktuellen Diskurs um Körperlichkeit und Verkörperung ausgesprochen herausfordert. Zumeist gilt: Menschen sind ein Leib und haben einen Körper, wie Helmuth Plessner es prägnant ausdrückte. Diese letztlich dualistische Trennung von Körper und Leib mit ihren metaphysischen, moralphilosophischen und geschlechterpolitischen Implikationen ist allerdings nicht ohne Kritik geblieben: Es sei auch möglich, ja nötig, so Regina Ammicht Quinn, die mit dem Leib assoziierten Aspekte innerhalb des Körperbegriffs zu verhandeln und nicht begrifflich abzuspalten.
Die Ethik einer sehr speziellen Wissenschaftskultur der Theologie im Zeichen des Staatskirchenvertrags musste Regina Ammicht Quinn dann anlässlich mehrerer Berufungsverfahren auf einen Lehrstuhl für Katholische Theologie/Sozialethik erleben. Berufungen scheiterten, allerdings keinesfalls an der fachlichen Qualität, was zwei erste Listenplätze beweisen, sondern an der Verweigerung der Zustimmung (nihil obstat) der Römischen Kurie in der Vertretung durch den jeweils zuständigen Bischof.
Nicht allein, doch auch aufgrund dieser unerfreulichen Entwicklungen verdanken wir geradezu als List der (Mikro)Geschichte, dass Regina Ammicht Quinn mit einem Umweg über das Baden-Württembergische Kultusministerium bzw. das Oberschulamt im Jahr 1999 ans Tübinger Ethikzentrum gelangte. Zunächst forschte sie im Bereich der Ethik (in) der schulischen Bildung, förderte den Ausbau der Verbindungen zwischen Schule und Hochschule ebenso wie die ethische Weiterbildung von Lehrer_innen. 2006 begann sie, den Arbeitsbereich Ethik und Kultur aufzubauen, der insbesondere mit dem Forschungsschwerpunkt Sicherheitsethik zu einer der tragenden Säulen des Ethikzentrums geworden ist. Die Verbindung von technikethischen mit kulturphilosophischen Aspekten hat sich als ausgesprochen produktiv erwiesen, um die Ethik in den Wissenschaften für den politisch und lebenspraktisch immer bedeutsamer werdenden Bereich „Sicherheit“ weiterzuentwickeln. Die Analyse von Diversität und kultureller ebenso wie körperbezogener Alterität – zuweilen geradezu Alientität – hat hier Maßstäbe der Reflexion auf und Entwicklung von Technik in der Gesellschaft gesetzt. Kultur- und Sozialwissenschaften im festen Kreis von Disziplinen und entsprechenden Kolleg_innen für die Tübinger Ethik in den Wissenschaften verankert zu haben, verdanken wir Regina Ammicht Quinns Impulsen und Projekten.
Von Februar 2010 bis Mai 2011 übernahm sie zudem – im wahrsten Wortsinne ehrenamtlich – das Amt der „Staatsrätin für interkulturellen und interreligiösen Dialog sowie gesellschaftliche Werteentwicklung“ als parteiloses Mitglied der Landesregierung von Baden-Württemberg. In diesem politisch anspruchsvollen und durchaus heiklen Bereich hat sie neue Akzente mit Bezug auf die Ethik der Kulturen gesetzt und zugleich eine kritische ebenso wie wertschätzende Kultur der Ethik im politischen Raum vertreten.
Das Thema kultureller Vielfalt hat an der Universität Tübingen mit tatkräftiger Unterstützung von Regina Ammicht Quinn eine institutionelle Verankerung erfahren. 2013 wurde das „Zentrum für Gender- und Diversitätsforschung“ gegründet, das sie seither in einer programmatisch zu verstehenden kollegialen ‚Doppelspitze‘ zusammen mit Ingrid Hotz-Davies leitet.
Parallel zu diesen Aufgaben erfolgte die Arbeit im Leitungsgremium des Ethikzentrums. Seit 2010 im Vorstand, wurde sie Ende 2014 Sprecherin des IZEW, wiederum gemeinsam, hier mit Thomas Potthast. Die Freude und die Herausforderungen, mit und in einem Team von über 50 klugen, engagierten und positiv eigen-sinnigen Menschen zu arbeiten, gelingt ihr in vorbildlicher Weise.
Als Theologin und Kulturwissenschaftlerin wirkte Regina Ammicht Quinn viele Jahre als Mitglied des Direktionsgremiums der Internationalen Theologischen Zeitschrift „Concilium“. Ihre ethische Expertise bringt sie neben ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit auch im forschungspolitischen Raum ein, so als Mitglied des Bildungsrates des Landes Baden-Württemberg (Legislaturperiode 2001–2006) und derzeit als Mitglied des Wissenschaftlichen Programmausschusses Sicherheitsforschung (Bundesforschungsministerium BMBF; Beratung der Bundesregierung in Fragen der Sicherheitsforschung) sowie in zivilgesellschaftlichen Bereichen wie dem Wissenschaftlichen Beirat des Vereins Intersexuelle Menschen e.V.. Das Tübinger Programm einer Ethik in den Wissenschaften, so lässt sich zusammenfassen, verdankt Regina Ammicht Quinn eine konsequente Öffnung in neue Themengebiete und transdisziplinäre Erweiterung im Wechselspiel von akademischer Forschung, Politik und Zivilgesellschaft.
Die vorliegende Festschrift umfasst einen bunten Strauß des Dankes an Regina Ammicht Quinn, der Beiträge aus dem reichhaltigen Spektrum ihrer Arbeitsfelder versammelt.2 Es liegt in der Natur – oder wohl eher: Kultur – der Dinge, dass Schubladen-Kategorisierungen oftmals nicht recht passen wollen. Bevor wir aber die Beiträge schlicht alphabetisch oder nach Geburtsdatum oder anderem Kontingenten aufreihen, haben wir nach Perspektiven geordnet, die alle eine bedeutsame Rolle in Regina Ammicht Quinns akademischem Wirken spielen. In der ersten Sektion werden „Grundfragen“ der Ethik und der Ethik in den Wissenschaften adressiert. Der Übergang zur nächsten Sektion „Politik“ ist selbstverständlich fließend, denn wo gäbe es Themen der Politik, die nicht auch Fragen der Ethik beträfen. Ähnlich sieht die Verbindung zur Sektion „Religion“ aus, die nicht abgegrenzt steht, sondern mitten zwischen der Politik und den Folgesektionen „Gender“ sowie „Körper“. „Technik“, „Digitales“ und „Sicherheit“ hängen nicht nur miteinander, sondern auch mit den davorstehenden Sektionen zusammen, und schließlich ist die „Literatur“ als Perspektive ein Zugang zu den großen Themen der Ethik, Politik, ja der Kulturen insgesamt. Die Beiträge sind mehr oder weniger sichtbar subjektiv ausgeführt, doch stets mit dem Anspruch intersubjektiver Verständigung über wichtige Themen. Stil, Umfang, Zugangsweise