Insgesamt wird gegenwärtig durch die zunehmende Beschäftigung mit Fragen der Sprachförderung und sprachlichen Bildung, auch im Zusammenhang mit Bemühungen um ein inklusiveres Schulsystem, der gesamtgesellschaftlichen Heterogenität stärker Rechnung getragen. Die Bedeutung sprachlicher Entwicklungen im Schulverlauf rückt verstärkt in den Fokus. Vor diesem Hintergrund werden Studierenden und Lehrkräften im Rahmen von Studium, Aus- und Weiterbildung Wissensbestände und Handwerkszeug für den Unterricht in sprachlich heterogenen Klassen mit auf den Weg gegeben. Die Wissensbestände werden um Reflexionsangebote erweitert, mit deren Hilfe sich einer systematischen Benachteiligung sowie der Produktion von Ungleichheiten aufgrund individueller sprachlicher Ressourcen von Schüler*innen im alltäglichen unterrichtlichen Handeln entgegenwirken lässt. In diesem gesellschaftlichen Kontext ist das vorliegende Studienbuch verortet.
Gegenstand und Aufbau
Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die Lehrkräfte für den Unterricht in sprachlich heterogenen, mehrsprachigen Gruppen benötigen, werden im Idealfall bereits im Studium angelegt und in den weiteren Phasen der Lehrkräftebildung ausgebaut und kontinuierlich reflektiert. Anhand dieses Studienbuches können sich Studierende und Lehrkräfte der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer die folgenden Gegenstände erarbeiten:
die Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten für schulisches Lernen;
sprachliche Heterogenität als gesellschaftlicher und schulischer Normalfall;
Konzepte und Methoden der Sprachförderung und Sprachbildung aus dem akademischen Fach DaZ;
ausgewählte Aspekte des Zweitspracherwerbs des Deutschen;
die Rolle unterschiedlicher Sprachen und deren Verwendungsweisen in der Schule;
ausgewählte sprachliche Anforderungen der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer;
die bildungs- und fachsprachlichen Herausforderungen von Lehr- und Lernmaterialien;
ein sprachdidaktisches Standardrepertoire, insbesondere Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit an Wortschatz, an Lese- und Schreibkompetenzen im Fachunterricht sowie zur sprachförderlichen Unterrichtskommunikation;
die Bedeutung von Mehrsprachigkeit im schulischen (Fach-)Unterricht;
Möglichkeiten der Adaption und Erweiterung sprachdidaktischer Methoden für verschiedene Fächer unter Berücksichtigung der jeweiligen spezifischen sprachlich-fachlichen Anforderungen.
Das Studienbuch ist in zwei Hauptteile gegliedert: Teil I (Grundlagen) umfasst die beiden umfangreichen Kapitel 1 und 2, die eine fächerübergreifende Perspektive auf Sprachförderung und Sprachbildung in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern einnehmen. Die theoretischen Grundlagen werden um Anwendungsbeispiele und fachspezifische Erläuterungen aus der hier fokussierten Fächergruppe ergänzt. In den Kapiteln von Teil II des Studienbuches (Fachdidaktische Perspektiven) werden nach einer Einführung (Kapitel 3) fachspezifische Anwendungen und Umsetzungen von Sprachförderung und Sprachbildung in den Sekundarstufen dargestellt. Von Vertreter*innen der jeweiligen Fachdidaktiken werden Ansätze aus Philosophie/Ethik (Kapitel 4 und 5), Geschichte (Kapitel 6 und 7), Politik/Gesellschaftslehre (Kapitel 8 und 9), Geographie (Kapitel 10 und 11), Islamische Religionslehre (Kapitel 12), Evangelische Religionslehre (Kapitel 13) und Wirtschaft (Kapitel 14 und 15) vorgestellt. Unterrichtspraktische Überlegungen werden theoretisch verortet und auf ihre Übertragbarkeit auf andere Fächer und Schulstufen hin beleuchtet.
Jedem Kapitel des Studienbuches ist eine kurze inhaltliche Übersicht vorangestellt. Definitionen, zentrale Inhalte, ausgewählte Studienergebnisse und Beispiele werden graphisch hervorgehoben. Kapitel 1 und Kapitel 2 werden zudem abschließend kurz zusammengefasst. Die fachdidaktischen Kapitel 4 bis 15 schließen jeweils mit Reflexionsfragen und weiterführenden Literaturhinweisen ab. Das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes enthält die gesamte zitierte und referierte Literatur des Studienbuches und stellt damit eine umfangreiche Sammlung für vertiefende sprach- und fachdidaktische, linguistische, migrationspädagogische und erziehungswissenschaftliche Lektüren zum Themenfeld Sprachförderung und Sprachbildung in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern der Sekundarstufen dar.
Das Studienbuch führt somit in die Breite und Komplexität des interdisziplinär verhandelten Gegenstandes ein und stellt exemplarisch auch divergierende theoretische Zugänge vor. Lehramtsstudierende und praktizierende Lehrkräfte erhalten für ihre Unterrichtsfächer vielfältige Anregungen für einen reflektierten sprachförderlichen und sprachlich-bildenden Fachunterricht. Darüber hinaus liefert das Studienbuch Grundlagen für die Gestaltung universitärer Lehrveranstaltungen sowie von Fort- und Weiterbildungen.
Teil I Grundlagen
1 Sprachliche Heterogenität in der Schule
Kristina Peuschel, Anne Burkard
Im ersten Kapitel des Studienbuches wird ausgehend von der Perspektive von Studierenden der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer der gesellschaftliche Rahmen aufgespannt, in dem Sprachbildung und Sprachförderung im schulischen Unterricht stattfinden (1.1). Eine grundsätzliche Annäherung an die Bedeutung von sprachlichen Kompetenzen für schulische Bildung (1.2) mündet in die Diskussion sprachlicher Heterogenität, die als gesellschaftlicher und schulischer Normalfall identifiziert wird (1.3). Vor dem Hintergrund einer Skizze der Geschichte des akademischen Faches Deutsch als Zweitsprache erfolgt die Vorstellung allgemeiner Konzepte und Methoden der Sprachförderung und Sprachbildung (1.4). Die Darstellung wissenswerter Aspekte des Zweitspracherwerbs des Deutschen (1.5) und von Beschreibungsansätzen für Sprache(n) in der Schule (1.6) ergänzen diese Ausführungen. Das Kapitel liefert damit Grundlagen für das Verständnis sprachlicher Heterogenität in der Schule.
1.1 Reflexionen von Lehramtsstudierenden zu Sprachförderung und Sprachbildung im Fachunterricht
Die fachspezifischen Erkenntnisse aus den akademischen Fächern Deutsch als Zweitsprache, Deutsch als Fremdsprache und Mehrsprachigkeitsforschung werden erst seit kurzem systematisch in die Lehramtsausbildung integriert, sodass alle Lehramtsstudierenden zukünftig potentiell in der Lage sind, mit der Mehrsprachigkeit vieler Schüler*innen und der Aufgabe der expliziten und impliziten schulischen Vermittlung der für die Schule notwendigen Sprachkenntnisse umzugehen. Dabei ist es stets herausfordernd, neben den eigenen fachlichen und fachwissenschaftlichen Zugängen geeignete Sprachförder- und Sprachbildungsansätze kennenzulernen, zu verstehen und auf den eigenen Unterricht in Geschichte, Philosophie, Geographie und anderen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern anzuwenden.
Im Zuge der in der Einleitung des Bandes skizzierten Entwicklungen in der Lehrkräftebildung zur DaZ-Förderung und der sprachlich-fachlichen Bildung werden verstärkt empirische Untersuchungen zur Professionalisierung von Lehramtsstudierenden in diesem Feld durchgeführt (Koch-Priewe/Krüger-Potratz 2016). Beispielsweise liefern qualitative Untersuchungen mit kleinen Gruppen von Studierenden Einblick in zum Teil stärker fachbezogene Reflexionen. So haben Peuschel/Sieberkrob (2017) Studierende der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer mittels eines Gruppeninterviews zum gemeinsamen Reflektieren über spezifische Studieninhalte zu Sprachförderung und Sprachbildung angeregt. In dieser Studie steht im Mittelpunkt, was Lehramtsstudierende in Bezug auf ihr zukünftiges Handeln in sprachlich heterogenen Klassen denken. Zunächst wägen die Studierenden ab, in welchem Verhältnis Sprachorientierung und Fachorientierung stehen sollen und wie aus der Perspektive des jeweiligen Faches heraus auch bei Sprachförderung und Sprachbildung die Bedeutung des fachlichen Lernens im Vordergrund steht. „Ziel sprachlicher Bildung ist es, das fachliche Lernen zu unterstützen […]“ (ebd., 93). Dazu gehört nach Meinung der Studierenden, Maßnahmen von Sprachförderung