Friedrich Glauser. Wolfgang Hartmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Hartmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783857919398
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der Strafanstalt Witzwil. Dann ging er in eine Baumschule nach Liestal, erwarb das Gärtnerdiplom, fiel in die Sucht zurück, stahl Opium und begab sich zur Entwöhnung nach Münsingen. Er blieb vier Jahre interniert. In dieser Zeit erlangte sein Name literarische Geltung. Man schrieb 1936. Dem Vierzigjährigen standen viele Fältchen im Gesicht; er sah nicht mehr jünger aus, als er war. Man glaubte ihm den Fremdenlegionär, dessen Haut die afrikanische Sonne gegerbt hatte. Gerne unterzeichnete er etwa Briefe an den Freund mit «ton caporal». Selbstironie und Kameradschaft, die er in diese Floskel fasste, strahlten auch aus seinen großen, klugen, wissenden Augen. In Nervi, mitten in einer neuen Genesung, mitten in der Arbeit, voller Pläne, voller Hoffnung auf endliche Stetigkeit, auf Heimkehr, auf Sesshaftigkeit in der Schweiz, starb Friedrich Glauser am 8. De zember 1938.

      Die Tragik dieses Lebens ist sublim, weil sie den Sieg in der Niederlage enthält. Glauser hatte die Welt, die ihn äußerlich bezwang, innerlich überwunden, indem er sie gestaltete. Er gestaltete Erlittenes ohne Wehleidigkeit und war ein Meister der autobiographischen Erzählung. Indem er gestaltete, erhob er sich über die eigene Wirrnis zur Klarheit, zu überlegener Heiterkeit, und alles, was ihn liebenswert machte, schien in seine Schöpfung einzuströmen, die geistige Sauberkeit, der realistische Sinn, das unverdorbene Gefühl, der persönliche Charme, sogar die biegsame, klangvolle, schwebende Stimme. Sein Erstling, Gourrama, ist eine Leistung von erstaunlicher Reife und ungewöhnlicher Strahlungskraft, der beste Legionsroman, den ich kenne. Glauser hat die Buchausgabe nicht mehr erlebt. Es traf ihn tief, dass das Werk keinen Verleger fand und lange nicht einmal als Vorabdruck in einer Zeitung oder Zeitschrift erscheinen konnte.

      Mit dem ihm eigenen bon sens zog er rasch und radikal die Konsequenz. Als Schriftsteller, der aus dem Ertrag seiner Feder leben sollte, musste er zuallererst seine Produktion absetzen, er musste also etwas produzieren, das auf Absatz, auf einen gewissen Erfolg rechnen konnte. Durch einfache Überlegung, nicht durch höhere Eingebung, auch nicht aus sozialpädagogischem Eifer, sondern aus barer Not kam Glauser zum Kriminalroman. Dabei brauchte er allerdings nichts Wesentliches preiszugeben. Unter Berufung auf die schöne Vorrede Joseph Conrads zum Nigger vom Narcissus äußerte er sich in einem Briefe über das künstlerisch Wesentliche: «Geruch, Gestalt, Farbe, Luft und darin die Menschen, nicht von einer Seite, sondern ganz kurz von verschiedenen Seiten gesehen, und das Ganze auf eine andere Ebene transponiert.» Das also musste auch für den Kriminalroman gelten. Glauser hatte ja das Beispiel vor sich, einen, der das erreichte, einen Schriftsteller, dessen Kriminalromane sich durch atmosphärische Dichte, durch psychologische Eindringlichkeit, durch plastische Menschendarstellung auszeichnen: Georges Simenon. Ihn verehrte er als seinen Meister. «Was ich kann, habe ich von ihm gelernt», sagt er.

      Obwohl er sich oft zu Simenon als seinem Vorbild bekannte und damit der literarischen Kritik gewisse Vergleiche nahelegte, so ist bisher nicht untersucht worden, was alles Glauser «von ihm gelernt» und welche Bewandtnis im Besondern es mit dem Wachtmeister Studer und dem Kommissär Maigret hat. Doch steht das hier nicht zur Diskussion. Hingegen ist zu sagen, dass Glausers Erfolg zu klein war, um ihm die Muße zur Ausführung seiner früheren Pläne, u. a. eines großen Ascona-Romans, zu sichern. Der Wachtmeister Studer wurde zwar beachtet, er wurde sogar verfilmt, aber wie viele, nein: wie wenige haben gemerkt, dass in diesem Kriminalroman sich einer der besten schweizerischen Dorfromane verbirgt? Glauser blieb eben als Kriminalschriftsteller, was er vorher gewesen war, und was mit seinem Erstling Gourrama öffentlich sichtbar zu machen widrige Umstände verhindert hatten: ein meisterlicher Erzähler, ein ursprünglicher Menschengestalter, ein echter Dichter.

      Josef Halperin (1891–1963) war in den drei letzten Lebensjahren ein verlässlicher Freund und Förderer Glausers. Er war nach dem Studium der neueren Philologie und Geschichte Anfang des Ersten Weltkriegs in die Auslandredaktion der Neuen Zürcher Zeitung eingetreten und wirkte für diese von 1920 bis 1932 als Korrespondent in Berlin und London. Nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst der NZZ wurde er freier Journalist und war u.a. auch als Sekretär des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) tätig.

      Halperin lernte Glauser vermutlich am 6. November 1935 an einer Le sung im «Rabenhaus» des Zürcher Schriftstellers Rudolf Jakob Humm kennen. Diesem schrieb Glauser in einem Brief am 24. September 1937: «Halperin hat den Karren endlich aus dem Dreck gezogen, er ist zu Pontius und Pilatus gelaufen, um den Wachtmeister zuerst, um schließlich den Matto anzubringen.» Halperin begann als Redaktor der Zürcher Wochenzeitung ABC im August 1937 mit dem Abdruck von Glausers Fremdenlegionroman Gourrama, der zuvor von anderen Zeitungen abgelehnt worden war. Die Fortsetzungsgeschichte war bis zum 13. Kapitel gediehen, als die Zeitung ihr Erscheinen einstellte.

      Wolfgang Hartmann

      «Durch und durch war dieser junge Mensch von Kultur getränkt.»

      Ich begegnete Friedrich Glauser zum ersten Mal im Jahre 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg, in Zürich. Wir beide kamen aus dem Ausland und suchten Schutz und Geborgenheit in der Heimat, nachdem es im Reiche Wilhelms II. ernährungsmäßig und in jeder Hinsicht kritisch zu werden begann.

      Damals gab es im Café «Odeon» in Zürich eine Art europäische Literaturbörse. Dichter, Publizisten und Romanciers der kriegführenden Länder, unter ihnen Franz Werfel, Stefan Zweig, Klabund, Frank Wedekind, Leonhard Frank, Romain Rolland, Maxim Gorki, Barbusse und viele andere, waren zu uns gekommen, um in der freien und unkriegerischen Atmosphäre der Schweiz ihr Werk unbehindert von Chauvinismus und beginnender Not fortsetzen zu können. (So großzügig waren damals die jeweiligen Regierungen noch, dass sie diejenigen unter ihren schöpferischen Elementen, die mit dem Kriegsgeschehen nichts zu tun haben wollten oder aus Krankheitsgründen Erholung brauchten, über die Grenzen gehen ließen!)

      In diesem Kreise im «Odeon» verkehrte auch Friedrich Glauser, dessen Vater damals noch, wenn ich mich nicht irre, amtierender Schweizer Konsul in Mannheim war. Der junge Schriftsteller, der sozusagen noch nichts Nennenswertes außer einigen Gedichten publiziert hatte, wirkte auf uns alle, die wir mit ihm zusammenkamen, irgendwie faszinierend. Er war zwar gebürtiger Berner, aber er hätte ebenso gut Franzose oder Welschschweizer sein können. Nichts spezifisch Alemannisches war an ihm. Schon seine Fähigkeit, zu plaudern und in einem leicht sarkastischen Tonfall über Dichter und deren Werke zu urteilen, treffsicher und tiefschürfend analysierend, muteten gallisch an. Glauser verfügte über einen romanischen Esprit, der ihm angeboren zu sein schien; und mühelos überschüttete er den jeweiligen Partner mit einer Fülle geistreicher Aperçus, mit denen er nicht selten seinen Diskussionsgegner, der nur sachlich zu argumentieren gewohnt war, in Verlegenheit brachte. Es war ein wirklicher Genuss, mit diesem jungen Literaten sich über die damalige europäische Dichtung auseinanderzusetzen. Glauser war ein begeisterter Anhänger der Modernen, die man heute als «Surrealisten» bezeichnet. Er schätzte einen Heinrich Mann höher ein als seinen berühmteren Bruder Thomas, über dessen Bürgerlichkeit er spöttelte. Leonhard Frank, Klabund, Franz Kafka unter den Jungen waren seine «Götter». Dabei war er selber durchaus Autodidakt geblieben und lachte über jene, die sich lernhungrig auf den Hochschulen abmühten, ein ordentliches Deutsch und eine gute Allgemeinbildung sich anzueignen. Er hatte dies alles in sich, er bezog sein Wissen und Können aus der Lektüre der Bücher, sein klares Urteil und seine ungewöhnliche Formulierungsgabe würden manchen Dozenten beschämt haben. Durch und durch war dieser junge Mensch von Kultur getränkt, und niemand aus seiner Umgebung zweifelte an seiner Berufung, als künftiger Autor einen großen Weg vor sich zu haben.

      Friedrich Glauser aber war zu kompliziert und seinem innersten Wesen nach ein zu zwiespältiger Charakter, um das halten zu können, was er damals versprach. Statt zu arbeiten und sein Wissen auf solider Basis zu erweitern, verlor er sich immer mehr in einem tüftelnden und bizarren Ästhetizismus. Damit aber nicht genug, warf er sich dem Laster in die Arme und begann zu «schnupfen und zu spritzen». Soviel ich weiß, hat der damals noch unbekannte Filmschauspieler Konrad Veit, der mit Max Reinhardts Truppe nach Zürich gekommen war, den genusssüchtigen Glauser auf dem Gewissen. (Ich erinnere mich an eine Szene, wo Veit, von dem gleichfalls eine faszinierende Wirkung ausging, seinen neuen Freund in einen Ätherrausch versetzt hatte und nun den verzweifelten Versuch unternahm, ihn wieder wachzubekommen.)

      Glauser war eine Art schweizerischer Rimbaud, sowohl in die reine Poesie als in das Leben und Abenteuer