Die Schneckeninsel. Urs Schaub. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Schaub
Издательство: Bookwire
Серия: Simon Tanner ermittelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038550679
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ist es natürlich touristisch aufgemotzt worden, aber es hat immer noch einen ungeheuren Charme, finde ich.

      Und was hat das mit uns zu tun?

      Michel zeigte hinunter.

      Dieses wunderbare weiße Haus dort auf der Landzunge. Wie ein Schloss würde ich sagen. Würde dir das gefallen?

      Tanner schaute zu Michel.

      Äh … bist du jetzt unter die Immobilienmakler gegangen? Ja, das würde mir gefallen. Wenn es nicht zu teuer ist, kaufe ich es sofort. Ich hoffe, die kleine Insel dort ist im Preis inbe­griffen.

      Michel schmunzelte.

      Okay, du kannst für eine Weile dort wohnen. Du musst nicht mal was zahlen.

      Wohnen? Spinnst du? Und was soll ich dort?

      Steig ein. Ich erklär es dir beim Essen. Ich lade dich ein. Wir fahren zurück in den Hauptort. Ich möchte nicht, dass man uns da unten gemeinsam sieht. Verstehst du?

      Tanner nickte übertrieben bedeutungsvoll.

      Ja, ja, mach dich nur lustig.

      Sie fuhren schweigend bis zu einem Hotel im Chaletstil.

      Hier gehen wir essen. Der Koch ist aus Wien, es gibt ein echtes Wienerschnitzel.

      Als sie im leeren Speisesaal saßen und bestellt hatten, begann Michel sich endlich zu erklären. Er fing allerdings mit einer Frage an.

      Hattest du schon einmal mit Pensionaten zu tun?

      Tanner hob überrascht den Blick.

      Nein. Sollte ich? Also, das Maison Blanche war ja mal eins. Gerade heute, als ich auf dich warten musste, habe ich wieder einmal daran gedacht. Gibt es das heute noch? Das war doch zu Großmutters Zeiten.

      Michel ließ sich nicht beirren.

      Ja, stell dir vor. Die nennt man heute natürlich anders. Es gibt in unserem Land an die hundert solcher Institutionen. Meist gemischt, mit total internationaler Klientel und schweineteuer, sag ich dir. Es gibt in unserem Land einige der besten und teuersten Internate dieser Welt. Einige in dünner Bergluft, andere an den schönsten Seen, in Schlössern mit mehreren Hektaren an parkähnlichen Umschwüngen. Für die teuers­ten blätterst du 70 000 Franken pro Jahr hin, vielleicht noch einen Einzelzimmerzuschlag von 50 000 Franken und so wei­ter. Die Angebotskataloge sind uferlos. In dem teuersten wer­den inklusive aller Extras rund 140 000 Franken fällig. Pro Jahr.

      Hier im Weißen Schloss, das du gesehen hast, ist ein Institut, ein Internat, nur für Mädchen. Das ist selten geworden, aber es gibt immer noch Eltern, die nicht wollen, dass ihr Töchterchen zusammen mit Jungs in die Schule geht. Schon gar nicht, wenn es eventuell Hunderte oder gar Tausende Ki­lometer weit weg von zu Hause ist. Gegründet wurde es von einer Dame, die nicht mehr lebt und selber auf einer der berühmtesten reinen Mädchenschulen erzogen wurde, in der Miss Porters School in Old England. Die Mädchen tragen hier dunkelblaue Röcke und weiße Blusen, am Sonntag karierte Röcke, schwarze Blusen, dunkle Strümpfe und Schuhe mit Absatz.

      Ich bin beeindruckt. Und da soll ich wohnen! Ist das eine Art Prüfung? Willst du mich in Versuchung führen?

      Michel schwieg, denn das Bier wurde serviert.

      Du bist ja wohl alt genug und wirst dich zusammennehmen können.

      Er räusperte sich vielsagend.

      So. Ich komme jetzt zur Sache.

      Tanner verdrehte die Augen zum Himmel.

      In den letzten neun Jahren haben hier drei Frauen Selbstmord begangen. Die Erste war als Lehrerin tätig, die Zweite als Erzieherin und die Letzte, die Assistentin der Internatsleitung, eine Mathilde de Mol, hat sich vor etwa fünf Wochen umgebracht. Sie stammte aus Holland. Die anderen zwei waren aus Frankreich und Belgien. Alle drei sind ins Wasser gegangen, wie es so schön heißt.

      Tanner verzog sein Gesicht.

      Soll ich jetzt dort die neue Assistentin werden?

      Michel wischte sich mit der Serviette den Schweiß von der Stirn.

      Nein, die suchen für einen Monat einen Chefkoch. Und du kannst doch kochen. Der Chef geht in die Ferien und der, der ihn normalerweise vertritt, muss zum Militär. Da war noch ein anderer, der ab und zu aushalf, aber der ist vor zwei Wochen an Krebs gestorben.

      Ich sehe, du bist also kein Immobilienmakler, sondern ein Personalvermittler.

      Michel knallte seine Serviette auf den Tisch.

      Jetzt hör schon auf. Es ist mir sehr ernst damit. In dem Haus ist etwas faul. Drei Selbstmorde in neun Jahren. Der zuständige Kommissar in dem Bezirk hat mich darauf angesprochen. Er ist ein alter Freund von mir. Die ganze Sache stinkt zum Himmel. Die Gerichtsmedizin hat alles genauestens un­tersucht. Alle drei Fälle wurden eindeutig als Selbstmord dekla­riert. Es gibt objektiv gesehen keinen Zweifel, aber –

      Tanner beugte sich zu Michel.

      Aber? Du glaubst es nicht. Du hast so ein Gefühl. Stimmts?

      Michel brauste auf.

      Ja, und? Ich kann auch mal ein Gefühl haben, oder? Oder hast du dieses Gebiet für dich gepachtet?

      Tanner hob beschwichtigend die Hände.

      Nein, natürlich nicht. Willkommen im Klub.

      In diesem Moment wurde das Wienerschnitzel serviert. Sie pressten die Zitrone über die riesigen, aufgeklappten Fleischblätter und wünschten sich einen guten Appetit.

      Und? Habe ich zu viel versprochen?

      Tanner schüttelte den Kopf.

      Nein. Es ist nahezu perfekt.

      Michel runzelte die Stirn.

      Nahezu? Was soll das jetzt wieder heißen?

      Tanner hob beschwichtigend die Hand.

      Das Tier, von dem das Fleisch stammt, ist nicht in einem österreichischen Stall aufgewachsen.

      Michel lachte dröhnend und stopfte sich ein riesiges Stück Schnitzel in den Mund.

      Nein, nein, es schmeckt sehr gut. – Ich soll also einen Monat in dem Haus kochen und herausfinden, was dort faul ist. Sehe ich das richtig?

      Michel nickte eifrig kauend.

      Ihr könnt keine weiteren Untersuchungen vor Ort machen, weil die Fälle offiziell als Selbstmord abgehakt sind?

      Michel nickte und grunzte.

      Für so eine Stelle braucht es gute Referenzen und Zeugnisse. Wenn es sich um so ein teures und vornehmes Institut handelt, werden die doch genau wissen wollen, woher ein Koch kommt, auch wenn er nur eine sogenannte Aushilfe ist.

      Michel grinste verschmitzt und überreichte Tanner ein dickes Kuvert.

      Es ist für alles gesorgt. Keine Sorge. Wir sind schließlich keine Anfänger.

      Tanner wog das Kuvert in der Hand und legte es beiseite.

      Oh la la, da bin ich aber gespannt. Aber erst esse ich, wenn du einverstanden bist.

      Michel nickte.

      Wer leitet denn das Institut?

      Ein gewisser de Klerk. Dr. Willem de Klerk. Stammt aus Holland.

      Hieß nicht auch der Präsident von Südafrika so?

      Ach so? Lenk jetzt nicht ab.

      Wie alt?

      Michel zeigte mit der Gabel auf Tanner.

      Müsste etwa in deinem Alter sein. Nur etwas sportlicher.

      Ha, ha! Hat er Familie?

      Also, verheiratet ist er nicht. Aber seine Mutter ist im Hause. Er hat selber keine Familie.

      Weiß dein Chef davon?

      Es war sogar seine Idee. Aber offiziell