Eine Persönlichkeit zu haben ist nichts Schlechtes. Man muß eine haben. Ohne sie könnte man nicht überleben. Wenn ihr aber die Persönlichkeit als das nehmt, was ihr in Wahrheit seid, dann entstellt ihr die Realität, weil ihr nicht nur eure Persönlichkeit seid. Die Persönlichkeit ist aus Erfahrungen der Vergangenheit, aus Vorstellungen, aus Anschauungen, aus Identifikationen zusammengesetzt. Ihr habt das Potential, eine wirkliche Individualität zu entwickeln, die persönliche Essenz, die etwas anderes als die Persönlichkeit ist, die den Verlust der Essenz verdeckt. Aber dieses Potential wird gewöhnlich von dem, was wir unser Ego nennen, unserem eigenen erworbenen Gefühl von Identität, in Besitz genommen.
Wenn jemand glaubt, er selbst sei das Ego, die Identifikationen, Vorstellungen und Erfahrungen der Vergangenheit, dann sagt man von ihm, er sei „nicht in der Welt, sondern von dieser Welt“. Er ist sich nicht bewußt, wer er in Wirklichkeit ist; er ist sich seiner Essenz nicht bewußt. Das ist schwer zu verstehen, wenn wir nicht wenigstens ab und zu unserer eigenen Essenz bewußt sind.
Das Ego oder das Gefühl der Ich-Identität nimmt also die Stelle dessen ein, was wir die wirkliche Identität nennen – und die Persönlichkeit als Ganze nimmt den Platz von Essenz ein. Die Persönlichkeit ist ein Ersatz, gleichsam ein Hochstapler.
Auf jeden Fall ist die Welt einfach die Welt. Sie ist für Essenz und Persönlichkeit die gleiche. Was existiert existiert. Aber wie die Welt gesehen wird, ist verschieden. Ein Mensch, der „nicht in der Welt, sondern von der Welt“ ist, lebt auf die Persönlichkeit anstatt auf Essenz hin orientiert.
Hier sind ein paar Beispiele dafür, wie die Identifikation mit eurer Persönlichkeit die Wirklichkeit entstellt und natürlich zu Leiden führt. Ihr wollt euch in der Welt beweisen, unabhängig, autonom, stark, erfolgreich sein und einen Platz für euch selbst schaffen. Das ist ein großes Thema, eines der Hauptanliegen überhaupt. Fast jeder hat dieses Ziel. Aber das kann ein Ziel sein, das einer essentiellen Orientierung oder einer Orientierung an der Persönlichkeit entspringt. Das ist ein sehr großer Unterschied. Sich selbst in der Welt niederlassen und unabhängig sein bedeutet den persönlichen Aspekt von Essenz entwickeln und ihn zu etablieren. Das ist eine vollkommen innere Leistung. In Wirklichkeit habt ihr also vielleicht eine sehr tiefe Sehnsucht danach, zu verwirklichen, wer ihr wirklich seid, eine Sehnsucht nach eurer wahren Identität, danach, wahrhaft unabhängig und nicht von eurem Unbewußten oder vergangenen Umständen beeinflußt zu sein. Wahre Unabhängigkeit bedeutet, nicht von der Vergangenheit abhängig zu sein. Sein, wer ihr wirklich seid, bedeutet, von all den Identifikationen aus der Vergangenheit frei zu sein, die euer falsches Identitätsgefühl bilden. Sein, wer ihr wirklich seid, hängt nicht davon ab, was ihr in der Welt tut. Was auch immer ihr in der Welt tut, kann ein Ausdruck davon sein, wer ihr wirklich seid, aber es definiert euch nicht. Wenn ihr eure persönliche Essenz, euer eigenes wahres Gefühl von Identität seid, dann hat alles, was ihr tut, essentielle Orientierung. Gewöhnlich denkt ihr, daß der Beruf, den ihr wählt – was immer es ist: Gärtner, Physiker, Mutter – euch das Gefühl gibt, wer ihr wirklich seid. Aber das bedeutet, daß ihr damit identifiziert seid, ein Teil der Welt zu sein. Es bedeutet eine Entstellung der Wirklichkeit.
Wenn jemand anfängt, an sich selbst zu arbeiten, hat er gewöhnlich keine Vorstellung von dem Unterschied zwischen Entscheidungen, die von der Persönlichkeit motiviert, und Entscheidungen, die von Essenz motiviert sind. Er hat vielleicht undeutliche Begierden und Vorlieben und glaubt, daß es ihm hilft, er selbst zu sein, wenn er dieses statt jenes tut. Zu Beginn gibt es kein klares, leitendes Prinzip. Und wegen der Ich-Identifikationen fehlt ihm nicht nur ein leitendes Prinzip, er glaubt an das, was die Persönlichkeit ihn zu tun drängt, und verteidigt es auch sehr vehement. „Dies bin ich; das ist es, was ich bin; am besten wird dies gemacht.“ Und natürlich fühlt er sich jedesmal, wenn seine Pläne für die Zukunft oder seine Vorstellungen davon, wer er ist, in Frage stehen, sehr bedroht. Diese Strukturen in Frage zu stellen, bedeutet die Möglichkeit, alles was er glaubt, zu zer stören. Das Streben der Persönlichkeit nach Unabhängigkeit und Identität ist in Wirklichkeit also ein entstellter Reflex, einen bestimmten Aspekt von Essenz zu brauchen oder zu wollen, den wir den „persönlichen Aspekt“ nennen. Darauf wird in bestimmten Geschichten der Sufis, etwa denen von der Prinzessin „Kostbare Perle“ oder der „Unschätzbaren Perle“ oft angespielt. Es gibt viele Geschichten von dieser Prinzessin – der persönlichen Essenz – wie sie aus einem Gefängnis befreit wird, das natürlich das Gefängnis der Persönlichkeit ist, also dessen, was falsch in uns ist. In anderen Geschichten ist es die Suche nach einem kostbaren Edelstein, der die Suche nach persönlicher Essenz darstellt.
Wie wendet man „in der Welt, aber nicht von dieser Welt sein“ auf diese Situation an? „In der Welt, aber nicht von der Welt sein“ bedeutet, daß ihr weiter tut, was ihr tut, daß ihr weiter eure Karriere als Physiker, Gärtner, Mutter usw. verfolgt, aber euch dauernd erinnert und dessen bewußt seid, daß dies nur eine Reflexion von etwas anderem ist, daß das, was ihr am Tiefsten wünscht, tatsächlich die Verwirklichung eines Teils von euch ist. Und die Hauptanstrengung und Arbeit, die zu tun ihr euch entschieden habt, ist darauf gerichtet, diesen bestimmten Teil von euch zu verstehen und ihn zu verwirklichen. Wenn ihr so lebt, dann ist es zwar wahr, daß ihr in der Welt seid, aber eure Motivation ist eine andere; ihr seid nicht von dieser Welt. Der Sinn eures Lebens besteht nicht darin, ein Physiker oder ein Gärtner oder eine Mutter zu sein. Euer Sinn besteht darin, die kostbare Perle, eure persönliche Essenz zu finden. Wenn ihr Physiker seid, könnt ihr einen Preis nach dem anderen verliehen bekommen; wenn ihr Rechtsanwalt seid, könnt ihr Generalstaatsanwalt werden. Aber ihr werdet euch weiter unerfüllt fühlen, wenn ihr die Perle nicht findet. Ihr werdet immer noch mehr tun, mehr versuchen, mehr beweisen müssen usw. Ihr könnt euer Leben damit verbringen, nach immer besseren Ergebnissen zu streben.
Versteht bitte nicht falsch, was ich sage. Ich sage nicht, daß ihr nicht anstreben sollt, was ihr anstrebt. Ich sage nicht, daß ihr zuhause sitzen und darüber nachdenken sollt, was die kostbare Perle ist. Ich meine, daß alles was ihr tut eine Entstellung des Eigentlichen ist, bis ihr euch an Essenz orientiert, bis ihr die persönliche Essenz verwirklicht habt. Aber gerade weil eure Persönlichkeit eine Entstellung des Eigentlichen ist, kann sie auf das Eigentliche hinweisen. Dadurch, daß ihr sie versteht, könnt ihr zu sehen anfangen, was die Reflexion reflektiert.
Der Ausdruck lautet also nicht: „nicht von dieser Welt“, sondern „in der Welt, aber nicht von dieser Welt.“ „In der Welt“ bedeutet, nicht auf irgendeinem Berg meditieren, nicht in einem Kloster leben. Ihr lebt wirklich das Leben der Welt. Euer Leben ist ein Abenteuer, und was immer ihr in der Welt tut, ist kein Ziel an sich, sondern der Prozeß, ein Tiegel, um das Gold aus dem Erz zu schmelzen.
Wenn ihr einmal wißt, daß ihr die persönliche Essenz seid, spielt keine große Rolle mehr, was ihr tut. Ihr entscheidet euch für das, was euer wirkliches Selbst erweitert und fördert. Es kann nie ein Gefühl andauernder Erfüllung geben, bevor ihr diesen essentiellen Teil von euch verwirklicht habt. Nichts anderes kann seinen Platz einnehmen.
Ein anderes Beispiel: das Thema, mit einem anderen Menschen zusammen zu sein und dabei unabhängig zu bleiben. Es sieht so aus, als müßtet ihr einen Teil von euch opfern, einen Kompromiß machen. Ihr möchtet das nicht tun: ihr möchtet euch unabhängig fühlen. Ihr möchtet nah, intim, geliebt und liebevoll und doch ihr selbst sein, ohne euch aufzugeben oder einen Kompromiß zu machen.
Ihr seid noch „in