Auch in der Erzählung Das Erdbeben in Chili erfüllen sich – innerhalb der Prosafiktion – performative Akte und Beschwörungen zeitversetzt. Der zum Tode verurteilte Jeronimo (man vergleiche dazu den performativen Akt: Ich verurteile Sie hiermit zum Tode) scheitert zunächst, da sich der Unglückliche durch ein apokalyptisches Erdbeben retten kann. Es entsteht eine Art karnevalesker Zustand, in dem sich die Ordnung umdreht, die Herrscher sterben und sich die Überlebenden in den Naturraum begeben und für kurze Zeit in dem evozierten Ideal einer rousseauschen Naturgesellschaft leben. In dem Moment aber, da sie diesen Naturraum für eine neue Realität halten, kehren sie in die Stadt zurück, um Gott für die Rettung zu danken. Die frühere Realität holt sie dort ein. Jeronimo wird von den Überlebenden des Ancien Régime nun nachträglich doch noch in einem öffentlichen Gemetzel vor der Kathedrale hingerichtet.
So können wir auch in der Marquise von O... Zeitversetzungen ausmachen. Dies beginnt mit dem erzählerischen Verschweigen der Empfängnis der Marquise durch den Grafen und endet mit der mehrmals hinausgezögerten Heirat der beiden, mit der die zuvor entstandene und erzählerisch nur angedeutete Schande rehabilitiert werden soll. Die mehrfache Beschwörung zu heiraten, der hinausgezögerte Vollzug lassen sich als gewollte Dehnung oder Verkehrung des Performativen verstehen. Der so oft zuvor vom Grafen beschworene performative Akt des: hiermit erkläre ich Sie beide zu Mann und Frau wird erzählerisch unterlassen. Dem Leser wird später vom Vollzug der Heirat berichtet, wobei die Gelingensbedingungen wiederum verletzt werden. Zwar vollzieht sich später in der Erzählung die Trauung kraft der Worte. Doch muss der Graf zunächst weiter fern der Marquise leben und ist nicht von Familie und Gesellschaft als Ehemann anerkannt, was sich erst mit der Taufe des gemeinsamen Kindes ändern wird.
Dazu im größtmöglichen Gegensatz steht eine Szene aus Penthesilea, die aufgrund der Quantität enthaltener narrativer Anteile als undramatisch scheint. Tatsächlich vollzieht sich dort aber innerhalb der dramatischen Realität ein performativer Akt par excellence. Gemeint ist der Selbstmord Penthesileas kraft ihrer eigenen Worte nachdem sie all ihre Waffen der Prothoe übergibt. Nun schutzlos und scheinbar unbewaffnet spricht Penthesilea und ihre Worte werden im selben Moment zu Realität. Hier gelingt Penthesilea, was Kleist im Leben nur mit Sprache nicht gelingt:
Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder,/ Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz,/ Mir ein vernichtendes Gefühl hervor./ Dies Erz, dies läutr’ich in der Glut des Jammers/ Hart mir zu Stahl, tränk ich es mit Gift sodann,/ Heißätzendem, der Reue, durch und durch;/ Trag es der Hoffnung ewgem Amboß zu,/ Und schärf und spitz es mir zu einem Dolch;/ Und diesem Dolch jetzt reich ich meine Brust:/ So! So! So! Und wieder! – Nun ists gut./ (Sie fällt und stirbt) (Kleist, 1974: 257).
BIBLIOGRAPHIE
AUSTIN, J. L. (21975): How to do things with words, Harvard College.
FISCHER-LICHTE, E. (2004): Ästhetik des Performativen, Frankfurt/Main, Suhrkamp.
KLEIST, H. von (31974): Dramen II, München, Deutscher Taschenbuch Verlag.
SOBOCZYNSKI, A. (2011): Kleist. Vom Glück des Untergangs, München, Luchterhand.
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