„Graf Galdana beschäftigt den besten Koch im westlichen Ustalav“, sagte sie. Sie hatte sich gezwungen, fröhlich zu klingen, doch ihre Augen waren schwer von Mitgefühl oder Erschöpfung oder vielleicht von ihrem eigenen Kummer. Ich fragte mich, ob sie ebenso viel Heimweh empfand wie ich, der nun der einzigen beiden Begleiter beraubt war, die ich aus Cheliax mitgebracht hatte. Sie spießte ein Ei auf eine silberne Gabel und kostete es, während sie ihre Augen vor Wonne schloss.
Die Bestätigung des Todes meiner Diener hatte mir den Appetit verdorben. Ich bereute es, Nicola in meine Dienste gestellt zu haben, um solch eine lange Reise zu unternehmen, nur damit er in einem fremden Land starb. Mir tat es auch um die Männer leid, die ich angeheuert hatte, um uns zu beschützen. Natürlich, sie waren Söldner gewesen und hatten das Risiko gekannt, aber sie waren immer noch menschliche Wesen, alles anständige Männer, soweit ich sie kennengelernt hatte.
Ebenso wie die Söldner hatte Radovan von dem Augenblick an, als ich ihn in meine Dienste nahm, gewusst, dass er eines Tages gezwungen sein würde, sein Leben zu geben um meines zu verteidigen. In den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit hatte ich erwartet, dass dieser Augenblick jederzeit kommen könnte. Wir hatten gemeinsam viele Gefahren durchgestanden, und immer hatte er sich ohne Zögern zwischen mich und die Bedrohung gestellt. Meiner Sicherheit wegen hatte er Prügel, Messerstiche und sogar Verbrennungen davongetragen, die einen Leibwächter rein menschlichen Blutes in Brand gesetzt hätten. Ich hatte angefangen, ihn für unverwüstlich zu halten.
Nun konnte ich nicht umhin, mir die letzten Augenblicke seines Lebens vorzustellen. Hatten die Wölfe ihn geholt? Was war mit diesem Feuer, an das ich mich halb erinnerte? Es hatte ihn mit Sicherheit nicht getötet, da er sich in der Vergangenheit als ungewöhnlich widerstandsfähig gegen Feuer erwiesen hatte, selbst für jemanden mit teuflischer Herkunft. Dennoch bedeutet widerstandsfähig nicht immun, und er konnte durch ausreichend Hitze verbrannt werden, wenn sie zum Beispiel durch Magie entstand. Ich betete, dass er zumindest nicht sehr gelitten hatte, doch rückblickend schien es, dass er den Großteil seines Lebens damit zugebracht hatte auf die eine oder andere Art Schmerz zu ertragen. Er hatte ein aufrichtiges Herz, und auch wenn er es bisweilen zu leicht verschenkte, schien er die meiste Zeit in meinen Diensten glücklich gewesen zu sein.
„Ihr solltet Euren Hunger stillen, Varian“, sagte Tara. „Den Toten können wir nicht mehr helfen.“ Ich erkannte die Weisheit in ihrem Rat, obgleich ich sie nicht fühlte. Es war besser, für die Notwendigkeiten der Gegenwart zu leben, als im Schmerz der Vergangenheit zu versinken.
Ich erwiderte ihre Höflichkeit mit einem Lächeln, das ich nicht wirklich empfand, und nahm einen Bissen des Frühstücks dieses „besten Kochs im westlichen Ustalav“ zu mir. Er löste sich auf meiner Zunge auf wie verwesendes Fleisch, während seine Fäulnis meine Kehle hinunter und meine Nasenhöhlen hinauf drang. Ich schaffte es kaum, rechtzeitig die Serviette zum Mund zu führen, um mich selbst daran zu hindern, das üble Zeug zurück auf den Teller zu spucken.
„Exzellenz!“, keuchte Tara. Sie sah eher erstaunt als beleidigt aus. Ich wandte mich ab um ihr den Anblick zu ersparen, wie ich den Inhalt meines Mundes mit der vormals exquisiten Serviette wegwischte. Es reichte nicht aus, ihn von dem Geschmack zu befreien. Ich trank aus meinem Kelch, doch sofort verdarb die restliche Fäulnis das Wasser vollständig, sodass ich nicht zu schlucken wagte. Ich eilte durch die Glastüren hinaus und spuckte das scheußliche Zeug aus. Felix folgte mir mit einem weiteren Kelch und einem Mundtuch nach draußen. Schluck auf Schluck reinigte ich langsam meinen Mund, bis ich meinen Würgereflex unter Kontrolle gebracht hatte.
Ich drehte mich um, um eine Entschuldigung hervorzubringen, und sah, dass Tara sich zurückgezogen hatte, um mir weitere Beschämung zu ersparen. Trotz ihrer Güte erfüllte mich heiße Scham, die sich zu dem kalten Gefühl des Verlustes gesellte, ohne dieses auszugleichen. Felix stand diskret in der Nähe, bis ich ihn ansprach.
„Ich werde etwas frische Luft schnappen gehen“, sagte ich.
„Vielleicht wünschen Euer Exzellenz ein anderes Mahl?“, fragte er. Er nickte in Richtung eines mit Moos bewachsenen Pavillons in einem nahe gelegenen Hain. „Vielleicht in der Rotunde?“
„Etwas Obst wäre wohltuend“, antwortete ich. „Keine Eier.“
Felix verneigte sich und zog sich in Richtung des Herrenhauses zurück. Ich nutzte die Gelegenheit, mir die Beine am Ufer zu vertreten, entlang dessen sich dunkle Weiden dem Fluss zuneigten und ihre Flechten ins Wasser tauchten. Der Strom erzeugte die Illusion, die bewaldeten Inseln in seiner Mitte seien Boote, in denen die Helden der Ulfen beigesetzt wurden.
Nach Süden hin erhob sich düster das verfluchte Gebirge von Ulcazar. Ich würde diesen Ort auf ewig dafür hassen, dass er das Leben meiner Diener genommen hatte, besonders das Radovans. Abgesehen von seiner Verstimmung in letzter Zeit hatte unsere Zusammenarbeit lange gewährt und war größtenteils zum gegenseitigen Vorteil gewesen, obgleich ich vor diesem Tage nicht viele Gedanken daran verschwendet hatte. In den besten Zeiten sah ich in ihm mehr als nur einen Diener, doch die Ungleichheit unserer Herkunft machte eine Freundschaft natürlich unmöglich. Wenn ich doch nur von Anfang an die nötige Distanz gewahrt hätte, dann würde ich seinen Verlust jetzt nicht dermaßen betrauern.
Zu sterben, wenn man seiner angestammten Heimat so nahe gekommen war, schien eine besonders grausame Ironie des Schicksals zu sein. Ich hatte niemals das Heimatland meines Vaters in Kyonin besucht. Die Elfen heißen keine Halbblüter in ihren Landen willkommen, die sie selbst vor so langer Zeit verließen, bevor sie zurückkehrten, um sie erneut zu beanspruchen. Vielleicht hatte der Tod Radovan davor bewahrt, von seinem eigenen Volk zurückgewiesen zu werden.
Wie als Antwort auf meine Gedanken donnerte es in der Ferne. Weit im Westen braute sich eine Sturmfront über den Virlychbergen zusammen. So war es auch das letzte Mal gewesen, als ich diese gequälten Bergspitzen betrachtet hatte. Grausame Magie verheerte noch immer jenes verdorbene Terrain, die Echos von Zaubern, die einst ganze Legionen vernichtet hatten und nun die Seelen ihrer besiegten Feinde heimsuchten. Selbst durch ihren endgültigen Sieg konnten die Armeen der Menschen und Zwerge den Wispernden Tyrannen nur einsperren, nicht vernichten. Manche in Ustalav sagen, die Stürme seien seine Träume.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meiner unmittelbaren Umgebung zu. Selbst an chelischen Standards gemessen war Gut Weidenweh ein großes und sehr altes Gebäude. Es war größtenteils aus behauenem, graublauen Sandstein erbaut, und seine Giebel aus grauem Schiefer verliehen ihm eine bestimmte Art von Pracht in einer ansonsten ländlichen Umgebung. Anders als bei den Gutshäusern im Süden verschmolzen seine Gärten unmerklich mit der sie umgebenden Vegetation und schienen an ihren spektakulärsten Punkten nichts weiter als glückliche Launen der Natur zu sein. Das Pförtnerhaus, die Quartiere der Dienerschaft, ein großer Stall und mehrere abgeschiedene Pavillons genossen alle den Schutz schattenspendender Bäume. Bestände von Pappeln, Eschen, Linden und Birken waren gestutzt, aber nicht in militärischer Ordnung umgepflanzt worden, wie es die Gewohnheit der Gärtner in Egorian war. Ich fand diese friedliche Übereinkunft zwischen Zivilisation und Wildnis höchst ansprechend, doch gab es eine auffallende Ausnahme zu dieser Regel: Im Nordwesten lag das außergewöhnlichste Heckenlabyrinth, das ich je gesehen hatte. Über seinen Abgrenzungen erhoben sich die Köpfe fantastischer Topiari. Unter den am nächsten stehenden entdeckte ich das Haupt eines Hirschbocks, eines Bären und eines grotesken Ogers. Solche Spielereien hätten mich in meiner Jugend verzaubert, und um ehrlich zu sein, ich empfand immer noch Freude daran, solche einfachen Irrwege zu erforschen, wenn ich auf ein Labyrinth stieß, das ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Ich entschied, nach dem Frühstück einen besseren