Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. Ehrhard Bahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ehrhard Bahr
Издательство: Bookwire
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159609614
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Lohn, der reichlich lohnet;

      Doch darf ich bitten, bitt ich eins,

      Lass einen Trunk des besten Weins

      In reinem Glase bringen.‹

      Er setzt’ es an, er trank es aus:

      ›O Trank der süßen Labe!

      Ο dreimal hochbeglücktes Haus,

      Wo das ist kleine Gabe!

      Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich,

      Und danket Gott so warm, als ich

      Für diesen Trunk euch danke.‹«

      Da der Sänger nach geendigtem Liede ein Glas Wein, das für ihn eingeschenkt dastand, ergriff und es mit freundlicher Miene, sich gegen seine Wohltäter wendend, austrank, [160]entstand eine allgemeine Freude in der Versammlung. Man klatschte und rief ihm zu, es möge dieses Glas zu seiner Gesundheit, zur Stärkung seiner alten Glieder gereichen. Er sang noch einige Romanzen und erregte immer mehr Munterkeit in der Gesellschaft.

      »Kannst du die Melodie, Alter«, rief Philine, »›Der Schäfer putzte sich zum Tanz‹?«

      »O ja«, versetzte er; »wenn Sie das Lied singen und aufführen wollen, an mir soll es nicht fehlen.«

      Philine stand auf und hielt sich fertig. Der Alte begann die Melodie, und sie sang ein Lied, das wir unsern Lesern nicht mitteilen können, weil sie es vielleicht abgeschmackt oder wohl gar unanständig finden könnten.

      Inzwischen hatte die Gesellschaft, die immer heiterer geworden war, noch manche Flasche Wein ausgetrunken und fing an, sehr laut zu werden. Da aber unserm Freunde die bösen Folgen ihrer Lust noch in frischem Andenken schwebten, suchte er abzubrechen, steckte dem Alten für seine Bemühung eine reichliche Belohnung in die Hand, die andern taten auch etwas, man ließ ihn abtreten und ruhen und versprach sich auf den Abend eine wiederholte Freude von seiner Geschicklichkeit.

      Als er hinweg war, sagte Wilhelm zu Philinen: »Ich kann zwar in Ihrem Leibgesange weder ein dichterisches noch sittliches Verdienst finden; doch wenn Sie mit eben der Naivität, Eigenheit und Zierlichkeit etwas Schickliches auf dem Theater jemals ausführen, so wird Ihnen allgemeiner, lebhafter Beifall gewiss zuteil werden.«

      »Ja«, sagte Philine, »es müsste eine recht angenehme Empfindung sein, sich am Eise zu wärmen.«

      »Überhaupt«, sagte Wilhelm, »wie sehr beschämt dieser [161]Mann manchen Schauspieler. Haben Sie bemerkt, wie richtig der dramatische Ausdruck seiner Romanzen war? Gewiss, es lebte mehr Darstellung in seinem Gesang als in unsern steifen Personen auf der Bühne; man sollte die Aufführung mancher Stücke eher für eine Erzählung halten und diesen musikalischen Erzählungen eine sinnliche Gegenwart zuschreiben.«

      »Sie sind ungerecht«, versetzte Laertes; »ich gebe mich weder für einen großen Schauspieler noch Sänger; aber das weiß ich, dass, wenn die Musik die Bewegungen des Körpers leitet, ihnen Leben gibt und ihnen zugleich das Maß vorschreibt; wenn Deklamation und Ausdruck schon von dem Kompositeur auf mich übertragen werden: so bin ich ein ganz andrer Mensch, als wenn ich im prosaischen Drama das alles erst erschaffen und Takt und Deklamation mir erst erfinden soll, worin mich noch dazu jeder Mitspielende stören kann.«

      »So viel weiß ich«, sagte Melina, »dass uns dieser Mann in einem Punkte gewiss beschämt, und zwar in einem Hauptpunkte. Die Stärke seiner Talente zeigt sich in dem Nutzen, den er davon zieht. Uns, die wir vielleicht bald in Verlegenheit sein werden, wo wir eine Mahlzeit hernehmen, bewegt er, unsre Mahlzeit mit ihm zu teilen. Er weiß uns das Geld, das wir anwenden könnten, um uns in einige Verfassung zu setzen, durch ein Liedchen aus der Tasche zu locken. Es scheint so angenehm zu sein, das Geld zu verschleudern, womit man sich und andern eine Existenz verschaffen könnte.«

      Das Gespräch bekam durch diese Bemerkung nicht die angenehmste Wendung. Wilhelm, auf den der Vorwurf eigentlich gerichtet war, antwortete mit einiger Leidenschaft, [162]und Melina, der sich eben nicht der größten Feinheit befliss, brachte zuletzt seine Beschwerden mit ziemlich trockenen Worten vor. »Es sind nun schon vierzehn Tage«, sagte er, »dass wir das hier verpfändete Theater und die Garderobe besehen haben, und beides konnten wir für eine sehr leidliche Summe haben. Sie machten mir damals Hoffnung, dass Sie mir so viel kreditieren würden, und bis jetzt habe ich noch nicht gesehen, dass Sie die Sache weiter bedacht oder sich einem Entschluss genähert hätten. Griffen Sie damals zu, so wären wir jetzt im Gange. Ihre Absicht zu verreisen haben Sie auch noch nicht ausgeführt, und Geld scheinen Sie mir diese Zeit über auch nicht gespart zu haben; wenigstens gibt es Personen, die immer Gelegenheit zu verschaffen wissen, dass es geschwinder weggehe.«

      Dieser nicht ganz ungerechte Vorwurf traf unsern Freund. Er versetzte einiges darauf mit Lebhaftigkeit, ja mit Heftigkeit, und ergriff, da die Gesellschaft aufstund und sich zerstreute, die Türe, indem er nicht undeutlich zu erkennen gab, dass er sich nicht lange mehr bei so unfreundlichen und undankbaren Menschen aufhalten wolle. Er eilte verdrießlich hinunter, sich auf eine steinerne Bank zu setzen, die vor dem Tore seines Gasthofs stand, und bemerkte nicht, dass er halb aus Lust, halb aus Verdruss mehr als gewöhnlich getrunken hatte.

      Zwölftes Kapitel

      Nach einer kurzen Zeit, die er, beunruhigt von mancherlei Gedanken, sitzend und vor sich hinsehend zugebracht hatte, schlenderte Philine singend zur Haustüre heraus, setzte [163]sich zu ihm, ja man dürfte beinahe sagen, auf ihn, so nahe rückte sie an ihn heran, lehnte sich auf seine Schultern, spielte mit seinen Locken, streichelte ihn und gab ihm die besten Worte von der Welt. Sie bat ihn, er möchte ja bleiben und sie nicht in der Gesellschaft allein lassen, in der sie vor Langerweile sterben müsste; sie könne nicht mehr mit Melina unter einem Dache ausdauern und habe sich deswegen herüberquartiert.

      Vergebens suchte er sie abzuweisen, ihr begreiflich zu machen, dass er länger weder bleiben könne noch dürfe. Sie ließ mit Bitten nicht ab, ja unvermutet schlang sie ihren Arm um seinen Hals und küsste ihn mit dem lebhaftesten Ausdrucke des Verlangens.

      »Sind Sie toll, Philine?« rief Wilhelm aus, indem er sich loszumachen suchte, »die öffentliche Straße zum Zeugen solcher Liebkosungen zu machen, die ich auf keine Weise verdiene! Lassen Sie mich los, ich kann nicht und ich werde nicht bleiben.«

      »Und ich werde dich festhalten«, sagte sie, »und ich werde dich hier auf öffentlicher Gasse so lange küssen, bis du mir versprichst, was ich wünsche. Ich lache mich zu Tode«, fuhr sie fort; »nach dieser Vertraulichkeit halten mich die Leute gewiss für deine Frau von vier Wochen, und die Ehemänner, die eine so anmutige Szene sehen, werden mich ihren Weibern als ein Muster einer kindlich unbefangenen Zärtlichkeit anpreisen.«

      Eben gingen einige Leute vorbei, und sie liebkoste ihn auf das anmutigste, und er, um kein Skandal zu geben, war gezwungen, die Rolle des geduldigen Ehemannes zu spielen. Dann schnitt sie den Leuten Gesichter im Rücken und trieb voll Übermut allerhand Ungezogenheiten, bis er [164]zuletzt versprechen musste, noch heute und morgen und übermorgen zu bleiben.

      »Sie sind ein rechter Stock!« sagte sie darauf, indem sie von ihm abließ, »und ich eine Törin, dass ich so viel Freundlichkeit an Sie verschwende.« Sie stand verdrießlich auf und ging einige Schritte; dann kehrte sie lachend zurück und rief: »Ich glaube eben, dass ich darum in dich vernarrt bin, ich will nur gehen und meinen Strickstrumpf holen, dass ich etwas zu tun habe. Bleibe ja, damit ich den steinernen Mann auf der steinernen Bank wiederfinde.«

      Diesmal tat sie ihm unrecht: denn sosehr er sich von ihr zu enthalten strebte, so würde er doch in diesem Augenblicke, hätte er sich mit ihr in einer einsamen Laube befunden, ihre Liebkosungen wahrscheinlich nicht unerwidert gelassen haben.

      Sie ging, nachdem sie ihm einen leichtfertigen Blick zugeworfen, in das Haus. Er hatte keinen Beruf, ihr zu folgen, vielmehr hatte ihr Betragen einen neuen Widerwillen in ihm erregt; doch hob er sich, ohne selbst recht zu wissen, warum, von der Bank, um ihr nachzugehen.

      Er war eben im Begriff, in die Türe zu treten, als Melina herbeikam, ihn bescheiden anredete und ihn wegen einiger im Wortwechsel zu hart ausgesprochenen