Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966511407
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derowegen sporenstreichs wieder um, und ging so lang, bis ich wieder einen andern dergleichen Baum erblickte, von dem ich mich gleichfalls wieder fortmachte, und auf diese Weise die Nacht mit Hin- und Widerrennen, von einem faulen Baum zum andern, vertrieb, zuletzt kam nur der liebe Tag zu Hilf, welcher den Bäumen gebot, mich in seiner Gegenwart ohnbetrübt zu lassen, aber hiermit war mir noch nichts geholfen, denn mein Herz steckte voll Angst und Furcht, die Schenkel voll Müdigkeit, der leere Magen voll Hunger, das Maul voll Durst, das Hirn voll närrischer Einbildung, und die Augen voller Schlaf: Ich ging dennoch fürder, wusste aber nicht wohin, je weiter ich aber ging, je tiefer ich von den Leuten hinweg in Wald kam: Damals stund ich aus und empfand (jedoch ganz unvermerkt) die Wirkung des Unverstands und der Unwissenheit, wenn ein unvernünftig Tier an meiner Stell gewesen wäre, so hätte es besser gewusst, was es zu seiner Erhaltung hätte tun sollen, als ich, doch war ich noch so witzig, als mich abermal die Nacht ereilte, dass ich in einen hohlen Baum kroch, mein Nachtlager darinnen zu halten.

      Kaum hatte ich mich zum Schlaf akkommodieret, da hörete ich folgende Stimm: »O große Liebe, gegen uns undankbare Menschen! Ach mein einziger Trost! mein Hoffnung, mein Reichtum, mein Gott!« und so dergleichen mehr, das ich nicht alles merken noch verstehen können.

      Dieses waren wohl Wort, die einen Christenmenschen, der sich in einem solchen Stand, wie ich mich dazumal befunden, billig aufmuntern, trösten und erfreuen hätten sollen: Aber, o Einfalt und Unwissenheit! es waren mir nur böhmische Dörfer, und alles ein ganz unverständliche Sprach, aus der ich nicht allein nichts fassen konnte, sondern auch eine solche, vor deren Seltsamkeit ich mich entsetzte; da ich aber hörete, dass dessen, der sie redete, Hunger und Durst gestillt werden sollte, riet mir mein ohnerträglicher Hunger, mich auch zu Gast zu laden, derowegen faßte ich das Herz, wieder aus meinem hohlen Baum zu gehen, und mich der gehörten Stimm zu nähern, da wurde ich eines großen Manns gewahr, in langen schwarzgrauen Haaren, die ihm ganz verworren auf den Achseln herum lagen, er hatte einen wilden Bart, fast formiert wie ein Schweizerkäs, sein Angesicht war zwar bleichgelb und mager, aber doch ziemlich lieblich, und sein langer Rock mit mehr als tausend Stückern von allerhand Tuch überflickt und aufeinandergesetzt, um Hals und Leib hatte er ein schwere eiserne Ketten gewunden wie S. Wilhelmus, und sah sonst in meinen Augen so scheußlich und fürchterlich aus, dass ich anfing zu zittern, wie ein nasser Hund, was aber meine Angst mehret', war, dass er ein Kruzifix ungefähr sechs Schuh lang an seine Brust drückte, und weil ich ihn nicht kennete, konnte ich nichts anders ersinnen, als dieser alte Greis müßte ohn Zweifel der Wolf sein, davon mir mein Knan kurz zuvor gesagt hatte: In solcher Angst wischte ich mit meiner Sackpfeif hervor, welche ich als meinen einzigen Schatz noch vor den Reutern salviert hatte; ich blies zu, stimmte an, und ließ mich gewaltig hören, diesen greulichen Wolf zu vertreiben, über welcher jählingen und ohngewöhnlichen Musik, an einem so wilden Ort, der Einsiedel anfänglich nicht wenig stutzte, ohn Zweifel vermeinend, es sei etwa ein teuflisch Gespenst hinkommen, ihn, wie etwa dem großen Antonio widerfahren, zu tribulieren, und seine Andacht zu zerstören: Sobald er sich aber wieder erholete, spottet' er meiner, als seines Versuchers im hohlen Baum, wo hinein ich mich wieder retiriert hatte, ja er war so getrost, dass er gegen mich ging, den Feind des menschlichen Geschlechts genugsam auszuhöhnen. »Ha«, sagte er, »du bist ein Gesell dazu, die Heiligen ohne göttliches Verhängnis« etc. mehrers habe ich nicht verstanden, denn seine Näherung ein solch Grausen und Schrecken in mir erregte, dass ich des Amts meiner Sinne beraubt wurde, und dorthin in Ohnmacht niedersank.

      Wasgestalten mir wieder zu mir selbst geholfen worden, weiß ich nicht, aber dieses wohl, dass der Alte meinen Kopf in seinem Schoß, und vorn meine Juppen geöffnet gehabt, als ich mich wieder erholete; da ich den Einsiedler so nahe bei mir sah, fing ich ein solch grausam Geschrei an, als ob er mir im selben Augenblick das Herz aus dem Leib hätte reißen wollen. Er aber sagte: »Mein Sohn, schweig, ich tue dir nichts, sei zufrieden« etc. je mehr er mich aber tröstete, und mir liebkoste, je mehr ich schrie: »O du frißt mich! O du frißt mich! du bist der Wolf, und willst mich fressen.« »Ei ja wohl nein, mein Sohn«, sagte er, »sei zufrieden, ich freß dich nicht.« Dies Gefecht währete lang, bis ich mich endlich so weit ließ weisen, mit ihm in seine Hütten zu gehen, darin war die Armut selbst Hofmeisterin, der Hunger Koch, und der Mangel Küchenmeister, da wurde mein Magen mit einem Gemüs und Trunk Wassers gelabt, und mein Gemüt, so ganz verwirret war, durch des Alten tröstliche Freundlichkeit wieder aufgericht und zurecht gebracht: Derowegen ließ ich mich durch die Anreizung des süßen Schlafes leicht betören, der Natur solche Schuldigkeit abzulegen. Der Einsiedel merkte meine Notdurft, darum ließ er mir den Platz allein in seiner Hütten, weil nur einer darin liegen konnte; ohngefähr um Mitternacht erwachte ich wieder, und hörete ihn folgendes Lied singen, welches ich hernach auch gelernet:

      Komm Trost der Nacht, o Nachtigall,

      Laß deine Stimm mit Freudenschall

      Aufs lieblichste erklingen.

      Komm, komm, und lob den Schöpfer dein,

      Weil andre Vöglein schlafen sein,

      Und nicht mehr mögen singen:

      Laß dein Stimmlein

      Laut erschallen, dann vor allen

      Kannst du loben

      Gott im Himmel hoch dort oben.

      Ob schon ist hin der Sonnenschein,

      Und wir im Finstern müssen sein,

      So können wir doch singen

      Von Gottes Güt und seiner Macht,

      Weil uns kann hindern keine Nacht,

      Sein Lob zu vollenbringen.

      Drum dein Stimmlein

      Laß erschallen, dann vor allen

      Kannst du loben

      Gott im Himmel hoch dort oben.

      Echo, der wilde Widerhall,

      Will sein bei diesem Freudenschall,

      Und lässet sich auch hören;

      Verweist uns alle Müdigkeit,

      Der wir ergeben allezeit,

      Lehrt uns den Schlaf betören.

      Drum dein Stimmlein etc.

      Die Sterne, so am Himmel stehn,

      Lassen sich zum Lob Gottes sehn,

      Und tun ihm Ehr beweisen;

      Auch die Eul die nicht singen kann,

      Zeigt doch mit ihrem Heulen an,

      Dass sie Gott auch tu preisen.

      Drum dein Stimmlein etc.

      Nur her mein liebstes Vögelein,

      Wir wollen nicht die Fäulsten sein,

      Und schlafend liegen bleiben,

      Sondern bis dass die Morgenröt

      Erfreuet diese Wälder öd,

      Im Lob Gottes vertreiben.

      Laß dein Stimmlein

      Laut erschallen, dann vor allen

      Kannst du loben

      Gott im Himmel hoch dort oben.

      Unter währendem diesem Gesang bedünkte mich wahrhaftig, als wenn die Nachtigall sowohl als die Eul und Echo mit eingestimmt hätten, und wenn ich den Morgenstern jemals gehört, oder dessen Melodei auf meiner Sackpfeifen aufzumachen vermocht, so wäre ich aus der Hütten gewischt, meine Karten mit einzuwerfen, weil mich diese Harmonia so lieblich zu sein bedünkte, aber ich entschlief,