Die plötzlichen Einkommensausfälle setzen viele naturgemäß unter Existenzdruck, vor allem mangels eigener Liquidität31 und hoher Schuldenlast. Wenn der Schaden schon angerichtet ist, dann soll ihn die Politik zumindest reparieren – so die landläufige Einstellung.
Doch Politik kann nur das zuteilen, was aktueller oder künftiger Produktivität entspringt. Schadenswiedergutmachung durch Politik kann daher nur auf der Grundlage von einer der folgenden Prämissen funktionieren: Erstens, Politiker sind in der Lage- und Zukunftseinschätzung besser als private Entscheider. Zweitens, durch Schuldtitel können künftige Steuereinnahmen heute schon erlöst werden und der frühere Einsatz erspart später höhere Kosten oder bedeutet größeren Wohlstand. Die zwei Alternativen bedeuten also: Gegenwärtige Umverteilung25 von schlechterem Mitteleinsatz durch private Entscheider zu besserem Mitteleinsatz durch politische Entscheider oder zeitliche Umverteilung von später schlechterem privaten oder politischen Mitteleinsatz zu heute besserem politischen Mitteleinsatz.
Dass die erste Prämisse hält, erscheint aktuell nicht sonderlich wahrscheinlich. Die schockartigen9 Extremmaßnahmen sind klarer Hinweis auf falsche Lageeinschätzung durch die Politik. Gewiss, auch die Gesellschaft war nicht viel weitsichtiger, doch kann Umverteilung natürlich nie von den Kurzsichtigeren zu den Weitsichtigeren innerhalb der Gesellschaft gehen. Die Logik gebietet, dass sie nur von heute noch Wertschöpfenden zu heute nicht mehr Wertschöpfenden gehen kann.
Daher bleibt als einzige Alternative – da scheint sich auch die Politik sicher – nur die zweite Prämisse: Abwendung der Notlage durch neue Schulden22. Seit de facto zinslose Staatsanleihen34 aber das zunehmend wichtigste Zentralbank-Asset sind, bedeutet das Geldschöpfung20.
Gewiss ist die aktuelle Katastrophe nicht einfach auszusitzen. Es ist wesentlich leichter, Produktionsprozesse anzuhalten als sie wieder zum Laufen zu bringen. Grundsätzlich erlauben Kurseinbrüche und Unternehmenskonkurse das Übergehen der Produktionsstruktur in die Hände jener, welche die Zukunft besser antizipiert haben: Heute heißt das, in die Hände derjenigen, die liquider und robuster aufgestellt sind, flexibler mit neuen Situationen umgehen können und Potenziale vor anderen erkennen. Fluglinien können sich in Luft auflösen, Flugzeuge – abgesehen von merkwürdigen Ausnahmen – nicht.
Aktuell wird ein viel zu großer Teil der Produktionsstruktur von Akteuren kontrolliert, die sie falsch einsetzen, etwa den sogenannten Zombieunternehmen. Falsch bedeutet in mangelnder Übereinstimmung mit den aktuellen und künftigen Bedürfnissen und Plänen der Menschen.
Doch Krisen17 sind stets Hinweise auf negative Überraschungen – das heißt, die meisten lagen in ihrer Einschätzung falsch, was zu Schockstarre führen kann. Je weniger agil und lernfähig eine Gesellschaft, desto gravierender die Krisenohnmacht. In dieser Situation könnten Kapitalstrukturen zu schnell zerstört werden, weil der Zugang von neuen und besseren Unternehmern und Investoren stockt.
Die größte Gefahr liegt darin, dass sich ein weit unterschätzter, weil unsichtbarer Teil des Kapitals in Luft auflöst: Wissen. Entwickelte Produktionsstrukturen sind weit eher geistiger als materieller Natur. Stillstehende Produktion könnte die nötige Weitergabe, Mehrung und Erhaltung von Wissen bedrohen. Wirtschaftlich relevantes Wissen benötigt praktische Anwendung, um frisch zu bleiben, es kann schnell obsolet werden.
Leider wird dieser geistige Aspekt von den meisten übersehen. Er bedeutet nämlich nicht, dass es nun vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen26 ginge.
Nahezu alle geld-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen werden, wenn sie sich daran orientieren, Schaden »gutzumachen«, Lernunfähigkeit belohnen, Strukturanpassungen vereiteln und nachhaltige Grundlagen der Produktivität weiter untergraben – führen also in eine Interventionsspirale54. Die einzig sinnvollen politischen Maßnahmen federn vorübergehend größte Not ab und verhindern Katastrophen des Kapitalkonsums. Alle weiteren Maßnahmen sind gesellschaftlicher Natur – können aber natürlich von Politikern, die ja Teil der Gesellschaft sind, angeregt, begleitet, gestützt werden.
Kapitel, die auf dieses verweisen: Kap. 1, 7, 8, 9, 11, 15, 17, 20, 21, 29, 40, 53, 54, 55, 56, 58, 62
13. Bedeutet strengerer Datenschutz mehr Freiheit?
Das Recht auf Privatsphäre ist Teil der Freiheit48, indem wir Mitbürger in ihrer Autonomie respektieren. Privatsphäre im eigentlichen Sinne scheint immer weniger zu gelten: Das schwindende Vertrauen40 führt zu Generalverdacht. An Abhören, Konteneinsicht, »Doxing« (Identifizierung von Menschen gegen ihren Willen), Kapitalverkehrskontrollen55 gewöhnen wir uns langsam. Merkwürdig ist nur, dass der Datenschutz so präsent zu sein scheint: Die EU5 verordnete eine strenge Datenschutzverordnung zur nationalen Umsetzung, amerikanische Unternehmen sind immer wieder in der Kritik – und ein gewisser Stolz scheint in Europa vorhanden zu sein, es mit Daten strenger zu nehmen.
Doch das ist vor allem Ablenkung. Gesetzlich liegt nun der Fokus auf Daten, die Menschen freiwillig teilen und deren Verarbeitung kaum schlimmere Folgen für sie hat als Werbekontakte. Gewiss ist das Geschäftsmodell der »(un)sozialen Medien41« bedauernswert, es ist aber Folge und nicht Ursache der kurzfristigen Gratiskultur.
Die Datenschutzgrundverordnung lud im Wesentlichen Unternehmen Kosten und Mühen auf, ohne irgendeine der wahren Gefahren für die Privatsphäre einzudämmen. Die Datenverarbeitung, um die Zielgenauigkeit von Werbung zu erhöhen, ist keine reale Gefahr. Eine reale Gefahr ist die schwindende finanzielle Privatsphäre der Bürger60, denn sie könnte zu einer Existenzbedrohung werden, und der leichtfertige Umgang von Medien41 mit der realen Identität von Menschen, die zunehmend digitalen Mobs ausgesetzt werden, die immer öfter gewalttätig ins Analoge übergreifen. Manche Regierungen erzwingen sogar Klarnamen im Digitalen – ein gemeingefährliches Missverständnis digitaler Dynamik. Nicht vom Trollen, der »Hassrede« im Netz von marginalisierten Figuren, geht die größte Gefahr aus, sondern vom Hass, der digital organisiert gegen Einzelmenschen gerichtet werden kann.
Datenschutz ist also kaum Ausdruck von Freiheit, sondern Ausdruck einer Schizophrenie: Einerseits die Anspruchsmentalität, von der Kostenlosigkeit der werbefinanzierten Geschäftsmodelle zu profitieren, und der digitale Exhibitionismus von Narzissten, andererseits die Missgunst, irgendjemandem nützlich zu sein – und sei es auch nur durch im Einzelnen wertlose Daten, die erst im Aggregat und in Verbindung mit dem Konsumismus breiter Schichten wertvoll werden. Datenschutz ist vor allem aber ein Ablenkungsmanöver der Politik.
Diese merkwürdige Einstellung zu den Daten führt dazu, dass Europa zwar Datenerhebungsweltmeister ist, mit seiner alten Schriftkultur, die zunehmend in Behörden und Institutionen frei von realer Nützlichkeit gedeiht. Mit diesen Daten irgendetwas Sinnvolles anzustellen, da aber wird Europa zum Schlusslicht.
Der Bluff rund um die Daten gelingt dank technischen Unwissens: dass Datenzugriff nur total oder gar nicht möglich wäre und