Pauls Leben hätte einfacher beginnen können. Tragischerweise wird sein Vater im Alter von nur 29 Jahren bei der Arbeit im Stall vom Blitzschlag getroffen. Die zu dieser Zeit üblichen genagelten Schuhe leiten den Blitz vom Verteilerkasten in die Erde ab, er ist augenblicklich tot – sechs Wochen vor Pauls Geburt. Die junge Mutter hat nun ein Kleinkind, Pauls ältere Schwester, und den Säugling zu versorgen. Früh lernt Paul, was es heißt, der Mann im Haus zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Für ihn stand auch ganz früh fest: »Ich schaff in der Nähe, dann ist die Mutter nicht alleine.« In der Verwandtschaft wird ein Haus umgebaut, und so entdeckt Paul zufällig den Beruf des Zimmermanns, an dem der handwerklich versierte Jugendliche gleich Gefallen findet. Das Arbeiten an der frischen Luft, die einzigartige Haptik des Materials Holz und die Möglichkeit, tagtäglich zu sehen, was man an dem Tag verrichtet hat, gefallen ihm nach den vielen Jahrzehnten im Beruf immer noch. Dabei stellt der erfahrene Zimmermann hohe Ansprüche an sich selbst und führt in aller Bescheidenheit aus: »Wenn’s mir gefällt, dann ist es okay.«
Viele Bräuche und Rituale, die seit Jahrhunderten bestehen, verlieren heute an Bedeutung, so verhält es sich auch im Handwerk. Bei den Zimmerleuten hingegen werden die jahrhundertealten Traditionen heutzutage noch gelebt. Die Bekannteste ist sicherlich die Walz, auf die sich der frisch gelernte Geselle begibt, um auf der Wanderschaft Erfahrungen zu sammeln und Fertigkeiten zu erwerben, vorausgesetzt er ist schuldenfrei, ledig und kinderlos. Auf der Walz und zu anderen feierlichen Anlässen tragen die Zimmerleute ihre Kluft, eine stolze Tracht, die unter anderem aus dem Zimmermannshut, einer schwarzen Weste mit Perlmuttknöpfen, einem kragenlosen weißen Hemd, einer Hose mit weitem Schlag und schwarzen Schuhen besteht. Wenn der Rohbau eines Hauses fertiggestellt und der Dachstuhl errichtet sind, wird das Richtfest gefeiert. Hoch oben auf dem Dach, traditionell geschmückt mit einem Richtbaum, spricht der Zimmermann den Richtspruch, stößt auf das Wohl der Hausbesitzer an und wirft das Glas zu Boden, denn Scherben bringen Glück. Anschließend wird gefeiert, und mit ein bisschen Glück erlebt man den Zimmermannsklatsch, eine traditionelle Vorführung der Zimmerleute. Rhythmisch singen und klatschen sie im Takt, je zwei Zimmerer stehen oder sitzen einander gegenüber. Vergnüglich ist es anzuschauen, aber es ist doch ein ernstes Lied, das Zimmerleute mahnt, ein sorgfältiges Gerüst zu bauen und füreinander Sorge zu tragen: »Früh morgens um halb sechse steh’n wir auf und steigen aufs Gerüst hinauf. Darum aufgeschaut, fest Gerüst gebaut, und auf seinen Kamerad vertraut! Holz her!« Für den Beruf des Zimmermanns spielen Vertrauen und Kameradschaft eine wichtige Rolle, neben Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. »Und Ehrfurcht vor dem Gewitter, das ist bei mir geblieben«, fügt Paul hinzu.
Tipp
Wer nicht in den Genuss der Zimmermannsrituale kommt, der kann sich immer noch an der historischen Ölmühle im Simonswald erfreuen. Eine Getreidemühle, ein Backhäusle und eine Trachtenausstel-lung runden das Angebot ab. Seit über 20 Jahren betreut der Brauchtumsverein die historische Ölmühle samt Areal und bietet neben dem Lohnmühlen auch kaltgepresstes Walnussöl an, aus handverlesenen Simonswälder Nüssen. Dafür hat sich der aktive Brauchtumsverein Großartiges überlegt: Alle Rentner des ländlichen Simonswalds werden aktiv rekrutiert und zum Nüsseknacken eingeteilt. So kommt keine Langeweile auf und die Kameradschaft der Zimmerleute wird auch bei den Senioren der Ölmühle aktiv gelebt.
Kontakt
Zimmerei-Holzbau Helmle
Am Häuslerain 10
79263 Simonswald
Tel.: 07683 337
E-Mail: [email protected]
Ernst, der Schindelmacher
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Mir machet Schindeln, kei Speckbrettle!« |
Ein würziger Harzduft erfüllt die Schindelmacher-Werkstatt von Ernst Karle und katapultiert jeden Besucher mitten in den dichten Tannenwald des Schwarzwalds. Mitten in der Werkstatt thront der Schniedesel, auf dem bereits der Großvater Schindeln abgezogen hat. Das ist der Arbeitsplatz von Ernst, es sei denn, er steht auf einem Dach in luftiger Höhe mit Fernsicht in unendliche Weite und legt die Schindeln dicht an dicht. Ernst hat ohne Frage zwei der schönsten Arbeitsplätze im Schwarzwald.
Seine Arbeit als Schindelmacher fängt im Wald an, auf der Suche nach dem passenden Baum. Für seine Schindeln verwendet er ausschließlich die heimischen Fichten und Weißtannen. Schön gerade sollte der Stamm gewachsen sein, nicht drehwüchsig, wie er betont. Idealerweise sollte der passende Kandidat in der Nähe seines neuen Einsatzortes gedeihen, da er dann den Witterungsbedingungen optimal angepasst ist. Je höher die Höhenlage des Baums ist, desto langsamer wächst er. Seine Jahresringe liegen eng aneinander, er ist fest und widerstandsfähig. »Geschlagen wird der Baum nur im Winter, wenn er nicht mehr im Saft ist«, kommentiert Ernst. Der Stamm wird noch vor Ort in Rollen von 40 bis 60 Zentimeter Breite gesägt, bis zu den ersten Ästen. Nur der untere Teil des Nadelbaums wird also verwendet. Der Rest der Arbeit geschieht in der gemütlichen Stube eines alten Schwarzwaldhofs in Muggenbrunn. Dort erlebt man die Wandlung des Baumstamms zur isolierenden Schindel, ganz nach alter Manier, ohne moderne Technik und Strom. Auf einer Holzbank wird die Rolle mit der Spaltaxt in Keile gehackt, dabei entstehen große Kuchenstücke aus Fichte oder Weißtanne. Das Splintholz, die weiche Schicht unter der Rinde, wird mit der Axt entfernt. Nur das härtere Holz in der Mitte wird zu einer Schindel verarbeitet. Die Tortenstücke werden dann mittig mit einem Spaltlommel, einem speziellen Holzhammer, und einem Metallkeil quer zu den Jahresringen immer wieder geteilt, bis Ernst 11 Zentimeter breite Rohschindeln hat. Aus einem Holzkeil hat er ungefähr 8 bis 12 Rohschindeln geschlagen.
Jetzt folgt der Feinschliff auf dem Schniedesel. Auf der speziellen Schnitzbank werden die Rohschindeln an einer Klemmvorrichtung, der Backe, fixiert. Steuern lässt sich die Klemmvorrichtung mit einem Fußpedal. So hat Ernst beide Hände frei, um das Schindelmesser, ein Ziehmesser mit beidseitigem Griff, gekonnt zu führen. In Sekundenschnelle wird die Schindel mit wenigen präzisen und kräftigen Handgriffen glatt abgezogen, die Späne fliegen umher. Den letzten Schliff gibt Ernst an der sichtbaren Kante, der Schnauz. Entstanden ist ein dünnes Brettchen, das perfekt auf die Wetterbedingungen seines Einsatzortes abgestimmt ist, denn »mir machet kei Speckbrettle«, merkt der Schindelmacher verschmitzt an. Ganze 600 bis 700 Schindeln schafft er am Tag, wenn er schnell ist und sich von der Fernsicht nicht zu lange verleiten lässt. Seinen Schniedesel hat er vor dem Fenster platziert: Ernst thront auf den Höhen des Schwarzwalds, die kleine Ortschaft Muggenbrunn liegt ihm zu Füßen, am Horizont das waldige Mittelgebirge.
Zum Legen der Holzbretter benötigt Ernst genauso wenige Werkzeuge wie beim Schnitzen der Schindeln. Ein Schindelbeil, Nägel, Hammer und eine Schnur, und schon kann er auf einem Schwarzwaldhof die Schindeln fixieren. Für einen Quadratmeter benötigt Ernst 144 Dachschindeln, die versetzt verlegt werden. Genauigkeit ist bei seiner Arbeit relevant, denn die Schindeln müssen sich perfekt überlappen, vor allem auf der Wetterseite ist das wichtig. Auf dem Dach halten die Schindeln dann, je nach Witterungsbedingungen, 30 bis 40 Jahre, an einer Hauswand sogar bis zu 100 Jahre. Dank ihrer Langlebigkeit und ihrer sehr guten Beständigkeit