In dieser Haltung nahm sie den Orchideenstrauß entgegen, die silberne Kassette und den langen, unverständlichen Spruch des dicken, dunkelblauen Herrn. Sie nickte, sie schluckte ein paarmal. Nicht einmal die Matzner war da, deren Blick sie vielleicht ermuntert hätte. Frau Josephine wollte sich schnell umziehn. Als sie endlich eintrat, gewappnet und zu allen Abenteuern bereit, war die ganze Zeremonie leider schon beendet, der dunkelblaue Herr bereits im Rückzug begriffen. Er erkannte Josephine Matzner trotz ihrer Verwandlung sofort, und er zog seine Börse und reichte sie mit einer leichten Verneigung der Hausfrau. Die Börse wog leicht. Kein Wunder: sie enthielt lediglich Goldmünzen.
Als der Obereunuch am nächsten Tage seinem Herrn den Vollzug des Befehls meldete, fragte der Schah, ob die Dame etwas gesagt habe. »Herr«, erwiderte der Diener, »sie wird Euch nie vergessen. Dies war ersichtlich, obwohl ich ihre Sprache nicht verstanden habe.«
XII
Viele Menschen dachten noch lange an den Schah, Glückliche und Unzufriedene. Denn er hatte seine Orden und Geschenke nach eigener Willkür verteilt, ohne auf den Gesandten zu hören und ohne auf den Rang und die Würde der Beschenkten und Ausgezeichneten zu achten. Der einzige wirklich Unglückliche war der Rittmeister Taittinger. Er wurde nämlich einen Tag nach der Abreise des hohen Gastes von der »besonderen Verwendung« dispensiert und zu seinem Regiment zurückbeordert.
Die ganz fatale Geschichte versank in der Vergessenheit; das heißt: in den Geheimarchiven der Polizei. Es wird also niemals mehr zu erfahren sein, warum der arme Taittinger so schnell in seine Garnison zurückmußte.
In der kleinen schlesischen Garnison blieb dem Baron nichts anderes übrig, als über seine fatale Geschichte nachzudenken. Er hatte Einsicht genug: er kam sozusagen zu einer Art oberflächlicher Einkehr und fällte über sich ein, seiner Meinung nach, äußerst hartes Urteil: er fand, daß er durchaus nicht mehr »charmant« war.
Von nun ab begann er auch zu trinken. Er dachte ein paarmal daran, der Gräfin W. zu schreiben und sie um Verzeihung zu bitten, weil er sie dem Perser verraten hatte. Aber er zerriß den ersten, den zweiten, den dritten Brief. Hierauf trank er noch mehr.
Sehr oft träumte er von jener Stunde, in der er die Stiege hinuntergegangen und dem Spitzel mit dem gelüfteten Zylinder begegnet war. Zugleich sah er sich auch die glatte, steinerne Rampe hinuntergleiten. Die Frauen freuten ihn nicht mehr, der Dienst langweilte ihn, die Kameraden liebte er nicht, der Oberst war fad. Die Stadt war fad, das Leben war noch schlimmer als fad. Es gab im Vokabular Taittingers dafür keinen Ausdruck.
Er glitt und sank. Er fühlte sich auch gleiten und sinken. Er hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, mit Mizzi Schinagl zum Beispiel, von der er auch manchmal träumte. Aber es war ihm, als sei er zu stumm und zu stumpf, um das Richtige und Wahre sagen zu können. Er schwieg also. Und er trank.
Indessen dauerte der große Rausch der Mizzi Schinagl kaum drei Wochen. Berauscht war übrigens auch das ganze Haus der Frau Josephine Matzner. Berauscht war ganz Sievering, als es vom alten Pfeifenhändler Schinagl erfuhr, daß seine Tochter zum Gefolge des Schahs von Persien nunmehr gehörte und nach Teheran zu fahren gedenke. Denn dermaßen umgeformt kam die Kunde von dem morgenländischen Abenteuer der Mizzi nach Sievering. Der Zwischenträger und Gerüchteträger gab es viele. Die erste Nachricht brachte der Friseur Xandl. Zuerst glaubte man ihm nicht; er kränkte sich darüber so sehr, daß er die Mizzi anflehte, selber zu ihrem Vater zu gehn. Sie tat es endlich. Sie fuhr im Zweispänner vor. Als sie einstieg, setzte sich der Friseur Xandl an ihre Seite, und er blieb auch längere Zeit auf seinem Platze. Aber als sie sich Sievering näherten, wechselte er den Platz: er setzte sich Mizzi gegenüber auf den Rücksitz.
Das Wiedersehen war herzlich, ja herzerschütternd. Der alte Schinagl weinte. Es waren kaum sechs Monate seit dem Tage vergangen, an dem er ganz Sievering versichert hatte, daß er seine Tochter verstoßen habe und daß er entschlossen sei, sie nie mehr im Leben wiederzusehn. Aber was kann der Mensch gegen die Gewalt des Goldes? Man sah den alten Schinagl die verstoßene Tochter umarmen.
Als Mizzi Schinagl den Laden ihres Vaters verließ, bildeten die Leute draußen eine kleine Gasse. Die Schinagl war lieblich und rührend anzusehn, in ihrem dunkelgrauen Kostüm, mit ihrem großen Hut aus blauem Tuch und dem hellgrauen Sonnenschirm in der Hand. Keine andere Herrscherin hätten die Leute aus Sievering dem befreundeten persischen Lande wünschen können. Sie lächelte, sie grüßte, sie stieg ein, und ihr gegenüber nahm wieder der Friseur Xandl auf dem Rücksitz Platz. Die Peitsche des Kutschers knallte diskret und munter. Dahin, dahin, in die Stadt zurück rollte der Fiaker, und Mizzi winkte mit einem weißen Handschuh. Der alte Schinagl stand vor der Tür und weinte.
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