Es war noch die Zeit, da ich bei meinen lieben Eltern schlafe, zwischen den Betten des Vaters und der Mutter gelagert, denn wir haben nur einen geheizten Schlafraum, die anderen Zimmer (neun!) dienen Besuchszwecken. Ist es nicht sehr kalt, dann wird mir daheim im Speisezimmer von dem alten flämischen Diener David auf einem halbmondförmigen Sofa das Bett gemacht, aber in so kalten Nächten wie in dieser wird es mir in dem »temperierten« Schlafzimmer aufgestellt. Brav ist der Ofen, heimatlich, vertraut, nie überheizt, gut anzugreifen.
Aber ich habe ihn verlassen; von Müdigkeit überwältigt, bin ich verlassen. Man klammert die Hände an die Fransen der Portieren, die eine Tür verkleiden, aber der Gedanke an T. bricht immer fürchterlicher hervor, von innen wächst er und ist nicht zu ersticken. Was nützt es, wenn die Eltern ebenmäßig atmend neben mir ruhen? Sie haben sich in alles gefunden, sie haben auch ihr »fürstliches Elend« hingenommen, leiden weniger als der Diener David, der drei Geschlechtern von Orlamünde gedient hat. Freilich ist er Protestant, exklusiv und zänkisch, meine Eltern sind weich, sie haben alles »zu gut verstanden«. So mögen sie auch diese Furchtbarkeit des Weltalls als unabwendbar längst hingenommen haben. Sie haben sie vielleicht nie geahnt. Vielleicht bin ich der einzige, den diese Furchtbarkeit von Sonne, Nacht, unauszählbarem Sternenhimmel wie ein Lindenblatt zusammendrückt, welches ein fallender Felsen von dreiundzwanzigtausend Tonnen Gewicht unter sich zusammenpreßt zu absolutem Nichts. Aber wenn schon dieser Fels, dieses tote, schwere, maßlose Gestein über mich niedergestürzt ist, weshalb vernichtet er mich nicht völlig mit diesem einen Schlage? Weshalb muß ich die ganze kommende Zeit meines Lebens dem T. und der absoluten Nichtigkeit meiner Existenz ins Auge sehen und kann es doch nie?
Heute aber kann ich es. Heute erst verstehe ich es, am 19. Juni 1913, elf Uhr, jetzt, da ich über dem T. hoch erhaben dastehe, wo ich der Sonnenglut ungeschützt mit dem äußersten Lebensmute entgegenstarre. Laß sie rasen und stürmen, laß sie überfließen, sage ich mir, mag sie wie ein Milchtopf am Herd überschäumen mit ihrem Licht und ihrer Hitze, sie mag größer sein als ich, aber nicht stärker, heute nicht.
Der Meister ist neben diesem ungeheuren Sonnengebilde zum durchsichtigen Schatten geworden. Meine aufgerissenen Augen lassen die Sonne nicht mehr heraus, mein Haupt beginnt zu funkeln, die rötlichen Strähnen in meinem Haar wollen brennen, die gelblichen wollen sich kräuseln – oder werden sie verbleichen in dieser nie wiederkehrenden Stunde? Ich beherrsche mich. Bei Selbstbeherrschung fängt jede Herrschaft an. Ich rühre mich nicht. Mag ich ganz und gar in diesen Sonnenflammen aufgehen. So soll mich das Unvermeidliche im Jugendkampf verzehren. Besser so, als feig dem T. zu unterliegen, der mit Schattenhänden auch den sich Verkriechenden faßt. Alles besser, als sich feig dem hämischen Tode zu unterwerfen. Muß einer Reiter sein und einer Roß, so will ich reiten und Sporen nicht schonen.
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