Die Erfindung der Rassen. Guido Barbujani. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Guido Barbujani
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783964281043
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mehrere Adams gegeben, doch das führte nicht sehr weit und brachte sie in Konflikt mit strengeren Auslegungen der Bibel. Aber auch die Anhänger der alternativen Hypothese, des Monogenismus, hatten eine harte Nuss zu knacken: Irgendwie mussten sie erklären, wie es gekommen war, dass von denselben Stammeltern – Adam und Eva – Rassen abstammten, die soviel minderwertiger waren als die weiße. Das Problem wurde gewöhnlich mit der Annahme gelöst, dass die Menschheit degeneriert sei, besonders die Schwarzen, doch auch, in nicht geringem Maße, die Gelben. Blumenbach, auf den wir noch zurückkommen werden, vermutete eine zweiseitige Degeneration, deren Extreme die Afrikaner und die Mongolen darstellten, mit den wundersamerweise nicht betroffenen Europäern in der Mitte. Die Ursache dieser Generation wurde im Klima gesucht, was am Ende auch einen vorsichtigen Optimismus rechtfertigte: Stephen Jay Gould berichtet davon, wie Samuel Stanhope Smith, Präsident dessen, was dermaleinst die Princeton University werden sollte, prophezeite, die Schwarzen würden, dem harten Klima von New Jersey ausgesetzt, früher oder später weiß werden.

      Abbildung 1 Eine Illustration aus J.C. Nott und G.R. Gliddon, Indigenous Races of the Earth, Philadelphia 1868

       Was uns die Fossilien sagen

      Immerhin, wenigstens hierüber bestehen heute keine Zweifel mehr, gibt es auf Terra nur eine einzige Menschenart. Aber das ist nicht immer schon so gewesen. Fossile Funde berichten uns von einer Vielfalt ausgestorbener Menschenarten. Wir sind so daran gewöhnt, zur einzigen Menschenspezies zu gehören, dass wir darüber nicht länger nachdenken – doch dass es so gekommen ist, ist die Ausnahme in der Evolutionsgeschichte, und nicht die Regel. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass vor etwa 50 Millionen Jahren immerhin vier oder fünf unterschiedliche Menschenarten unterwegs waren.

      Doch der Reihe nach: Wir müssen uns stets vor Augen halten, dass der Begriff der Spezies zwangsläufig vage wird, wenn wir von unvollständigen Fossilien sprechen, die zudem über das riesige Gebiet des alten Kontinents, was hier Afrika und Eurasien bedeutet, verstreut sind und einen Zeitraum von einigen Millionen Jahren umfassen. In vielen Fällen stehen den Paläontologen nur winzige Knochenreste, zuweilen nur einzelne Zähne, zur Verfügung. Deshalb sind die Bezeichnungen für diese Funde einigermaßen willkürlich und können sich auch (was in der Tat öfter geschieht) bei der Entdeckung neuer Fossilien ändern. Und nicht immer ist es einfach zu sagen, ob ein neuer Fund eine neue Spezies darstellt oder eher die Variante einer bekannten Art. Einige Bestimmungen sind jedoch weithin akzeptiert; ich habe sie in Tabelle 1 zusammengestellt.

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      Tabelle 1 Die wichtigsten als Fossilien dokumentierten Menschenarten. Weitere Arten werden vermutet, und die Daten sind aufgrund der unklaren Definition der Arten und der Zuordnung einzelner Fossilien zu verschiedenen Arten nicht immer eindeutig. Besonders schwierig ist die Einordnung des Neandertalers: Wenn wir ihn als Homo neanderthalensis bezeichnen, bedeutet das, dass wir ihn als eine eigene Art betrachten; wenn wir ihn aber Homo sapiens neanderthalensis nennen, heißt das, dass wir in ihm eine Unterart des Homo sapiens sehen; in diesem Falle wären wir selbst Homo sapiens sapiens. Ich habe wegen ihrer Kürze die erstere Bezeichnung gewählt, fühle mich aber nicht berufen zu sagen, welche der beiden Thesen richtig ist.

      Die ältesten Fossilien, die wir irgendwie in unsere Genealogie einordnen können und die zu verschiedenen Arten von Australopithecus gehören, darunter die berühmte Lucy, finden sich konzentriert in einem Gürtel, der parallel zur Ostküste Afrikas verläuft, von Äthiopien bis Südafrika. Diese Fossilien gehören zu schwanzlosen Wesen, die sich auf den hinteren Gliedmaßen fortbewegten und deren Gebiss bereits menschliche Eigenschaften aufwies. Sie lebten vor etwa 4 bis 2 Millionen Jahren. Ich erspare meinen Lesern hier die komplizierte und für mich zu keinem Ergebnis führende Diskussion darüber, was ein menschliches Wesen ist und für welchen Zeitpunkt man diesen Begriff zuerst benutzen kann. Da gibt es unterschiedliche Definitionen.

      Je nach Geschmack können wir anfangen, von Menschen zu reden, sobald der Schwanz verschwindet, oder wenn aus den Skeletten ersichtlich ist, dass wir es endgültig aufgegeben haben, auf allen Vieren zu laufen, oder von dem Zeitpunkt an, als sich bei den Skeletten bearbeitete Steine befinden, oder wann wir offenkundig in der Lage waren, das Feuer zu bewahren und zu entzünden. Für andere wiederum ist es die Sprache, die die Grenze zwischen Menschen und Nicht-Menschen bezeichnet: ein ziemlich schlechtes Kriterium, scheint mir, weil wir einfach nicht feststellen können, ob und wie unsere fernen Vorfahren gesprochen haben. Kurz, wir verfügen nicht über die notwendigen Daten, um eine Theorie gegenüber anderen zu bevorzugen.

      Jedenfalls stammen selbst die ältesten Reste, die übereinstimmend der Gattung zu geordnet werden, der wir angehören, der Gattung Homo, sämtlich aus Afrika und lassen sich auf einen Zeitraum von vor etwa 1,5 bis 2 Millionen Jahren datieren. Der älteste Vertreter der Gattung Homo, Homo habilis, ist in Ostafrika nachgewiesen, für die Zeit von kurz vor 2 Millionen Jahren bis etwa 1,5 Millionen Jahren. Wenn wir einem Homo habilis zufällig heute begegneten, fänden wir es in vielfacher Hinsicht schwer, in ihm einen Menschen zu erkennen. Er war etwa 1,30 m groß, wog wahrscheinlich unter 40 Kilo, hatte ein sehr breites Gesicht und eine sehr niedrige Stirn, ein im Verhältnis zu uns viel breiteres Becken und schmale Schultern. Doch Homo habilis machte etwas, das kein Schimpanse kann.

      Schimpansen haben begrenzte geistige Fähigkeiten: Sie sind nicht in der Lage, ihre Aktivitäten so weitgehend zu planen, dass sie Werkzeuge benutzen, um Werkzeuge herzustellen. In Experimenten hat man ihnen eine Banane angeboten, die immer höher über ihnen aufgehängt wurde. Wenn sie die Banane nicht mehr mit Sprüngen erreichen können, auf dem Boden aber ein Stock liegt, nehmen die Schimpansen den Stock und schlagen damit gegen die Banane, bis sie hinunterfällt. Und wenn es keinen Stock gibt, sondern nur einen starken Ast, an dem noch zu viel Laub ist, um ihn so, wie er ist, zu gebrauchen, begreifen die Schimpansen, dass sie den Ast von seinen Zweigen säubern müssen, damit sie ihn benutzen können, um gegen die Banane zu schlagen. Dann wird es aber schwieriger: Im folgenden Experiment sind die Zweige zu groß, als dass sie mit den Händen abgebrochen werden könnten, doch auf dem Boden liegt ein Stein, den die Schimpansen zu Hilfe nehmen könnten. Und siehe da: Das ist für sie zu kompliziert. Der Stein ist gut sichtbar, doch die Affen begreifen nicht, wie sie ihn benutzen könnten. Im besten Falle nehmen sie ihn auf dem Höhepunkt ihrer Frustration, nachdem sie vergeblich versucht haben, die Zweige mit den Händen abzureißen, und werfen damit auf die Banane. Ihr Denken reicht nicht weit genug; offenbar ist es zu kompliziert für sie, ein Werkzeug (einen handhabbaren Stock) mithilfe eines anderen Werkzeugs (dem Stein) herzustellen.

      Homo habilis dagegen stellte steinerne Schneiden her, indem er mit anderen Steinen gegen Steine schlug. Es gibt nur wenige Fossilien von Homo habilis, weshalb wir glauben, dass diese Menschengruppe nicht weit verbreitet war. Vor Kurzem hat man allerdings in Georgien, im Kaukasus, die Reste von ähnlichen Kreaturen gefunden, ebenso von kleinem Körperwuchs und auf vor 1,8 Millionen Jahren datierbar. In Tabelle 1 ist dieser Mensch als Homo georgicus aufgeführt. Also gab es schon in einem sehr frühen Stadium der Menschheitsgeschichte, als wir noch sehr klein waren und unser Gehirn nur ein geringes Volumen besaß, einige, die sich bereits weit von der afrikanischen Urheimat entfernt hatten. Doch es sind erst die Erben von Homo habilis, die als Erste die halbe Welt besiedelt haben.

      Vor etwa 2 Millionen Jahren wird es auf der Erde kühler und trockener. Im Norden Afrikas entstehen Wüsten, und die Wälder der von Homo bewohnten Zonen gehen zurück. In den Regionen am Rand der Wälder wurden die Überreste von Homo ergas- ter gefunden und damit die ältesten Skelette, die denen moderner Menschen gleichen. Das Becken von Homo ergaster ist kleiner geworden, was ihm erlaubt,