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Mitarbeiter, die Informationen über mögliche oder begangene Rechtsverletzungen offenbaren, müssen jedoch darauf vertrauen können, dass sie für die Offenlegung von Rechtsverletzungen im Unternehmen, wenn schon nicht belohnt, dann wenigstens geschützt werden.
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Ein solcher Schutz kann mittels effektiver Hinweisgebersysteme gewährleistet werden. In Schrifttum und den Gesetzgebungsvorschlägen ist mittlerweile geklärt, dass für die Abgabe von Hinweisen und zum Schutz des Hinweisgebers ein internes Hinweisgebersystem installiert werden muss.[2] In Europa wurde kürzlich die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden[3] (kurz „EU-Hinweisgeberrichtlinie“) mit detaillierten Vorgaben zur Ausgestaltung der verpflichtend einzuführenden Hinweisgebersysteme erlassen.[4] Diese Richtlinie ist nun von den nationalen Gesetzgebern bis spätestens 17.12.2021 umzusetzen. Zudem gibt es in Deutschland bereits etliche bereichsspezifische Verpflichtungen zur Einführung von Hinweisgebersystemen.[5]
Anmerkungen
Bzw. „Der König liebt den Verrat, nicht den Verräter“. Der Ausspruch Augustus‚ (63 v. Chr. – 14 n. Chr.; Großneffe Cäsars, von dem er auch adoptiert wurde) betrifft den Thraker Rhoimetalkes, der von Antonius zu ihm übergelaufen war und sich bei Trinkgelagen über diesen ausließ; Plutarch, Moralia (Moralische Schriften und Abhandlungen), Aussprüche der Könige und Feldherren 92, 2. Plutarch, Große Griechen und Römer. Band 1. Eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler. Übersetzung der Biographie des Themistokles von Walter Wuhrmann. Zürich; Stuttgart: Artemis-Verlag, 1954 (Die Bibliothek der Alten Welt : Griechische Reihe), S. 97: „Nun steht aber offenbar Antigonos nicht allein mit seinem Wort, er liebe die Leute, die Verrat üben, die aber Verrat geübt hätten, hasse er, noch Caesar Augustus, der von dem Thraker Rhoimetalkes gesagt hat, er liebe den Verrat, den Verräter aber hasse er, sondern dies ist die allgemeine Stimmung gegen die Lumpen bei denen, die sie brauchen, wie man das Gift und die Galle mancher Tiere braucht. Solange man Nutzen aus ihnen zieht, hat man sie gern, haßt aber ihre Gemeinheit, wenn man sein Ziel erreicht hat.“
Vgl. Egger CCZ 2018, 126, 128; Sonnenberg JuS 2017, 917.
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABlEU Nr. L 305/17 v. 26.11.2019.
Online veröffentlicht unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32019L1937 (zuletzt besucht am 11.3.2021).
Vgl. Näheres dazu unter Rn. 157 ff.
3. Kapitel Pflicht zur Einführung eines Hinweisgebersystems › I. Rechtspflicht zur Implementierung eines Hinweisgebersystems? › 1. Allgemeine Erforderlichkeit von Hinweisgebersystemen
a) Schutzbedürftigkeit der Hinweisgeber
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In der Vergangenheit wurden zahlreiche Rechtsverstöße und Rechtsmissbräuche durch Hinweisgeber aufgedeckt. Internationale Beispiele reichen von der Offenlegung von Staatsdoping über Steuerhinterziehung bis hin zu Fehlverhalten von Regierungen.
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In einigen dieser Fälle bezahlten die Hinweisgeber teuer für die Offenlegung der Verfehlungen ihrer Institutionen. Das bekannteste Beispiel ist wohl Edward Snowden, der US-amerikanische Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter, der die Welt über das Ausmaß der globalen Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten (hauptsächlich jenen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens) informierte.[1] Edward Snowden lebt seit Juni 2013 zunächst in Hong Kong und seit August 2013 im Exil in Russland. Allgemein bekannt ist auch das Beispiel von Chelsea Manning, die 2010 als Mitglied der amerikanischen Streitkräfte vertrauliche Dokumente und Filmaufnahmen an die Plattform Wikileaks weiterleitete.[2] Die Unterlagen enthielten Informationen über den tödlichen Beschuss von Zivilisten und Journalisten durch US-Streitkräfte im Irak und Afghanistan. Manning wurde 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der Großteil der Haftstrafe wurde durch den damaligen US-Präsidenten Barack Obama erlassen.[3] Ein weiteres Beispiel ist Antoine Deltour, ein ehemaliger Angestellter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC in Luxemburg, der 2014 mit Hilfe eines französischen Journalisten die Öffentlichkeit darüber informierte, dass eine Reihe von großen internationalen Konzerne (z.B. Apple, Amazon, eBay, Ikea und rund 295 weitere Unternehmen) ihre europäischen Gewinne in Luxemburg versteuern. Die sehr geringen Steuersätze wurden dort mit den Steuerbehörden ausgehandelt.[4] Antoine Deltour wurde zunächst von luxemburgischen Gerichten zu hohen Geldstrafen verurteilt, in letzter Instanz jedoch nur zu einer symbolischen Geldstrafe von einem Euro wegen „Diebstahls“ von Firmenunterlagen. Das neu in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen soll Verurteilungen wegen Verletzungen von Geschäftsgeheimnissen verhindern.[5]
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Auch das russische Ehepaar Julia und Vitaly Stepanov, die beiden Hinweisgeber, die das russische Staatsdoping enttarnten, zahlten einen hohen Preis für ihr Handeln. Beide mussten Russland verlassen, lebten zunächst in Berlin und zogen schließlich in die USA.[6]
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In Deutschland wurde der Fall des LKW-Fahrers Miroslav Strecker bekannt, der 2007 den sog. Gammelfleisch-Skandal ans Licht brachte. Obwohl Herr Strecker vom damaligen Agrarminister Horst Seehofer mit der „Goldenen Plakette“ für sein Handeln ausgezeichnet wurde, wurde er Opfer diverser Schikanen am Arbeitsplatz, die schließlich zu seiner Kündigung führten.[7]
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Ohne garantierten Schutz der Hinweisgeber ist es zweifelhaft, ob das Gewicht der moralischen Pflicht, Rechtsverletzungen zu melden, die Angst vor drohenden (un-)mittelbaren Repressalien überwiegt und Mitarbeiter in der Praxis wirklich dazu bereit sind, aus dem Schutz der grauen Masse hervorzutreten und sich für die Gerechtigkeit und den Schutz der Allgemeinheit einzusetzen.
b) Schutzbedürftigkeit der Interessen der Allgemeinheit
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Immer wieder gibt es Fälle, in denen Hinweisen nicht nachgegangen wird. Dies hat zum Teil verheerende Folgen. Beispielhaft sei genannt die Tötung von 85 Patientinnen und Patienten zwischen 2000 und 2005 durch den ehemaligen Krankenpfleger Nils Högel. Bereits im Oktober 2001 wurde die Geschäftsleitung des Klinikums Oldenburg durch Pflegekräfte auf die überdurchschnittlich hohe Zahl an Reanimationen und Todesfällen während Nils Högels Dienstzeiten aufmerksam gemacht.[8] Aus Angst um den Ruf des Klinikums entschied