D › Diskriminierungsverbot, allgemeines (Jan Martin Hoffmann)
Diskriminierungsverbot, allgemeines (Jan Martin Hoffmann)
I.Rechtsnatur582 – 584
II.Subsidiarität des Art. 18 UAbs. 1 AEUV585, 586
III.Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit587 – 591
1.Offene und versteckte Diskriminierungen589
2.„Inländerdiskriminierungen“590, 591
IV.Anwendungsbereich der Verträge592 – 594
V.Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen595
VI.Verpflichtete und Berechtigte596, 597
VII.Sekundärrechtliche Regelungen zum Diskriminierungsverbot, Art. 18 UAbs. 2 AEUV598 – 600
Lit.:
A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995; S. Huster, Gleichheit im Mehrebenensystem: Die Gleichheitsrechte der Europäischen Union in systematischer und kompetenzrechtlicher Hinsicht, EuR 45 (2010), 325; U. Kischel, Zur Dogmatik des Gleichheitssatzes in der Europäischen Union, EuGRZ 24 (1997), 1; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003; M. Schweitzer, Art. 12 EGV: auf dem Weg zum „allgemeinen“ Gleichheitssatz?, FS für W. Rudolf, 2001, 189.
581
Das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 UAbs. 1 AEUV ist Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes (→ Grundrechte: Gleichheitsrechte). Sein Regelungsgehalt steht im Zentrum dessen, was die EU als Rechtsgemeinschaft ausmacht, weil es Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt und damit die einheitliche Anwendung allen (von der EU beeinflussten) Rechts gegenüber allen Unionsbürgern sicherstellen soll. Aufgrund seiner besonderen Bedeutung gehört es seit der Gründung der EWG zum Primärrechtsbestand, damals niedergelegt in Art. 7 EWGV. Da es trotz dieses umfassenden Ansatzes tatbestandlich an einen bestimmten Differenzierungsgrund – eben die Staatsangehörigkeit – anknüpft, ist es gleichwohl als spezieller Gleichheitssatz zu klassifizieren.
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I. Rechtsnatur
582
Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus Art. 18 UAbs. 1 AEUV ist unmittelbar wirksam, weshalb es der Einzelne u.a. vor Gericht geltend machen kann (EuGH, Urt. v. 12.5.1998, C-85/96, Rn. 63). Es hat materiell grundrechtlichen oder zumindest grundrechtsähnlichen Charakter, was durch seine nahezu wortgleiche Wiederholung in Art. 21 Abs. 2 GRC unterstrichen wird.
583
Eine hierarchische Aufwertung ist mit seiner Verankerung auch in der Grundrechtecharta nicht verknüpft, stehen die Verträge und die Charta doch ausweislich Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV im gleichen Rang. Eine unterschiedliche Reichweite der Bindung folgt daraus ebenfalls nicht: Zwar bindet die Grundrechtecharta die Mitgliedstaaten gem. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“, während Art. 18 UAbs. 1 AEUV ausweislich seines Tatbestands im Anwendungsbereich der Verträge gilt. In der Rechtsprechung des EuGH zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte wird der Begriff „Durchführung“ allerdings derart weit ausgelegt (vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.2013, C-617/10 – Åkerberg Fransson –, Rn. 17 ff.), dass hinsichtlich der Reichweite ein Unterschied zum Anwendungsbereich des Unionsrechts logisch nicht ausgeschlossen werden kann, im Einzelfall allerdings auch nicht zu erwarten ist.
584
Aufgrund seiner Stellung im Primärrecht genießt Art. 18 UAbs. 1 AEUV Vorrang vor dem Sekundärrecht, das entweder im Lichte des Diskriminierungsverbots auszulegen ist oder im Falle des Verstoßes nichtig ist. Da es sich um einen allgemeinen Grundsatz handelt, dient Art. 18 UAbs. 1 AEUV auch als Auslegungsleitlinie für speziellere Verbote der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.
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II. Subsidiarität des Art. 18 UAbs. 1 AEUV
585
Art. 18 UAbs. 1 AEUV greift nur „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge“ ein. Damit ist gemeint, dass er als allgemeiner Grundsatz hinter spezielleren Bestimmungen zurücktritt; es besteht ein Vorbehalt zugunsten einschlägiger leges speciales. Immer dann, wenn ein anderer Vertragsartikel für einen konkreten Sektor Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt, ist für Art. 18 UAbs. 1 AEUV also kein Raum mehr; jedenfalls der EuGH verfolgt diese Linie in der Regel (vgl. EuGH, Urt. v. 30.5.1989, C-305/87, Rn. 12 f.; anders aber bspw. EuGH, Urt. v. 16.1.2003, C-388/01, Rn. 12 ff. m.w.N.). Insbesondere die → Grundfreiheiten in Art. 45, 49, 56 AEUV enthalten derartige spezifische Diskriminierungsverbote neben ihrer Gewährleistung eines allgemeinen Beschränkungsverbots. Sachverhalte mit Ungleichbehandlungen, die tatbestandlich unter die genannten Grundfreiheiten fallen, werden also nicht von Art. 18 UAbs. 1 AEUV erfasst. Dies hat insbesondere im Hinblick auf die jeweiligen Bereichsausnahmen, die der Interessenlage in der betreffenden spezifisch geregelten Materie Rechnung tragen sollen (z.B. Art. 45 Abs. 4 AEUV), Bedeutung. Auch das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV enthält eine speziellere Regelung.
586
Die