Fall 4 Nahversorgung › Lösung
Lösung
Aufgabe 1 Aufforderung zur Abgabe einer Gewerbeanzeige
1. Anzeigepflicht des Gewerbetreibenden
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Die Pflicht zur Abgabe einer Gewerbeanzeige[1] setzt voraus, dass derjenige, der sie abgeben soll, (selbst) ein Gewerbe betreibt. Gewerbetreibender kann auch eine juristische Person sein, im vorliegenden Fall also die S GmbH. Gewerbe ist jede erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete, selbstständige und auf Dauer angelegte Tätigkeit, die nicht Urproduktion, freier Beruf oder die Verwaltung eigenen Vermögens ist[2]. Ohne weiteres handelt es sich beim Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes um eine erlaubte und auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit, es stellt sich jedoch die Frage, ob dieses von der S betrieben wird oder nicht doch die jeweiligen Inhaber der einzelnen Läden selbständige Gewerbetreibende sind, so dass sie zur Anzeige nach § 14 GewO verpflichtet wären.
a) Gewerbetreibender hinsichtlich der SOONAHE-Läden
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Selbstständiger Gewerbetreibender ist derjenige, der weder Stellvertreter für Rechnung und im Namen einer anderen Person, noch als unselbstständiger Arbeitnehmer tätig ist. Jenseits der schwierigen und hier nicht einschlägigen Abgrenzung von der Scheinselbstständigkeit ist Selbstständigkeit dadurch geprägt, dass der Gewerbetreibende unternehmerische Chancen wahrnimmt und zugleich das Risiko trägt, indem er Warensortiment und Preise bestimmt, Öffnungszeiten festlegt und Arbeitnehmer einstellt. Demnach ist etwa der klassische Pächter selbst Gewerbetreibender[3]. Er nimmt die unternehmerischen Chancen wahr und trägt das unternehmerische Risiko, indem er das Warensortiment und damit dessen Qualität bestimmt, die Preise kalkuliert, die Öffnungszeiten festlegt, Personal nach eigenen Bedürfnissen einstellt usw. Dem entsprechen vorliegend die Tätigkeitsfelder der einzelnen Ladeninhaber. Dies spricht im vorliegenden Fall dafür, die S GmbH nicht als Gewerbetreibenden anzusehen, sondern als eine Art „Franchisegeber“.
Anders wäre zu entscheiden, wenn der „Geschäftsführer“ in eine fremde Arbeitsorganisation, zB in einen „Kettenladen“ durch einen Agenturvertrag eingegliedert ist, ihm das Geschäftslokal verpachtet wird, Richtlinien für den Vertrieb, eine Festlegung der Ladenöffnungszeiten und des Urlaubs sowie eine Eingliederung in die Absatzorganisation des Vertragspartners bezüglich Buchführung, Warenvertriebssystem und Preisgestaltung vorgegeben werden. An derartigen konkreten Vorgaben fehlt es aber im vorliegenden Fall.
b) Gewerbetreibender hinsichtlich des Lieferservices
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Auch bezüglich des Lieferservices werden die Geschäfte auf Rechnung und wohl auch im Namen der einzelnen Unternehmen abgeschlossen. Hier ist die S daher erst recht nicht die Gewerbetreibende, sondern allenfalls die Stellvertreterin oder Botin im Zusammenhang mit den abgegebenen Erläuterungen. Allerdings erschließt sich dieses Vertretungsverhältnis den Nutzern der Website bzw der App nicht ohne weiteres. Diese machen sich jedoch wahrscheinlich auch wenig Gedanken zum Geschäftspartner („Geschäft für den es angeht“), so dass es keinen Anlass gibt, auf einen möglichen Rechtsschein einzugehen bzw. gewerbeaufsichtliche Maßnahmen gegenüber S in Betracht zu ziehen. Es werden insbes nicht die wahren Verhältnisse verschleiert[4].
2. Ergebnis
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Damit betreibt die S GmbH nicht die entsprechenden Gewerbe und ist daher auch nicht zur Gewerbeanzeige verpflichtet. Die von ihr angebotenen Beratungs- und Serviceleistungen sind von der bereits bestehenden Gewerbeanzeige gedeckt. S ist damit nicht zur Abgabe der angeforderten Gewerbeanzeige verpflichtet.
Exkurs:
Gefragt war nur nach der Verpflichtung zur Abgabe einer Gewerbeanzeige. In der gewerberechtlichen Praxis erfolgt die Aufforderung zur Abgabe der Gewerbeanzeige durch Verwaltungsakt, der dann auch mittels Zwangsgeldern vollstreckt wird, die neben eventuell verhängte Bußgelder treten[5]. Die Nichtanzeige begründet im Übrigen nicht die Unzuverlässigkeit, so dass eine Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO nicht in Betracht käme[6].
Aufgabe 2: Die Unterlassung des Betriebs der Rollenden Läden
1. Die gewählte Rechtsgrundlage
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Die Behörde hat den Betrieb der Rollenden Läden untersagt und sich daher für ein Einschreiten nach § 59 iVm § 57 GewO entschieden. Dies setzt allerdings voraus, dass das Gewerbe ohne die erforderliche Reisegewerbekarte betrieben wurde.
a) Genehmigungsfiktion (§ 6a GewO)
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Zwar wurde keine Reisegewerbekarte ausdrücklich erteilt, es kommt aber eine Genehmigungsfiktion nach § 6a GewO in Betracht[7]: S hatte den entsprechenden Antrag bei der einheitlichen Stelle gestellt. Dies genügt, da über diese gem. § 6b GewO sämtliche Verfahren nach der GewO abgewickelt werden können. Da die Unterlagen vollständig waren und die Frist abgelaufen ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6a GewO vor. Die Genehmigungsfiktion entfaltet die gleiche Wirkung wie eine Genehmigung. S ist also so zu behandeln, als sei sie im Besitz einer Reisegewerbekarte. Darauf, dass die fingierte Reisegewerbekarte rechtswidrig ist, da überhaupt kein erlaubnispflichtiges Reisegewerbe vorliegt, kommt es nicht an, § 43 Abs. 2 VwVfG.
b) Irrelevanz der Wahl der falschen Rechtsgrundlage bei vergleichbaren Ermessenserwägungen
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Die Behörde hat also mit § 59 GewO die falsche Rechtsgrundlage gewählt. Dies macht den Verwaltungsakt allerdings nicht ohne weiteres rechtswidrig[8]. Vielmehr kommt es im Ergebnis darauf an, ob die Behörde zutreffende Ermessenserwägungen angestellt hat. Um dies zu beurteilen, ist zunächst zu prüfen, wie die Behörde hätte vorgehen müssen: Wenn eine Reisegewerbekarte vorliegt, ist diese zunächst zurückzunehmen und erst dann gegen das Gewerbe einzuschreiten. Da die „fingierte“ Genehmigung genauso zu behandeln ist wie eine behördlich erteilte, gilt hier nichts Anderes. Allerdings wird gerade bei der fingierten Genehmigung eine konkludente Aufhebung für möglich gehalten. Jedenfalls dann, wenn die Behörde davon ausgeht, dass eine Genehmigung überhaupt nicht vorlag, sollte man die konkludente Aufhebung nicht am fehlenden Aufhebungswillen scheitern lassen[9].
Die getroffene Maßnahme ist jedoch nur dann rechtswidrig, wenn die tatsächlich angestellten Ermessenserwägungen unzutreffend gewesen wären. Auch eine erteilte Genehmigung kann unter den gleichen Voraussetzungen zurückgenommen werden, da § 59 ja gerade auf den Versagungsgrund des § 57 GewO verweist[10]. Weitere Ermessenserwägungen wären nur anzustellen, wenn bei der Rücknahme auch Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Rolle spielen würden,