Die Kommission kann außerdem durch allgemeine Harmonisierungsempfehlungen auf der Grundlage von Art. 19 RahmenRL auf eine Vereinheitlichung der Regulierungspraxis in den verschiedenen Mitgliedstaaten hinwirken. Diese sind als Handlungsform rechtlich unverbindlich. Nach Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 RahmenRL ist ihnen „weitestgehend Rechnung [zu] tragen“ und der EuGH zieht sie regelmäßig zur Auslegung der Richtlinien heran[654]. Beispiele sind die NGA-Empfehlung[655] und die Empfehlung zu den Terminierungsentgelten[656]. In eng begrenzten und als besonders harmonisierungsbedürftig angesehenen Bereichen wie der Nummerierung (vgl Art. 10 Abs. 4 RahmenRL) kommen auch Harmonisierungsentscheidungen (Beschlüsse iSv Art. 288 Abs. 4 AEUV) in Betracht[657].
a) Die EZB als Bankaufsichtsbehörde
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Die Übertragung zentraler Aufsichtsaufgaben auf die EZB im Rahmen der Bankenunion[658] stellt den bisherigen Höhepunkt einer Aufgabenverlagerung auf die europäische Ebene dar. Art und Weise der Zusammenarbeit, Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilungen ergeben sich für diese Mechanismen grundsätzlich aus einem Zusammenspiel der Art. 4 und 6 der SSM-VO[659], die durch eine RahmenVO der EZB auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 7 SSM-VO ergänzt wird[660]. Diese komplizierte Regelung kann nicht verhehlen, dass sie das Ergebnis eines politischen Kompromisses ist. Art. 4 SSM-VO begründet eine umfassende Zuständigkeit der EZB für die Beaufsichtigung „sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute“. Hieraus hat der EuGH abgeleitet, dass den nationalen Behörden keine originären Kompetenzen verblieben sind[661]. Diese Zuständigkeit beschränkt sich auf die im Einzelnen aufgezählten Aufgaben, die jedoch alle wesentlichen Bereiche erfassen[662]. Im Ergebnis lassen sich drei Kooperationsformen unterscheiden: die direkte Aufsicht, die indirekte Aufsicht sowie die sog. „gemeinsamen Verfahren“. Letztere betreffen die Marktzugangskontrolle, dh alle Zulassungs- und Inhaberkontrollverfahren (einschließlich des Verfahrens des Entzugs der Bankerlaubnis[663]) unabhängig von der Größe des Instituts (vgl Art. 4 lit a und c iVm Titel V SSM-Rahmen-VO).
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Dieses gemeinsame Verfahren illustriert Fall 13a (Rn 171): Nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) SSM-VO ist ua die Zulassung eines Kreditinstituts Aufgabe der EZB; allerdings bleibt die nationale Behörde nach Maßgabe des Art. 14 SSM-VO in dieses „gemeinsame Verfahren“ einbezogen. Danach wird der Antrag auf Zulassung bei der BaFin gestellt. Diese prüft ihn inhaltlich. Erfüllt der Antragsteller „alle Zulassungsbedingungen des einschlägigen nationalen Rechts“, übermittelt sie der EZB einen Beschlussentwurf. Die EZB wiederum erteilt als „zweite Stufe“ des Verfahrens durch Beschluss die Zulassung[664]. Auch dieser wird dem Antragsteller von der nationalen Behörde mitgeteilt, Art. 14 Abs. 4 SSM-VO. Da es sich gleichwohl um einen europäischen Beschluss handelt, würde Rechtsschutz vor den europäischen Gerichten gewährt werden; allerdings hat U als begünstigtes Unternehmen grundsätzlich keinen Anlass zur Klage[665]. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die europäischen Gerichte eine Konkurrentenklage zulassen[666]. Im Ergebnis wirft diese Form des „Entscheidungsverbunds“ gleichwohl erhebliche und erst noch zu klärende Rechtsschutzprobleme auf. Dies gilt insbesondere dann, wenn die BaFin die Zulassungsvoraussetzungen als nicht gegeben ansieht und daher – anders als beim Inhaberkontrollverfahren nach Art. 15 SSM-VO – der EZB keinen Beschlussentwurf übermittelt, sondern selbst den Antrag nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 SSM-VO ablehnt. In Fall 13b (Rn 171) stellt sich daher die Frage, was U in einem solchen Fall unternehmen kann. Es handelt sich bei der Ablehnungsentscheidung wohl um einen Verwaltungsakt der BaFin, gegen den nach allgemeinen Regeln Rechtsschutz vor den deutschen Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Mit einer erfolgreichen Verpflichtungs- oder Leistungsklage auf Vorlage an die EZB[667] ist allerdings nicht viel gewonnen, da die EZB gleichwohl die Bankerlaubnis verweigern könnte. U müsste also zunächst vor den nationalen Gerichten die BaFin auf Erstellung eines Beschlussentwurfes verklagen und danach ggf vor dem EuG gegen den anschließenden Ablehnungsbescheid der EZB vorgehen. Schon damit drohte eine erhebliche, mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbare Verfahrensverzögerung. Schon im Ausgangsverfahren müsste das nationale Gericht strittige Fragen der Auslegung des richtliniengeprägten Bankaufsichtsrechts in einem Vorabentscheidungsverfahren klären lassen. Problematisch wird diese Konstruktion aber vor allem dann, wenn das nationale Gericht die Entscheidung der BaFin bestätigt; dagegen stünde nur die Urteilsverfassungsbeschwerde offen, mit der das Unterlassen einer Vorlage geltend gemacht werden könnte. Der Grundsatz der Rechtsschutzeffektivität verlangt deswegen auch in diesem Fall die Rechtsschutzkonzentration in einem Verfahren[668]. Dies kann nur das Verfahren vor dem EuG sein, da nationale Gerichte Unionsorgane ja nicht verpflichten können[669]. Da es keine europäische „Verpflichtungsklage“ gibt[670] und die EZB insoweit auch keine Ablehnungsentscheidung getroffen hätte, kommt nur eine Untätigkeitsklage in Betracht, mit der festgestellt wird, dass die EZB verpflichtet war, den Beschluss zu erlassen[671]. Jedenfalls steht die ablehnende Entscheidung der BaFin einer solchen Entscheidung nicht entgegen[672].
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Bei der (laufenden) Überwachung der Geschäftstätigkeit wird zwischen direkter und indirekter Aufsicht unterschieden. Für die direkte Aufsicht enthalten die Art. 9 ff der SSM-VO umfangreiche Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse. Die EZB soll aber nur die „bedeutenden“ Institute „direkt“ beaufsichtigen[673], während die „weniger bedeutenden“ lediglich ihrer „indirekten Aufsicht“ unterliegen, Art. 6 Abs. 5 SSM-VO (s. Rn 185). Für die Einstufung eines Instituts als bedeutend liefert Art. 6 Abs. 4 SSM-VO eine Kombination materieller Kriterien. Entscheidend für die Frage, wer die Aufsicht im Einzelfall übernimmt, ist jedoch der „Aufsichtsbeschluss“ der EZB nach Teil IV der SSM-Rahmen-VO, in dem die EZB das Institut als bedeutend einstuft. Sie kann nach Art. 6 Abs. 5 (b) SSM-VO auch bei weniger bedeutsamen Instituten die Aufsicht an sich ziehen. Insbesondere in einem solchen Fall stellt sich die Frage des Rechtsschutzes des betroffenen Instituts.
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In Fall 13d (Rn 171) hat die EZB einen solchen Aufsichtsbeschluss erlassen, gegen den die Nichtigkeitsklage vor dem EuG (Art. 263 Abs. 1, 4 AEUV iVm Art. 256 AEUV) zulässig ist; U ist als Adressat der Regelung klagebefugt. U rügt, dass die Einstufung als bedeutend unabhängig von der Prüfung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls erfolgt sei und auf einer fehlerhaften Auslegung des Art. 6 Abs. 4 SSM-VO sowie des ihn ausfüllenden Art. 70 Abs. 1 SSM-RahmenVO beruhe. Da sich die EZB an den Kriterien der SSM-VO für die Einstufung als bedeutend orientierte, müssten die – eng zu verstehenden – Ausnahmekriterien vorliegen[674]. Da für das EU-Prozessrecht nicht der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, entschied das EuG insoweit nach Beweislastgrundsätzen. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte den umgekehrten Fall behandeln, dass ein Institut abweichend vom Regelfall als bedeutend eingestuft wird. In Fall 13e (Rn 171) hat die EZB nach Art. 12 SSM-VO die Befugnis zu einer Überprüfung vor Ort. Sie wird allerdings auch bei der direkten Aufsicht von den nationalen Behörden „unterstützt“, Art. 6 Abs. 3 SSM-VO[675]. Fraglich ist jedoch, ob die Ausführung einer Maßnahme gänzlich den nationalen Behörden übertragen werden kann. Dies erscheint insofern problematisch, als Art. 6 Abs. 3 SSM-VO nur eine Unterstützung „gegebenenfalls und unbeschadet der Verantwortung und Rechenschaftspflicht der EZB für die ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben“ zulässt. Daher ist in einem solchen Fall die BaFin nicht zu verbindlichen Maßnahmen im Außenverhältnis befugt[676]. Aus unionsrechtlicher Perspektive wäre eine solche Übertragung überdies wohl schwerlich mit den Meroni-Grundsätzen vereinbar[677].
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