Das „American Indian Journal“ schrieb über diese Praxis: „Sie nahmen unsere Vergangenheit mit dem Schwert und unser Land mit der Feder. Jetzt versuchen sie, unsere Zukunft mit dem Skalpell zu nehmen.“35
Zu der bisher beschrieben Genozid- und Ethnozidpraxis kam seit Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts noch der Ökozid aufgrund der Zerstörung intakter Ökosysteme hinzu. Wie in Australien, Nigeria und einigen GUS-Staaten beginnen Anfang und Ende des nuklearen Kreislaufs, Uranabbau und Endlagerung, auch in den USA und Kanada vor allem in den Gebieten der indigenen Völker. Die Folgen sind Verstrahlung von Luft und Wasser, Vergiftung der Nahrungskette, Kontaminierung von Minenarbeitern aufgrund gesundheits- und lebensgefährdender Arbeitsbedingungen beim Uranabbau, toxische Umweltbelastung durch Chemikalien als Folge der Uranverarbeitung.
In den Uranabbauregionen Arizonas, Süd-Dakotas (beide USA) und Saskatchewans (Kanada) leben Teile der Hopi, Navajo (Dineh), Lakota/Dakota (Sioux), Cree, Chippewa und Dene in partiell radioaktiv verseuchten Reservationsgebieten. International tätige Konzerne hinterlassen in den genannten Regionen radioaktiv strahlende Abfälle, offene Probebohrlöcher und stillgelegte oder noch genutzte Abbaugebiete, die Wasser und Luft, Pflanzen, Wild und Vieh vergiften und Leben und Gesundheit der dort lebenden Menschen bedrohen.
So gab es 1986 in der Navajo-Reservation über 650 aufgelassene Bohrlöcher, Minen und Stollen und sechs stillgelegte Uranmühlen. Vor allem männliche Reservationsbewohner sahen in der Minenarbeit eine Chance, der vorherrschenden Armut zu entkommen. Über mögliche Gefahren erfuhren die indianischen Minenarbeiter nichts. 90 Cent Stundenlohn als Anfangseinkommen boten die Uran-Minen ihren Minenarbeitern. Nach den Sprengungen unter Tage durften diese dann in die unbelüfteten staubigen Stollen, um dort das Uranerz abzubauen. Ein Großteil des Uranerz-Gesteins blieb nach dessen Zerkleinerung durch die Gesteinsmühlen in von Wind und Wasser ungeschützten Tailings liegen und kontaminiert somit seit über 50 Jahren die gesamte Umgebung. In einigen Regionen wurde hieraus sogar Baumaterial für den Haus- und Straßenbau hergestellt.
Längst sind diese Siedlungen verlassen und gleichen abgeriegelten Geisterstädten. Erst nachdem die Bewohner dieser Wohnsiedlungen, meist Native Americans oder Angehörige der verarmten weißen Arbeiterklasse, über unerklärliche Symptome klagten und viele Bewohner schwer erkrankten, wurde dieser Skandal aufgedeckt.
Weitere seit langem bekannte und nachweisbare Folgen der Uranwirtschaft für Native Americans:
– in der Pine Ridge Reservation/Süd-Dakota liegen die gemessenen Radioaktivitätswerte des Grund- und Oberflächenwassers an mehreren Stellen um ein Mehrfaches über dem erlaubten Grenzwert;
– auffällig hohe Zahlen von Fehl- und Totgeburten sowie Missbildungen in Süd-Dakota und Nord-Saskatchewan.
– das Jobwunder endete für viele Navajo- und Dene-Uranminenarbeiter aufgrund fehlender bzw. unzureichender Arbeitsschutzmaßnahmen und mangels Risikoaufklärung tödlich;
– Western-Schoshone-Indianer leben in den kontaminierten Atomtestgebieten Nevadas, zudem drohte ihnen bis zum Amtsantritt von US-Präsident B. Obamas ein gigantisches Endlager hochradioaktiver Abfälle.
Die Gesundheitsstudie der Women of All Red Nations (WARN) aus dem Jahr 1980 beschreibt ausführlich die hohe Rate an Knochenkrebserkrankungen, problematischen Schwangerschaften oder genetischen Defekten als mögliche Folgen der nuklearen Kontaminierung des Trinkwassers in Teilen der Pine Ridge Reservation aufgrund von Uranvorkommen, -abbau und -verarbeitung sowie Einsatz uranhaltiger Munition in militärischen Versuchsgeländen (bombing ranges) in den Badlands. Und für die Navajo gilt fast vierzig Jahre später, also Ende der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, dass Lungen- und Knochenkrebs sowie Nierenerkrankungen häufiger vorkommen als in der Gesamtbevölkerung, denn nicht nur die Minenarbeiter sondern auch deren Familien waren und sind radioaktivem Staub, Trinkwasser und kontaminierten Lebensmitteln ausgesetzt. (D.Hahn, 2017).
Und wenn dieses Kapitel überschrieben ist mit „Indian Wars Aren‘t over“, so sollten abschließend noch zwei weitere Aspekte erwähnt werden.
Erstens ist hier auf das Schicksal zahlreicher indigener Mädchen und Frauen hinzuweisen, die immer wieder Opfer von Entführungs-, Sexual- und Tötungsdelikten werden, die eben nicht von Familien- oder Stammesangehörigen begangen wurden. Anlässlich der Ermordung der 22-jährigen, im achten Monat schwangeren Lakota Savannah LaFontaine-Greywind schrieb Leonard Peltier: „Unsere indigenen Frauen sind zehnmal häufiger Opfer von Gewalttaten als jede andere Gruppe von Frauen. Und dies ist Gewalt von Non – Natives, das ist nun mal statistisch erwiesen. Unsere Frauen werden mehr als andere Frauen entführt, ermordet oder werden vermisst.“ (Statement from Leonard Peltier regarding Murdered Native Women, 30. August 2017).
Zweitens bezieht sich dies auch auf die Reaktionen des weißen Amerika auf die erwachende Gegenwehr vieler Indianer seit den 60iger Jahren gegen weitere Landvertreibung und Uranabbau, gegen die Zerstörung intakter Landschaften und spiritueller Orte, gegen rassistische Polizeiübergriffe und Justiz sowie die anhaltenden Versuche, die Forderung nach Selbstbestimmung und Einhaltung der Verträge aus dem 19. Jahrhundert zu unterdrücken. Die Bedeutung von Land ist dabei nach wie vor wichtiges Element indianischer Spiritualität und Philosophie. „Mother Earth“ oder „Pacha Mama“ ist untrennbar mit dem Leben und Denken traditioneller Indianer und Indios verbunden. Dabei ist der Mensch ein Bestandteil eines großen Kreislaufs und somit lediglich ein Element der Dinge und (Lebe)Wesen eines Territoriums, die ihn umgeben. Aktuell hat dies in Mexiko Subcommandante Marcos beschrieben, in dem er ausführte:
Ein indianisches Volk ohne eigenes Territorium ist kein indianisches Volk mehr. Die Sprache und diese Dinge zerfallen allmählich, aber wenn das Land zerstört wird, dann haben wir keine Wurzeln mehr. Es ist so, als würden sie unsere ganze Familie töten … Es ist, als würden sie dir die Seele herausreißen.36
Oder wie es die Anishinabe-Aktivistin Winona LaDuke formulierte: „Wenn ein Volk keine Kontrolle über sein Land hat, hat es auch keine Kontrolle über sein Schicksal.“
Es war der Black Power- und Black Panther-Aktivist und -Theoretiker Kwame Turé alias Stokely Carmichael, der dies in seiner Konsequenz so ausdrückte: „Wenn von Befreiung gesprochen wird, von wahrer Befreiung, dann ist vom Land die Rede. Und wenn vom Land in dieser Hemisphäre die Rede ist, dann ist auch von den amerikanischen Indianern die Rede.“37 Am Ende des vorliegenden Buches wird dieser Aspekt indianischen Widerstands anhand anhaltender Konflikte und Kämpfe um die Zerstörung und profitorientierte Nutzung von Land nochmals deutlich. Und auch hier wird sich wieder zeigen, dass vor allem Indigene ins Fadenkreuz beauftragter Killer geraten, sobald sie sich für Umweltschutz und Menschenrechte engagieren (Kap. 8).
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2 Zum Problem der Kolonialisierung indianischen Widerstands z. B. durch die Kategorien materialistischen Denkens s. a. Kap. 3: Von Red Power zu AIM …
3 hierzu ausführlicher Kap. 4 ff.
4 Charles C. Mann: Amerika vor Kolumbus, S. 38 f, 2016
5 unterschiedliche Quellen benennen 9.629.091 km2 bzw. 9.809.000 km2
6 E. Frey: Schwarzbuch USA, 2008, S. 25
7 L. L. Mathias: Die Kehrseite der USA, 1971, S. 287
8 Claus Biegert: 200 Jahre ohne Verfassung. 1976. S. 21
9 V. Hopkins: USA Der Südwesten, 1998, S. 34
10 Claus Biegert: a.a.O., S. 19
11 R. Winter: Ami Go Home. 1989. S. 138
12 ebd., S. 140
13 zitiert nach Charles C. Mann,