Winter lächelte leise. »Zum Beispiel, was Sie von der Tatsache halten, dass Ihr Kollege Selbstmord begangen und damit beinahe auch Sie mit umgebracht hätte!«
Protnik zog scharf die Luft ein. Horst glaubte, nicht richtig gehört zu haben! »Was haben Sie da gesagt? Selbstmord? Wie kommen Sie denn auf den Blödsinn?!«, polterte er los.
Der Journalist blieb gelassen. »Na ja, wo doch Ihre Kollegen da ganz eindeutig zu dem Schluss gekommen sind …«
Horst schnaubte wütend. »Die Kollegen, dass ich nicht lache! Die wollen doch nur so schnell wie möglich den Deckel auf die Kiste machen und Ruhe im Karton haben!«
Forschend beugte sich Winter herunter. »Und Sie nicht?«
Bevor Horst antworten konnte, erhielt er einen neuerlichen Hieb in die Seite. Protnik ergriff nun die Initiative. »Nein, wir nicht! Aber jetzt ist wirklich erst mal genug, Sie sehen doch, dass mein Kollege absolut noch nicht die Kraft hat, in ein Kreuzverhör genommen zu werden! Schluss für heute!« Entschlossen drehte er den Zündschlüssel und startete den Wagen. Horst atmete tief durch. Protnik hatte recht, er fühlte sich mit einem Mal wieder hundeelend und schlapp wie ein Waschlappen an der Wäscheleine. Es reichte für heute wirklich!
Winter sah seine Felle ganz offensichtlich davonschwimmen. Er streckte den linken Arm durch das geöffnete Fenster auf der Beifahrertür und spreizte die Finger weit ab. »Einen Moment noch – bitte!«
Protnik musterte ihn finster, löste aber die Handbremse nicht. »Also – was ist noch?«
»Ich habe Thomas Grundler ganz gut gekannt. Wir haben sogar im einen oder anderen Fall bestens zusammengearbeitet und ein bisschen Ping-Pong gespielt. Er hat mir in Fällen, in denen er intern nicht weitergekommen ist, die eine oder andere Sache gesteckt, und dann, wenn ich sie öffentlich gemacht habe, dann war der Teufel los und Thomas konnte zuschlagen. Sie haben ihn zwar immer wieder in Verdacht gehabt, dass er die undichte Stelle war, aber beweisen haben sie es ihm nie können!« Die Worte sprudelten nur so aus dem Mund des Journalisten heraus.
Horst versetzte Protnik einen Stoß mit dem Ellbogen und deutete anschließend auf den Anlasser. Protnik verstand sofort, machte den Motor wieder aus.
Winter war noch nicht fertig. »Ja, und ich weiß ganz genau, dass er diesesmal wieder an so einer Sache dran war, an einer riesigen Umweltsauerei! Doch, das stimmt, dafür lege ich meine Hand ins Feuer«, schob er nach, als er die überraschten Blicke der beiden Kollegen bemerkte.
»Wir waren wirklich gute Bekannte und haben einander vertraut, das können Sie mir glauben. Er hat mir sogar gesagt, dass er diese Woche an der »Jura« tauchen würde, weil ein guter Freund von ihm ein paar Tage Urlaub hier am Bodensee machen würde. Das alles habe ich gewusst. Ich habe auch mitbekommen, dass ihn diese neue Geschichte furchtbar geschlaucht hat! Aber jedes Mal, wenn ich versucht habe, etwas aus ihm herauszukriegen, hat er zugemacht und gemeint, diesmal müsse er aufpassen wie ein Luchs. Und er wolle mich nicht in ein Ding hineinziehen, das plötzlich hochgehen könne wie eine Rakete!
Nur – «, sorgenvoll hob er die Augenbrauen, »was es war, das hat er mir nicht verraten. Ich weiß nur so viel, dass es um irgendwelche Schweinereien in verschiedenen Baggerseen ging. Und dass da die ganze Prominenz die Finger mit drin hatte. Vermutlich ist da auch die Kiesmafia mit im Spiel und die ist ja bekanntermaßen brandgefährlich und verfügt über die besten Verbindungen in der Kreis- und Landespolitik. Er hat nicht mal mehr in der Polizeidirektion irgend jemandem getraut. Und eben deshalb«, er hieb mit der flachen Hand auf den Fensterrahmen, »deshalb glaube ich nie und nimmer, dass Ihr Kollege Thomas Grundler Selbstmord begangen hat!« Damit richtete er sich wieder auf und starrte in die Ferne.
Überrascht sahen sich Protnik und Horst in die Augen. Das hätten sie hinter Alex Winter nicht vermutet! Es war offensichtlich, dass der nicht Versteck mit ihnen spielte. Auch er war so, wie es aussah, an einer sauberen Aufklärung des mysteriösen Unfalls interessiert und würde mit Sicherheit auch auf eigene Faust weiter recherchieren, wenn sie es nicht gemeinsam taten.
»Puhh!« Horst stöhnte vernehmlich. »Ich glaube Ihnen, ehrlich! Aber jetzt weiß ich so langsam überhaupt nicht mehr, woran ich eigentlich bin. Das wird ja alles immer mysteriöser!«
Winter nickte. »Ich sag’s ja: da ist eine Riesenschweinerei im Gange!«
»Und wie, glauben Sie, können wir an die Fakten kommen?« Protnik hatte sich interessiert in Richtung Beifahrertür gebeugt.
Ein bitterer Zug spielte um Winters Mundwinkel. »Wenn ich das nur schon wüsste! Glauben Sie mir, ich hätte die Strippenzieher dann schon längst öffentlich an die Wand genagelt! Aber ich glaube, alleine komme ich da nie auf den Punkt – auch wenn ich alle Register ziehe, die ich ziehen kann! Trotzdem: zu dritt hätten wir mehr Chancen!«
Horst nickte. »Okay, überredet. Aber glauben Sie mir, wenn ich jetzt nicht ein paar Stunden abschalten kann, dann klappe ich zusammen! Mir schwirrt der Kopf wie ein Wespennest – ich muss jetzt erst mal mit mir und meinen Gedanken ins Reine kommen. Lassen Sie uns einfach 24 Stunden Zeit, und dann treffen wir uns und besprechen, wie es weitergehen kann! Dann hat sich jeder in der Zwischenzeit vielleicht eine Strategie überlegen können. Schließlich besteht ja kein Grund zur Hektik, denn lebendig machen können wir Thomas ja sowieso nicht mehr«, setzte er bitter hinzu.
Winter war einverstanden. »Sie haben recht! Machen wir’s so! Und wo treffen wir uns dann am besten?« Er überlegte einen kurzen Augenblick lang. »Wie wäre es beispielsweise mit dem Aussichtsturm Hohenbodmann bei Owingen, da sind wir mit Sicherheit ganz ungestört und haben gleich noch eine wunderschöne Sicht auf das ganze Hinterland. Bringt ja vielleicht auch was! Kennen Sie den Turm?«
Horst nickte.
»Also – was halten Sie von morgen Mittag, sagen wir 13 Uhr?«
Horst überlegte kurz: Wenn sie um 13 Uhr zusammenkamen, dann müssten sie mit dem Wesentlichen schätzungsweise in einer Stunde durch sein. Dann würde es für ihn noch reichen, um 14.30 Uhr Claudia wie versprochen vom Bahnhof in Überlingen abzuholen. Und notfalls konnte er dann ja noch mal zu ihrem Treffen zurückfahren. »Abgemacht! Morgen um 13 Uhr am Aussichtsturm bei Owingen!« Er streckte den Arm durch das Fenster und besiegelte die Abmachung mit einem kräftigen Händedruck. »Alles klar, also dann bis morgen! Aber bitte: Unternehmen Sie bis dahin nichts auf eigene Faust! Die Sache ist – wenn wir mit unseren Vermutungen richtigliegen – viel zu heikel, als dass man sich überstürzt irgendeiner Gefahr aussetzen sollte! Versprochen?«
Winter nickte zustimmend. »Versprochen! Also dann, bis morgen!« Damit drehte er sich um und schwang sich auf sein am Rand des Parkplatzes abgestelltes Fahrrad.
Horst schloss für einen Moment die Augen und drückte sich kräftig mit dem Rücken gegen die Lehne des Beifahrersitzes. »So, Michael – und jetzt aber Vollgas! Jetzt brauch ich wirklich erst mal ein paar Stunden Ruhe! Weißt du was?« Mit dieser Frage drehte er sich zu Protnik hinüber. »Der Wohnwagen ist mir jetzt viel zu unbequem – ich habe da eine viel bessere Idee!«
»Und die wäre?«
»Ich fahr mit dir zurück auf den Wildenstein – so weit ist das schließlich nicht, da kann ich dann wenigstens richtig abschalten. Und morgen Mittag sind wir ja sowieso wieder zusammen. Was hältst du von meinem Vorschlag?« Neugierig schaute er Protnik in die Augen.
»Wäre so oder so gar nicht anders gegangen«, brummelte der. »Glaubst du etwa, ich hätte dich heute Nacht allein in dieser verrosteten Schüssel übernachten lassen – in deinem Zustand? Von wegen! Also dann: auf zum Wildenstein!« Damit drückte er kräftig auf das Gaspedal.
»Ehrlich gesagt, ich freu mich richtig darauf, mal wieder dort oben zu sein! Dann trinken wir zusammen in der Burgschenke noch ein Viertele und fügen die Fakten, die wir bisher haben, noch einmal ganz genau zusammen. Ich bin ja gespannt, ob der Winter bis morgen nicht doch noch irgendetwas Überraschendes anschleppt!«