Von ganz anderem Programmtypus war die von Ignaz Leopold KoberKober in Prag herausgegebene Reihe Album. Bibliothek deutscher Originalromane der beliebtesten SchriftstellerAlbum. Bibliothek deutscher Originalromane der beliebtesten Schriftsteller. Wie der Name sagt, wurden hier keine Klassikernachdrucke veröffentlicht, sondern Originalwerke zeitgenössischer Autoren. Zwischen 1846 und 1862 erschienen in Jahrgängen jeweils 24 Bände, insgesamt 241 Werke in 350 Bänden; die Reihe wurde 1871 eingestellt. 1861 erschien dort unter dem Pseudonym Jakob Corvinus Der heilige Born von Wilhelm Raabe.
Die zweite Jahrhunderthälfte war die Hochzeit der Eisenbahn- und Reisebibliotheken. Es erschienen in rascher Folge die Humoristische Reise- und EisenbahnbibliothekReise- und Eisenbahnbibliothek, Humoristische bei Albert Heinrich HoffmannHoffmann (ab 1853), die Conversations- und ReisebibliothekConversations- und Reisebibliothek (ab 1855) und Lorck’s EisenbahnbibliothekLorck’s Eisenbahnbibliothek (ab 1855) bei Carl Berend LorckLorck sowie die Reisebibliothek für Eisenbahn und DampfschiffeReisebibliothek für Eisenbahn und Dampfschiffe bei Friedrich Arnold BrockhausBrockhaus (ab 1856). Eine der erfolgreichsten Reihen war die Reiselectüre. Sorglose Stunden im Kreise beliebter ErzählerReiselectüre. Sorglose Stunden im Kreise beliebter Erzähler im Verlag Adolf KrönerKröner (ab 1874). In den 1880er und 1890er Jahren hatten Reisebibliotheken oft nur eine kurze Erscheinungsdauer (viele Beispiele bei Haug 1998: 84f.).
Im Klassikerjahr 1867 oder kurz danach starteten Bibliotheken, in denen zum Teil Tausende von Bänden im Lauf von Jahren und Jahrzehnten erschienen – allen voran Reclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek (ab 1867). Dazu gehören ferner die Nationalbibliothek sämtlicher deutscher ClassikerNationalbibliothek sämtlicher deutscher Classiker von Gustav HempelHempel (ebenfalls ab 1867), die Collection SpemannCollection Spemann aus dem Verlag Wilhelm SpemannSpemann (ab 1881), Engelhorns allgemeine Roman-BibliothekEngelhorns allgemeine Roman-Bibliothek aus dem Verlag Carl EngelhornEngelhorn (ab 1884), die Bibliothek der Gesamtlitteratur des In- und AuslandesBibliothek der Gesamtlitteratur des In- und Auslandes von Otto HendelHendel (ab 1886), Meyers VolksbücherMeyers Volksbücher aus dem Bibliographischen Institut unter Hermann Julius Meyer (ab 1886) und Kürschners BücherschatzKürschners Bücherschatz aus dem Verlag Herrmann HilgerHilger (ab 1897).
Einen informativen Überblick über mehr als 30 Collectionen, Sammlungen und Bibliotheken aus der Sicht eines Zeitgenossen bietet Moldenhauer 1884, der seine mehrteilige Aufsatzfolge mit der Universal-Bibliothek *Universal-Bibliothek von ReclamReclam beginnt.
Hinzu kamen Sammlungen – zunehmend gebunden –, die durch ihren Reihentitel „entweder an ein möglichst breites soziales Spektrum appellierten oder sich auf eine möglichst kleine Zielgruppe beschränkten“ wie die Familienbibliothek fürs deutsche VolkFamilienbibliothek fürs deutsche Volk, Für Palast und HüttePalast und Hütte, Für, Für den FeierabendFeierabend, Für den, Deutsche Volksbibliothek für Leseverereine und HausVolksbibliothek für Leseverereine und Haus, Deutsche oder Deutsche Handwerker-BibliothekHandwerker-Bibliothek, Deutsche (Wittmann 1982b: 131f.).
Auch die literarischen Verlage brachten gegen Ende des Jahrhunderts Reihen mit gemeinfreien Werken oder als Zweitverwertung von bereits veröffentlichten Werken heraus. CottaCotta startete bereits 1882 seine Bibliothek der WeltliteraturBibliothek der Weltliteratur. S. FischerFischer folgte mit der Nordischen BibliothekBibliothek, Nordische (ab 1889), der Collection FischerCollection Fischer (ab 1894) und mit Fischers Bibliothek zeitgenössischer RomaneFischers Bibliothek zeitgenössischer Romane (ab 1910). LangenLangen brachte seine Kleine Bibliothek ab 1897 auf den Markt, Langewiesche-BrandtLangewiesche-Brandt die Bücher der RoseBücher der Rose ab 1909, UllsteinUllstein die Ullstein-BücherUllstein-Bücher ab 1910 und Anton Kippenberg die Insel-BüchereiInsel-Bücherei ab 1912 (Estermann/Füssel 2003: 275–280). Alle diese preisgünstigen Reihen erschienen als kleinformatige Hardcover.
Zu diesen mit wenigen Ausnahmen (etwa den Reisebibliotheken) belletristischen Collectionen erschienen nach der Jahrhundertmitte Reihen mit nonfiktionalen Inhalten verschiedenster Art. Nach dem frühen Vorläufer Unsere Zeit, oder geschichtliche Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789–1830Zeit, oder geschichtliche Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 1789–1830, Unsere bei Emanuel SchweizerbartSchweizerbart (ab 1826) kamen Meyers Volksbibliothek für Länder- Völker- und NaturkundeMeyers Volksbibliothek für Länder- Völker- und Naturkunde aus dem Bibliographischen Institut (ab 1853) und die Bibliothek der Unterhaltung und des WissensBibliothek der Unterhaltung und des Wissens bei Hermann SchönleinSchönlein (ab 1876) auf den Markt, später im Jahrhundert die Sammlung GöschenSammlung GöschenGöschen in der Göschen’schen Verlagsbuchhandlung (ab 1889) und Aus Natur und GeistesweltNatur und Geisteswelt, Aus im TeubnerTeubner Verlag (ab 1898).
Im nächsten Kapitel wird zu betrachten sein, welche dieser Reihen aufgrund ihrer Strukturmerkmale als Taschenbuchreihen einzuordnen sind.
Neben den Collectionen, Bibliotheken oder Sammlungen sind für das 19. Jahrhundert die Volksbücher als Reihe typisch. Wie bereits gesagt, sind nicht alle populären Lesestoffe des 19. Jahrhunderts in Reihen erschienen. Es geht hier nicht im weiteren Sinn um „‚Volksbücher‘, ‚Bibliothèque BleueBibliothèque Bleue‘, ‚Volksbüchlein‘, ‚Heftchen‘, ‚Broschüren‘ – wie immer mvan diese Gattung nennen mag“, die „im 19. Jahrhundert in großen Teilen Europas den bedeutendsten nichtperiodischen Lesestoff der gesamten lesenden Bevölkerung“ darstellen (Schenda 1970: 305). Zwar trug die im 18. Jahrhundert in Frankreich entstandene Bibliothèque bleueBibliothèque bleue durch ihren blauen Umschlag Reihencharakter, doch diese Lesestoffe, die in England chapbook und in Italien libretto populare hießen, waren nicht nummeriert, erschienen nicht periodisch und hatte keine standardisierte Aufmachung.
Unter diesen populären Lesestoffen, die man besser „Volksbüchlein“ als „Volksbücher“ nennen sollte (Schenda 1968: 137), hatte nach den Romanen – vor allem Ritter- und Liebesromane – das religiöse Schrifttum mit Andachtsbüchern, Liederbüchern, Gebetsbüchern und erbaulichem Schrifttum den größten Anteil (Andries/Bollème 2003: 23). Hinzu kamen Märchen, Fabeln und Sagen, Sammlungen von Witzen und Anekdoten, Traumdeutungsbücher, aber auch praktische Ratgeber für Gesundheit und Haushalt oder für den Landmann. Es handelte sich „um eine massenhaft hergestellte Art von Lesestoffen, um Heftchen von 8 bis 128 Seiten, etwa 14 mal 9 cm groß, um Massenlektüren auf billigstem Papier zu billigstem Verkaufspreis“ (Schenda 1968a: 140). Eine erste Einführung gibt Mandrou 1975; eine rund 1.000seitige Beispielsammlung von Texten der Bibliothèque bleueBibliothèque bleue findet sich bei Andries/Bollème 2003. Schenda 1968b verzeichnet bibliografisch 1.000 französische Volksbüchlein aus dem 19. Jahrhundert. Vergleichbares für den deutschen Sprachraum gibt es nicht. Zu den chapbooks siehe Weiss 1969 und Schöwerling 1980.
In unserem Kontext geht es um die Volksbücher im engeren Sinn, wie sie in Reihen im 19. Jahrhundert auf den Markt gebracht wurden. Ein Schlüsselwerk dabei ist die die Schrift Die teutschen Volksbücher von Joseph Görres aus dem Jahr 1807. Wie der Untertitel des Buchs zeigt, ging es Görres nicht nur um die Tradierung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Epen: Nähere Würdigung der schönen Historien- Wetter- und Arzneybüchlein, welche theils innerer Werth, theils Zufall, Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat. Die beiden bedeutendsten Reihen, die in dieser Tradition entstanden, wurden von dem Philologen Karl Simrock (1802–1876) und dem Autor,