Daraus ergeben sich die Leitfragen dieses Buches: Was kann Globalgeschichte leisten und wie kann sie das? Die oben skizzierten Ansprüche einlösen zu wollen, überfordert das Forschungsund Lehrprogramm der Globalgeschichte insofern, als sich daraus kein klarer Zugang, keine Fragestellung ableiten lässt. Schon deshalb sollte man globalhistorische Forschung nicht als Lösungsweg verstehen, sondern als Problematisierung und kritische (Selbst)Reflexion, die im Idealfall zu einer Teillösung werden kann. Ein gutes Beispiel findet sich in Andrea Komlosys Einführung in die Globalgeschichte. Hinsichtlich etwa des Eurozentrismus sieht Komlosy die Aufgabe des Feldes zunächst einmal in der Freilegung eurozentrischer Bilder und Denkmuster. „Globalhistoriker bemühen sich, regional bedingte Weltsichten in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen.“9 Der Globalgeschichte fällt aus dieser Warte eine aufzeigende, nicht unbedingt eine überwindende Funktion zu. Es sollte darum gehen, mithilfe einer klaren und operationalisierbaren Fragestellung die persistenten Unwuchten historischen Denkens jenseits einfacher Generalisierungen deutlich aufzuzeigen, den Blick der Geschichtswissenschaften dahin zu lenken, wo etablierte Interpretationsmuster zu kurz greifen. Ein solcher Anspruch ist für die Globalgeschichte, die heute zumeist als spezifische Perspektive auf die Geschichte gesehen wird,10 auch einzulösen. Ein Perspektivenwechsel oder eine Perspektivenerweiterung können den Blick auf die oben skizzierten Probleme freigeben, können so Standort- und Maßstabsgebundenheit immer wieder kritisch in Erinnerung rufen. Das kann die Globalgeschichte als Perspektive leisten. Überwinden aber kann sie diese grundlegenden Bedingungen historischen Denkens nicht – nicht einmal durch die Multiplikation von Standorten und Maßstäben.
Globalgeschichte als Perspektive
Es bleibt die Frage, wie die Globalgeschichte das leisten kann. Welches Erkenntnisinteresse liegt ihr zugrunde? Was soll sie zeigen? Aber auch, welche Mittel stehen ihr dafür zur Verfügung und wie lassen sich ihre Fragen an die Geschichte operationalisieren? Dieses Buch wird versuchen, diese und andere Fragen zu adressieren. Es ist natürlich nicht das erste Werk, das sich damit auseinandersetzt. Historikerinnen und Historiker machen sich bereits seit einigen Jahren darüber Gedanken, was die Globalgeschichte eigentlich genau wissen will. Und auch über die Ansätze und Methoden der Globalgeschichte gibt es mittlerweile eine rege Diskussion. Selten aber werden diese beiden Teile – also die Frage nach dem globalhistorischen Erkenntnisinteresse und die Frage nach dem diesbezüglichen Vorgehen – direkt miteinander in Abstimmung gebracht. Oft stehen sie eigenartig separiert voneinander. Es mangelt an der Operationalisierung globalhistorischer Fragestellungen, an der Brücke zwischen theoretischem Anspruch und empirischer Umsetzung. In diesem Buch möchte ich Bausteine für genau diese Brücke zur Verfügung stellen, ohne dabei aber der Illusion zu verfallen, auf den wenigen Seiten und mit einer Handvoll Konzepten und Fallstudien diese bereits fertig bauen zu können.
Vielmehr will ich aufzeigen, wie die Globalgeschichte einzelne ihr bereits zur Verfügung stehende Begriffe und Konzepte so anwenden kann, dass die Wirkmächtigkeit eines globalen Handlungs- und Bezugsrahmens für das Denken und Handeln historischer Akteure nicht nur deutlich wird, sondern dieser in seiner Bedeutung auch in einen breiteren historischen Kontext eingebettet werden kann. Dieses Buch bringt dabei verschiedene Konzepte zur Anwendung, auf die im Folgenden noch näher einzugehen sein wird. Allesamt verweisen sie im Kern aber auf den Begriff der Verbindung – im Zusammenhang der Globalgeschichte im Sinne einer globalen oder transregionalen Verbindung –, der den konzeptuellen Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Überlegungen bildet. Nun ist der Begriff der Verbindung in der Globalgeschichte alles andere als neu oder ungewöhnlich. Im Gegenteil, er gehört zum meistverwendeten Vokabular des Feldes und ist nicht zuletzt deshalb zu einer Art terminologischem Passepartout geworden. Will man den Begriff aber nicht nur als gefälliges Label nutzen, sondern wissenschaftlich produktiv machen, so steht seine analytische Zuspitzung an. Was ist eine globale Verbindung und wie können wir sie theoretisch-methodisch fassen? Was unterscheidet globale Verbindungen von anderen Verbindungsarten? Wie können solche Verbindungen geschichtsmächtig werden? Letztlich, welche Rolle spielen sie hinsichtlich des Erkenntnisinteresses der Globalgeschichte? Verschiedene Verständnisse globalhistorischer Forschung warten mit jeweils unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen auf. Eine Auseinandersetzung mit diesen Antworten lohnt, um das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Verbindung nachvollziehbar herzuleiten.
Sebastian Conrads in den letzten Jahren vorgelegte Einführungen in die Globalgeschichte stellen die im Moment wohl gelehrtesten und umsichtigsten Arbeiten in diesem Zusammenhang dar. Daher bilden seine Systematisierungsversuche und Zusammenführungen einen wesentlichen Referenzpunkt für viele der im Folgenden skizzierten Überlegungen. Entsprechend oft werde ich auf den nächsten Seiten auf sein Verständnis von Globalgeschichte Bezug nehmen und versuchen, darauf aufzusetzen.
Conrad identifiziert in der deutschsprachigen,11 noch ausführlicher aber in der englischsprachigen12 Einführung drei Hauptvarianten globalhistorischer Forschung, in denen globale Verbindungen jeweils unterschiedliche Rollen und Gewichtungen haben. Der ersten von ihm vorgestellten Variante liegt ein Verständnis globalhistorischer Forschung als Syntheseleistung zugrunde. Die Globalgeschichte, so Conrad, würde aus diesem Blickwinkel heraus als Weltgeschichte im wörtlichen Sinn verstanden. Sie umfasse alles, was jemals weltweit passiert sei. Die Versuche, diesen größtmöglichen Rahmen auszufüllen, können aber unterschiedlich ausfallen. So gibt es Großsynthesen, die tatsächlich versuchen, die wesentlichen historischen Entwicklungen einer bestimmten Zeit oder Epoche weltweit zu erfassen und integrativ darzustellen. Solche Darstellungen müssen notwendigerweise stark auswählen, welche Phänomene sie für relevant halten. Sie bleiben an der Oberfläche, sind sehr selektiv. Auf ein ähnliches Verständnis der Globalgeschichte bauen auch jene unzähligen Studien auf, die einem bestimmten Gegenstand durch Zeit und Raum der Weltgeschichte folgen. Für Pamela Crossley stellt diese Form der Globalgeschichte in ihrer Gesamtheit sogar den ultimativen Zugang dar. In ihrer Einführung in das Feld verwendet sie die Metapher eines context spinners, also eines natürlich nur hypothetischen Instruments, das die globale Geschichte jeweils aus der Warte eines bestimmten Materials, Produkts, Konzepts oder Naturphänomens sequenzieren könnte. Entstehen würden dabei jeweils integrierte globale Darstellungen zum Beispiel der Geschichte der Seide oder der Auswirkungen von Erdbeben, um nur zwei der von Crossley genannten Beispiele wiederzugeben.13 Die Kontextspinnmaschine würde uns anhand einzelner Themen durch die Geschichte der Welt führen und so eine Globalgeschichte ermöglichen. Dass ein solcher Ansatz überaus interessante Arbeiten hervorbringen kann, ist unbestritten. Aus globalhistorischer Warte handelt es sich aber auch hier um eine Syntheseleistung. Conrad weist schließlich auch darauf hin, dass Studien zu einzelnen, klar umrissenen Themen – er nennt die Geschichte der Arbeiterklasse in Buenos Aires, Dakar oder Livorno als Beispiel – aus dem skizzierten Verständnis heraus ebenfalls zu einer Globalgeschichte – in diesem Fall jener der Arbeit – beitragen können, ohne selbst den globalen Horizont ihres Gegenstandes zu untersuchen.14 Auch das ist eine Form der Synthese, und zwar einer arbeitsteiligen. All diesen Einzelansätze innerhalb dieses synthetischen Verständnisses von Globalgeschichte ist gemein, dass ihre Geschichten von gemeinsamen großen Rahmen zusammengehalten werden, nicht aber von einer inneren Kohärenz. Globale Verbindungen kommen in dieser Variante von Globalgeschichte natürlich vor, allerdings üblicherweise nicht als erkenntnisleitende Elemente.
In der zweiten von Conrad skizzierten Variante von Globalgeschichte spielen globale Verbindungen eine ganz zentrale Rolle. Dieses Verständnis des Feldes baut auf der Annahme auf, dass keine Kultur, keine Gesellschaft in völliger Isolation existiert, und Austauschprozesse eine wesentliche Bedeutung für ihre historische Entwicklung haben.15 In dieser Hinsicht gehört ein Fokus auf Verbindungen zu den wenigen wirklich konsensfähigen Eigenschaften der jüngeren Globalgeschichte. Die meisten Autorinnen und Autoren, die sich über die theoretisch-methodische Ausrichtung des Feldes Gedanken gemacht haben, verweisen an irgendeiner Stelle darauf, dass die Globalgeschichte sich mit der Rolle globaler oder transregionaler Verbindungen und den auf ihnen beruhenden, sich wechselseitig beeinflussenden Prozessen in der Geschichte beschäftigen soll.16 Allerdings wird dies nur selten in einer Form weiter ausgeführt, die es erlauben würde, daraus Rückschlüsse