Die NATO. Falk Ostermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Falk Ostermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783846354414
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verweigerten sie ihre Unterstützung und strebten stattdessen zusammen mit der Sowjetunion eine friedlichFriedene Lösung in der UNO und damit letztlich den Abzug der israelischen, britischen und französischen Truppen an. Die USA stellten dabei ebenfalls Hilfszahlungen an die Verbündeten ein. Anfang November wurde der politische Druck auf die drei intervenierenden Staaten so groß, dass zunächst Großbritannien, Frankreich und später auch Israel die Kampfhandlungen einstellten und von Dezember 1956 bis März 1957 ihre Truppen abzogen. Nasser entschädigte die Kanalaktionäre im Zuge von FriedenFriedensverhandlungen. Die Stationierung von UN-FriedenFriedenstruppen auf dem Sinai und an der Grenze zu Gaza sicherte zudem Israels Sicherheit gegen Angriffe ab (Combs 2012, 242; Moharram 1999, 214f.; Risse-Kappen 1996, 384).

      Das offensichtlich neokoloniale Vorgehen Großbritanniens und Frankreichs zeigte einerseits gewisse Grenzen alliierter Solidarität auf. Andererseits wurde deutlich, dass es zur Realisierung der Werte- und Verteidigungsgemeinschaft der NATO mehr als nur des Aufbaus einer gemeinsamen Verteidigung bedurfte, sondern auch der Koordination und Konsultation über andere Außenpolitiken, die bis heute nicht immer funktioniert, aber trotzdem ein permanenter Prozess ist (Raflik 2011, 216). Es ging in SuezSuez(krise) letztlich nicht um die Allianz an sich, sondern um andere außenpolitische Interessen (Thies 2009, 203ff., 299).

      3.3 Die deutsche Frage: Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt und die Folgen

      SeitWiederbewaffnung 1950 wurde in alliierten Kreisen die Einbeziehung der BRD in die Verteidigungsbemühungen diskutiert, sollte doch ein Teil der Verteidigung des westlichen Bündnisses auf ihrem Gebiet stattfinden, ohne dass Westdeutschland in seinem nach dem Zweiten WeltkriegZweiter Weltkrieg unbewaffneten Zustand eigene Kräfte dazu beitrug. Diese Überlegungen standen auch unter dem Eindruck eines zunehmenden gesellschaftlichen Unsicherheitsbewusstseins in der BRD mit Blick auf die Aufrüstung im Osten (Ismay 1955, 32ff.). Wenngleich IdeeIdeen (Konzept)n zur WiederbewaffnungWiederbewaffnung Westdeutschlands aufgrund der mehrmaligen Kriegserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts auf starken Widerstand aus Frankreich stießen (Grosser 1986, 99, 108ff.; Kaplan 1984, 24f., 154ff., 160ff.; Raflik 2011, 212ff.), war die IdeeIdeen (Konzept) militärisch mit Blick auf die VorneverteidigungVorneverteidigungsdoktrin einleuchtend.

      Ein Ausweg aus dem deutsch-französischen Problem wurde schließlich durch den im Oktober 1950 aufgestellten Plan des französischen Außenministers René PlevenPleven-PlanEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gefunden, der die Gründung der Europäischen VerteidigungsgemeinschaftEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) (EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)) vorsah. In der EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sollte eine WiederbewaffnungWiederbewaffnung Deutschlands mit 100.000 Soldat*innen (es sollte zunächst ausschließlich ein Heer geben) bei gleichzeitig kompletter Einbettung dieser Kräfte in eine multinationale KommandostrukturMilitärstruktur erfolgen (Kaplan 1984, 162f.). Die Staaten Westeuropas – Belgien, Frankreich, Italien, LuxemburgLuxemburg und die Niederlande – würden eigene Armeen behalten. Aufgrund seiner MachtMachtposition auf dem europäischen Festland wäre Frankreich eine Führungsposition zugekommen, was nach Ansicht der USA in den EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Plänen zu offensichtlich verankert war. Großbritannien wiederum fürchtete durch die EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) den Verlust der WestbindungWestbindung und somit der Anbindung der beiden amerikanischen Alliierten an die europäische Verteidigung (Duke 2005, 18f.). Diese und andere Punkte wurden lange kontrovers diskutiert, weil Deutschland als Gegenleistung für seine Integration in eine europäische Armee das BesatzungsstatutBesatzungsstatut (Deutschland) weitgehend aufgehoben sehen wollte, um seine eigene Souveränität wiederzuerlangen (Grau und Würz 2016; Schöllgen 2013b, 50ff.).

      Während die Verhandlungen zur EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) über die kommenden Jahre weiter fortgesetzt wurden, bereiteten Frankreich zwei Entwicklungen Bauchschmerzen: Zum einen wurde deutlich, dass eine so tiefgreifende Verteidigungsintegration langfristig nicht unabhängig vom Integrationsprozess West- und Südeuropas in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) implementiert werden könnte, den Belgien, Frankreich, Italien, LuxemburgLuxemburg, die Niederlande und Westdeutschland 1952 ins Leben gerufen hatten. Damit wäre langfristig ein Verlust nationaler Souveränität in der Verteidigungspolitik einhergegangen, den das unabhängigkeitssensitive Frankreich im Verteidigungsbereich noch nicht bereit war zu gehen, sondern nur im ökonomischen (Cerny 1980; Raflik 2011; Vaïsse 2009b, 93f.). Zum anderen achtete Deutschland darauf, dass in den Verhandlungen zur EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die WestbindungWestbindung an die USA nicht verloren ging. Bei der Ratifizierung durch den Bundestag und Bundesrat wurde dem EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Vertrag daher eine Präambel vorangestellt, die ebendies ausdrückte. Frankreich wollte einen derart direkten Bezug auf die USA wiederum nicht akzeptieren. Der neuen französischen Regierung aus rechten Gaullist*innen gingen somit viele Bestimmungen der EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu weit und die deutsche WiederbewaffnungWiederbewaffnung war eine bittere Pille, die man in Anbetracht der Vergangenheit von drei Kriegen nur schmerzlich schlucken wollte (Kaplan 1984, 25). Diese Schwierigkeiten, schlechtes Management und Verhandlungsgeschick sowie Ereignisse in Indochina, die die französische Aufmerksamkeit banden, führten schließlich zur Ablehnung des EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)-Vertrags durch die Assemblée nationale im August 1954 (Duke 2005, 26ff.; Raflik 2011, 213f.). Frankreich war in seinem MachtMachtanspruch als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und ehemalige Weltmacht nicht bereit, sich in dieser Weise an die USA und Europa zu binden und seine Souveränität einschränken zu lassen – erwartete aber eben dies vom besiegten Westdeutschland.

      Damit war die Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Lösung des deutschen Problems durch die EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zunächst gescheitert. Dem britischen Außenminister Anthony EdenEden, Anthony wird daraufhin allgemein die IdeeIdeen (Konzept) zugeschrieben, Deutschland (und Italien) dem Brüsseler VertragBrüsseler Vertrag (der Westunion) beitreten zu lassen.1 Durch die 50-jährige Vertragslaufzeit der Westunion (nur 20 Jahre im NordatlantikvertragNordatlantikvertrag) war eine ausreichend lange Gültigkeit gewährleistet, um Frankreich zu beruhigen, was zudem durch schriftliche Bekenntnisse Großbritanniens und der USA zur langfristigen Truppenpräsenz untermauert wurde. Die NeunmächtekonferenzNeunmächtekonferenz2 am 28. September 1954, auf der die Londoner AkteLondoner AkteNeunmächtekonferenz verabschiedet wurde, und die Pariser VerträgePariser Verträge vom 23. Oktober 1954 regelten zusammen den Beitritt Deutschlands zur Westunion, die zur Westeuropäischen Union (WEUWesteuropäische Union (WEU)) umbenannt wurde, und die direkte Anbindung der WEUWesteuropäische Union (WEU) an die NATO (Duke 2005, 39; Georgantzis 1998, 35; Schöllgen 2013b, 50ff.). Da der SACEURSACEUR gleichzeitig den Oberbefehl über alle Truppen der WEUWesteuropäische Union (WEU) und der Alliierten in Europa erhielt, die nicht explizit ausgeschlossen waren (und Deutschland keine Truppen außerhalb Europas unterhielt), war die Einbindung der BRD in die NATO und die WEUWesteuropäische Union (WEU) somit vollumfänglich (Georgantzis 1998, 35; Grosser 1986, 137ff.) Westdeutschland brachte diese Lösung einen weiteren Zuwachs seiner Souveränität (bpb 2014; Bockenförde 2013, 36f.).3

      Der Beitritt der BRD zur NATO erfolgte formal am 6. Mai 1955 nach der Ratifizierung der Pariser VerträgePariser Verträge durch Bundespräsident Theodor HeussHeuss, Theodor (nach Abstimmungen im Parlament). Der Beitritt institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierte zusammen mit der Gründung des Warschauer PaktWarschauer Paktes als formales Verteidigungsbündnis der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten in Mittel- und Osteuropa den Kalten Krieg bis zu seinem Ende zu Beginn der 1990er Jahre und ließ das Streben nach der deutschen Einheit in den Hintergrund treten (Bockenförde 2013, 26). In der Folge musste Deutschland wieder Streitkräfte aufbauen. Zu diesem Zweck wurde aus der sich mit den Alliierten in Militärfragen koordinierenden Dienststelle BlankDiensstelle BlankBundeswehr, benannt nach ihrem Leiter Theodor BlankBlank, Theodor, das neue Bundesministerium für Verteidigung gegründet und BlankBlank, Theodor erster Verteidigungsminister der BRD. Die BundeswehrBundeswehr wurde formal am 12. November 1955 mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden für 101 Soldaten gegründet. Daraufhin begann die WiederbewaffnungWiederbewaffnung Westdeutschlands, die durch die WEUWesteuropäische Union (WEU) kontrolliert wurde (bpb 2014; Georgantzis 1998, 36ff.). 1.000 freiwillige Rekruten traten ihren Dienst im