• Dokumentation des Forschungsprozesses (zielt auf Zuverlässigkeit): Gerade weil Instrumente nicht standardisiert, sondern auf den Gegenstand ›maßgeschneidert‹ sein müssen, ist darauf zu achten, beim Abfassen des Forschungsberichts so gut wie nur möglich Transparenz über das konkrete Vorgehen herzustellen. Der gesamte Forschungsprozess wird offengelegt, um intersubjektive Nachvollziehbarkeit herzustellen. Das erfolgt v. a. durch das Beschreiben und Begründen jeder einzelnen Entscheidung (Methodenwahl, Sampling, Auswertungsverfahren etc.).
• Selbstreflexion (zielt auf Zuverlässigkeit, Gültigkeit, Werturteilsfreiheit): Der Forscher macht sich bewusst, welche Vorannahmen (Alltags- bzw. wissenschaftliche Theorien) ihn anleiten, und welche Grenzen der Erkenntnis sich hieraus ergeben. Er versucht sich darüber klar zu werden, wie er zum Untersuchungsgegenstand steht. Im Forschungsbericht wird diese (theoretische, methodische) Selbstreflexion offengelegt.
• Reflexion der Entstehungsbedingungen (zielt auf Gültigkeit, Übertragbarkeit): Auch hier geht es darum, Limitationen (im Projektbericht) aufzuzeigen – und zwar jene, die durch die Entstehungsbedingungen auftreten und der Erkenntnis ebenfalls Grenzen setzen: Welche Ressourcen sind verfügbar? In welchem Umfeld entsteht die Studie (Zeitgeist)? Gibt es bestimmte Interessen(-skonflikte) (z. B. Auftraggeber, Untersuchungspersonen)? Wie wurden die Informationen erhoben?
• Interpretation in Gruppen (zielt auf Gültigkeit, Zuverlässigkeit): Kollaboratives Arbeiten schützt vor zu viel Subjektivität – Projektpartner sind kritische Korrektive, dieselbe Funktion kann auch ein Kandidatenseminar für Studierende oder die Fachgesellschaft für Forschende übernehmen (z. B. auf Tagungen).
2.2 Der Forschungsablauf im Überblick
Der Ablauf auch qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschung entspricht zu Beginn dem in Kapitel 1.2 vorgestellten Vorgehen: Ein gesellschaftlich relevantes Problem wird in eine wissenschaftliche Fragestellung überführt (Stufe 1 und 2), relevante Begriffe werden definiert und mithilfe einer »dimensionalen Analyse« (Wegener/ Mikos 2005, S. 172) in das vorhandene theoretische Wissen eingeordnet (Stufe 3 und 4). Da in der Praxis häufig mit dem Forschungsgegenstand schon klar ist, ob ihm qualitative oder quantitative Methoden am ehesten gerecht werden, verzichtet man bei qualitativem Vorgehen üblicherweise schon bei der Bearbeitung der Theorie(n) und des Forschungsstands auf die Formulierung von Hypothesen zugunsten offener Forschungsfragen. Grund dafür ist die Annahme, dass die Formulierung von Hypothesen das Denken bei explorativer Forschung von vornherein zu stark einschränken könnte (vgl. Lamnek 2010, S. 19f). Hypothesen können vielmehr Ergebnis qualitativen Arbeitens sein. Fällt die Entscheidung also auf eine qualitative Methode oder eine Kombination qualitativer Methoden (Stufe 5), gestaltet sich der Forschungsprozess nun etwas anders als der des quantitativen Paradigmas.
Das Forschungsproblem und die sich daraus ergebende(n) Forschungsfrage(n) bestimmen zwar zunächst auch hier die Entwicklung der Erhebungsinstrumente (Stufe 6) und das Auswahlverfahren der Teilnehmer (bei Befragung, Beobachtung) oder der Inhalte (bei Inhaltsanalysen). In der qualitativen Forschung wird jedoch zumeist anders gesampelt, nämlich durch eine theoretische Auswahl während der Erhebungsphase (vgl. Kap. 2.3). Da hierbei das Sample idealerweise während der Analyse noch ergänzt wird, verläuft der Forschungsprozess nicht geradlinig, sondern spiralförmig (vgl. Meyen et al. 2011, S. 54). Die Stufen 7 bis 9 werden immer wieder nacheinander durchlaufen, bis die sog. theoretische Sättigung als erreicht gelten kann (vgl. Kap. 2.3). Ebenso können sich die Erhebungsinstrumente während des Samplings verändern (was einen Pretest – vgl. Kap. 3 – aber nicht überflüssig macht!). So kann z. B. von einem Interviewten ein Aspekt immer wieder angesprochen werden, den man als Forscher zu Beginn der Untersuchung nicht bedacht hat (oder umgekehrt auch Aspekte nicht zur Sprache kommen, die man zunächst als relevant erachtet hat). Qualitative Forscher lassen sich immer vom Feld, das ergründet werden soll, ›irritieren‹ – sei es hinsichtlich der theoretischen Vorannahmen oder hinsichtlich der erstellten Instrumente (vgl. Steinke 2007, S. 327). Weil qualitative Forschung nicht zählen, sondern entdecken und verstehen will, geht es um das Aufdecken aller oder der typischen Merkmale, und nicht um die numerische Häufigkeit ihres Vorkommens.
2.3 Auswahlverfahren
Da qualitative Forschung zum einen vielfach Anwendung findet, wenn ein Gegenstand exploriert werden soll, und qualitative Forschungsprojekte zum anderen durchaus zum Anspruch haben, auch verallgemeinerbare Erkenntnisse zu produzieren, sampeln Forschende zumeist nach dem Verfahren der theoretischen Auswahl (vgl. Meyen et al. 2011, S. 68–71). Es bietet sich hierbei an, Kriterien aus der Theorie und dem Forschungsstand abzuleiten, denen ein Einfluss auf den zu ergründenden Untersuchungsgegenstand unterstellt werden kann. Diese Kriterien leiten dann die Suche nach Teilnehmern (Befragungen, Beobachtungen) oder Medienangeboten (Inhaltsanalysen) an (Meyen et al. 2011, S. 68). Der Kriterienkatalog kann im Prinzip aussehen wie ein Quotenplan, wie er bereits in Kapitel 1.3 besprochen wurde (vgl. auch Meyen et al. 2011, S. 69). In diesem Fall steht das Sample oft schon zu Beginn der Untersuchung fest.
Der Kriterienkatalog kann aber auch während der Erhebung im Feld sukzessive erweitert und modifiziert werden, um auf den Untersuchungsgegenstand (also auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse aus Interviews, Inhaltsanalysen oder Beobachtungen) zu reagieren. Die Kriterien sollten in ihren Ausprägungen entweder maximal variantenreich durch die zu untersuchenden Texte oder Personen im Sample repräsentiert werden (Prinzip der maximalen Kontrastierung), damit zum Ende der Analyse der Gegenstand in all seinen Facetten abgebildet wurde. Oder es sollten möglichst ähnliche Texte, Situationen etc. analysiert werden, um das ihnen (möglicherweise) zugrundeliegende gemeinsame Muster zu erkennen und zu vervollständigen (Prinzip der minimalen Kontrastierung; vgl. Keller 2010, S. 222). Die erhobenen Informationen werden so lange durch das Hinzunehmen neuer Teilnehmer oder Inhalte ergänzt, bis schließlich keine neuen Informationen durch weitere Datenerhebung (Interviews, Beobachtungen, Inhaltsanalysen) hinzukommen. In diesem Fall tritt theoretische Sättigung ein und der Forscher kann das Sampling beenden (vgl. Merkens 2007; Meyen et al. 2011, S. 53ff).
2.4 Forschungsinteresse und Methodenwahl
Qualitative Methoden eigenen sich besonders für solche Forschungsprobleme, die auf ›inhaltliche Tiefe‹ abzielen, die in standardisierten Untersuchungen zugunsten der Vergleichbarkeit und Handhabbarkeit der Daten reduziert werden muss. Qualitative Verfahren sind aus diesem Grund immer un- oder maximal teilstandardisiert und produzieren üblicherweise eine große Menge an Daten bzw. Text (schließlich müssen auch hier Interviews in ein Textdokument überführt, d. h. transkribiert werden, um sie adäquat auswerten zu können). Erhebung und Management qualitativer Daten erfordern daher gutes Training z. B. durch Methodenübungen im Studium (vgl. Meyen et al. 2011, S. 12ff).
Ganz konkret können qualitative Methoden gut auf Fragestellungen angewandt werden, die mit einem warum/wieso, wie oder welche eingeleitet werden: Wie sehen Journalisten ihre Berufsrolle (Kommunikatorforschung – Befragung); wie berichten Medien über Menschen mit Migrationshintergrund (Medieninhaltsforschung – Inhaltsanalyse); wieso/warum nutzen Menschen bestimmte Medien (Mediennutzungsforschung – Befragung, kombiniert mit Beobachtung); wie verarbeitet das Publikum von Onlinenachrichtenangeboten in Nutzerkommentaren Deutungsrahmen (also Frames bzw. Framebestandteile), die durch die Berichterstattung transportiert werden